Erfolgserlebnisse können subjektive Arbeitsbelastung verringern.
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Wien. Die Wirtschaftskrise hat es deutlich gezeigt: Je flexibler der Arbeitsmarkt, desto weniger schmerzhaft sind die Auftragseinbrüche, desto schneller kommt die Erholung. Die Wirtschaft ist in Österreich während der Krise zwar um fast vier Prozent geschrumpft, aber die Arbeitslosigkeit ist nur um 1,5 Prozent gestiegen. Österreich kann sich zwar von der internationalen Konjunktur nicht abkoppeln, hatte und hat EU-weit aber die niedrigste Arbeitslosenrate. Südeuropäische Länder mit ausgeprägtem Kündigungsschutz allerdings sitzen mit ihrer hohen Arbeitslosigkeit in der Falle, weil sich Unternehmer in nach wie vor unsicheren Zeiten scheuen, Leute einzustellen.
Für Martin Gleitsmann, Leiter der Sozialpolitik in der Wirtschaftskammer, ist das der schlagende Beweis dafür, dass flexible Arbeitszeiten eine gute Sache sind: "Flexible Spielräume helfen nicht nur den Unternehmen, sondern auch den Arbeitnehmern und der gesamten Volkswirtschaft", argumentiert er, wenn in einer Krise die Leute nicht gekündigt, sondern auf Zeitausgleich und auf Urlaub geschickt werden.
Aber Österreichs Wirtschaft, besonders Industrie und Gewerbe, hätten noch viel mehr Flexibilität nötig, meinen Industriellenvereinigung, Wirtschaftsminister und Wirtschaftskammer. "Nur ein Jahr an Durchrechnungszeit ist zu wenig, wir brauchen zwei Jahre", meint Gleitsmann, und er fügt hinzu: "Wenn wir schon ein Hochlohnland sind, dann müssen wir Unternehmern und Investoren, die Arbeitsplätze schaffen, etwas bieten." Die Industriellenvereinigung hat darüber hinaus zwölf Stunden Normalarbeitszeit am Tag gefordert.
Das alles, so die Arbeitgeber, soll nur temporär gelten, wenn etwa ein großer Auftrag hereinkommt, der so günstiger zu kalkulieren wäre, und so kommt das Argument der Wettbewerbsfähigkeit ins Spiel. "Das Gesetz dafür mit zehn Stunden Normalarbeitszeit pro Tag und bis zu 50 Wochenstunden hätten wir theoretisch", sagt Martin Gleitsmann, "aber diese Maximalzeiten sind an Einigungen in den Kollektivverträgen gebunden, und daran scheitert es." Selbst die von der Industrie geforderten zwölf Stunden wären theoretisch jetzt schon möglich, aber nur in Einzelvereinbarungen und mit arbeitsmedizinischem Sanctus.
Kritik von Gewerkschaft
Tatsächlich leisten die Gewerkschafter entschiedenen Widerstand. Von frühkapitalistischen Zuständen spricht der Spitzengewerkschafter und künftige Präsident der Arbeiterkammer, Rudolf Kaske, der Anfang März Herbert Tumpel ablösen soll. Misstrauen ist zu spüren, wenn er zu einer geforderten zweijährigen Durchrechnungszeit sagt, schon bei drei Monaten würden die Regeln nicht eingehalten, die Leute müssten kämpfen um ihren Zeitausgleich. "Aber weniger in der Industrie, vielmehr im Dienstleistungsbereich", räumt er ein.
Misstrauen lässt auch René Schindler erkennen, in der Produktionsgewerkschaft Pro-Ge verantwortlich für Arbeitsrecht und Sozialpolitik. Das mit der nur fallweisen Ausdehnung der Normalarbeitszeit will er nicht recht glauben und argwöhnt eine dauerhafte Verlängerung der Arbeitszeit ohne ausreichenden Lohn- oder Zeitausgleich durch die Hintertür. Und: "Die Unternehmer wollen mit mehr Flexibilisierung nur die Stammbelegschaften in den Betrieben ausdünnen und noch mehr Überstunden verlangen", meint er gegenüber der "Wiener Zeitung".
Wobei die Überstunden beiden, Arbeitgebern und Arbeitnehmern, ein Dorn im Auge sind, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen: Den Unternehmern sind die Überstunden mit ihren Zuschlägen zu teuer, daher wollen sie sie zum Teil durch flexiblere Normalarbeitszeiten ersetzen. Die Gewerkschafter fordern weniger Überstunden und mehr fixe Dauerarbeitsplätze.
"Bei den Überstunden liegen wir ohnehin schon weit vorn", sagt René Schindler und verweist auf eine Studie von Eurofound, der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen auf EU-Ebene mit Sitz in Irland. Danach haben Österreicherinnen und Österreicher im Jahr 2007 durchschnittlich 2,3 Stunden pro Woche an Überstunden gemacht - gemessen an einer durchschnittlichen Normalarbeitszeit von 38,8 Stunden. Diese Überschreitung der Normalarbeitszeit liegt weit über dem EU-Durchschnitt, wobei die Normalarbeitszeiten zwischen 35 Stunden in Frankreich und 40 Stunden in zehn weiteren EU-Ländern liegt. Die meisten Überstunden mit knapp vier pro Woche leisten die Briten, allerdings bei einer Normalarbeitszeit von knapp 37,5 Stunden, und das ergibt eine tatsächliche Wochenarbeitszeit von 41,4 Stunden.
Bei der tatsächlich geleisteten Wochenarbeitszeit samt Überstunden liegen die Österreicherinnen und Österreicher mit 41,8 Stunden im Jahr 2011 an zweiter Stelle hinter den Briten, wie ein Blick in die Tabellen der EU-Statistikbehörde Eurostat zeigt.
Zu viel Arbeit als Gefahr
Die Gewerkschafter warnen aber vor gesundheitlichen Schäden durch zu lange Arbeitszeiten. Eine Studie der Deutschen Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin sieht kritische Grenzen bei Tagesarbeitszeiten zwischen acht und zehn Stunden. Bei längeren Tagesarbeitszeiten sinkt die Aufmerksamkeit, Fehler- und Unfallrisiko nehmen deutlich zu. Müdigkeit und Fehlerhäufigkeit mindern außerdem die individuelle Produktivität.
Wochenarbeitszeiten zwischen 35 und 40 Stunden gelten als unbedenklich, über 41 Stunden bergen sie die Gefahr langfristiger Gesundheitsrisiken, von Rückenschmerzen und gesteigertem Alkohol- und Nikotingenuss mit all den Folgen, bis hin zu Burnout und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Dabei spielen nicht nur die Arbeitszeiten, sondern auch Belastungen wie Zeitdruck oder körperliche Anstrengung eine Rolle.
Auf der anderen Seite können Motivation und Erfolgserlebnisse die subjektive Belastung verringern. Als besonders belastend werden überraschend zu leistende Überstunden empfunden, auch von Teilzeitbeschäftigten, unabhängig von der absoluten Arbeitsdauer. Jenseits der 45 Stunden jedoch nehmen - unabhängig von Motivation und Erfolgserlebnis - die Beschwerden und Gesundheitsrisiken durch die Bank zu. Als Ausnahmen sehen sich Wissenschafter, Spitzenmanager und Unternehmer, sie finden auch eine 60-Stunden-Woche in Ordnung. Die Frage ist, ob Motivation und Erfolg auch bei Spitzenkräften auf Dauer Gesundheitsrisiken vermindern können.