![Eine Illustration einer Frau mit Kopftuch.](https://media.wienerzeitung.at/f/216981/2500x1875/a87666ab3f/wz_podcast_header_fatima_storer.jpg/m/384x288/filters:quality(50))
Experte: Nur Profis können heutige Aufgaben erfüllen. | Nutzen der Wehrpflicht liegt in sozialer Integration. | Plädoyer für mehr Koopertaion. | "Wiener Zeitung": Deutschland lässt die Wehrpflicht auslaufen, in Österreich ist darüber eine hitzige politische Debatte ausgebrochen. Als Militärökonom beschäftigen Sie sich mit Fragen der Effizienz von Wehrsystemen im Hinblick auf deren Kosten und Leistungsfähigkeit. Wie messen Sie diese?
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Jürgen Schnell: Zuallererst muss definiert werden, welche militärischen Aufgaben zu erfüllen und dann, welche Fähigkeiten von einer Armee bereitzustellen sind. Daraus ergeben sich entsprechende Investitionen in Infrastruktur und Ausrüstung. In Deutschland gilt, nachdem ein Angriff auf unser Territorium auszuschließen ist, als zentrale Messgröße, wie viele Soldaten wir ständig für Konfliktvermeidung und Krisenmanagement im Ausland aufbringen können. Deutschland hat derzeit 7000 Soldaten bei solchen Einsätzen engagiert.
Österreichs Bundesheer soll künftig sein Augenmerk ebenfalls auf internationale Missionen fokussieren. Was bedeutet das für die Frage Freiwilligenheer oder Wehrpflicht?
Für Auslandsmissionen benötigen Sie hochprofessionelle, hochmobile und bestausgerüstete Soldaten. Dazu benötigen Sie Profis, mit einer Armee aus Wehrpflichtigen ist das nicht zu leisten.
Und werden die Streitkräfte dadurch teurer oder billiger?
Das kommt darauf an, was Sie unter Kosten verstehen wollen. In meinen Berechnungen beziehe ich mich auf die fiskalischen Kosten, die sich aus Sicht eines Finanzministers ergeben: Ausgaben für die Wehrpflichtigen, für die Zivildienstleistenden und den Einnahmenausfall, der sich daraus ergibt, dass beide Gruppen keine Steuern bezahlen, wenn sie Dienst leisten. Hinzu kommen noch sogenannte volkswirtschaftliche Opportunitätskosten, die sich daraus ergeben, dass die Wehrdienstleistenden keinen Beitrag zum Wirtschaftswachstum leisten. Für Deutschland sind wir bei einer Armeegröße von 250.000 Mann bisher davon ausgegangen, dass sich diese Kosten auf 3 bis 4 Milliarden Euro pro Jahr belaufen.
Angesichts der aktuellen Bedrohungsanalyse und dem Anforderungsprofil an die Streitkräfte spricht also alles für ein Freiwilligenheer?
So würde ich das nicht formulieren. Man muss auch die weichen Faktoren mit ins Kalkül ziehen, die für die Wehrpflicht sprechen. Dabei geht es um die Frage, ob ein Dienst an der Gemeinschaft nicht für eine Gesellschaft positiv zu bewerten ist, um die soziale Integrationsleistung, die hier dahinter steckt; auch um die Sorge, ob eine Freiwilligenarmee nicht in erster Linie zwielichtige Rambo-Typen anzieht. Aus ökonomischer Sicht muss man berechnen, wie viel diese weichen Leistungen für die Gesellschaft finanziell wert sind. Für Deutschland würde ich diese pro Jahr mit 1 bis 2 Milliarden Euro ansetzen. Man müsste die Bürger fragen, ob sie dieses zusätzliche Geld für die Wehrpflicht aufbringen wollen.
Dienst an der Allgemeinheit muss ja nicht unbedingt an der Waffe geleistet werden. Zudem stellt sich die Frage, inwieweit ein Staat ohne Not seine Bürger zu Zwangsdiensten verpflichten kann.
Überlegungen über einen verpflichtenden Sozialdienst wurden in Deutschland aus verfassungsrechtlichen Gründen zu den Akten gelegt, es gibt aber einen freiwilligen Dienst für soziale oder ökologische Zwecke - zusätzlich zum zivilen Ersatzdienst für den verpflichtenden Wehrdienst. Mit dem Auslaufen der Wehrpflicht ist jetzt angedacht, neben dem bereits bestehenden sozialen und ökologischen Freiwilligendienst auch einen militärischen zu ermöglichen. Das verlangt jedoch natürlich nach besonderen Anreizen.
Verteidigungsminister Darabos will das mit seiner Miliz-Neu umsetzen. Wie schauen diese Anreize in Deutschland aus?
Noch ist nichts fix, es geht vor allem ums Geld: Der Budgetfahrplan der Bundesregierung bis 2014 führt meinen Berechnungen zufolge zu einer Finanzlücke bei der Bundeswehr von 5 Milliarden Euro. Grundsätzlich ist geplant, alle 18-jährigen Männer zu kontaktieren und über einen freiwilligen Militärdienst zu informieren. Besteht Interesse und Tauglichkeit, können diese sich zu 23 Monaten und sogar darüber hinaus verpflichten; in den ersten sechs Monaten gibt es für beide Seiten eine Kündigungsmöglichkeit. Von der geplanten Mannstärke der Bundeswehr von 185.000 Soldaten sollen 170.000 über Zeit- und Berufssoldaten, die restlichen 15.000 über diesen freiwilligen Militärdienst rekrutiert werden. Bisher hat der Sold für die Wehrpflichtigen knapp 400 Euro monatlich betragen, das wird beim neuen Modell sicher nicht reichen. Hinzu sind weitere Anreize wie ein bevorzugter Zugang zu Universitäten oder in den öffentlichen Dienst angedacht. Aber wie gesagt: Derzeit hapert es am Geld für diese Pläne. Wie viel bezahlt wird, entscheidet darüber, ob ein Freiwilligenheer bei gleicher Leistung teurer kommt oder nicht.
Österreich hofft, durch Kooperation mit seinen Nachbarn Kosten sparen zu können. Ist das realistisch?
Angesichts der Budgetnöte sind alle Staaten aufgefordert, im Rahmen des Nato-Bündnisses ihre Anstrengungen zu bündeln, das würde ich auch Österreich dringend empfehlen.
Österreich ist allerdings neutral . . .
Dann muss die Bündnisperspektive eben auf die Europäische Union ausgerichtet sein. Sie nehmen ja auch an den EU-Battle Groups teil. Es macht keinen Sinn, wenn jedes Land für sich alleine Luftraumtransporte oder Aufklärung organisiert.
+++ Zur Person
Jürgen Schnell, Jahrgang 1935, ist Professor für Militärökonomie an der Universität der Bundeswehr München. Zuvor war er Stellvertreter des Generalinspekteurs der Bundeswehr.