Diese Woche wurden die Freisprüche im Strafprozess um die Seilbahn-Katastrophe am Kitzsteinhorn gegen acht der insgesamt 16 Angeklagten rechtskräftig - gegen die anderen acht Freisprüche legte die Staatsanwaltschaft Berufung ein. Die rechtliche Aufarbeitung einer Tragödie ist die eine Seite - der menschliche Umgang mit den Hinterbliebenen die andere. Und dieser war in höchstem Maße kritikwürdig.
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Kann ein Urteil jemals Gerechtigkeit bringen? Leider - völlig unabhängig vom Ergebnis - nein. Gerechtigkeit ließe sich nur herstellen, wenn das Leben der 155 Opfer zurück gegeben werden könnte. Dies ist nicht möglich. Das Urteil kann also höchstens die Antwort auf die Frage bringen "wie viel ist euch, der Gesellschaft, der Republik Österreich, das Leben meines Kindes wert?"
Was hätte man tun können? Gab es eine Todesanzeige in einer Zeitung mit den Namen aller Verunglückten seitens der Republik Österreich? Gab es einen Kondolenzbesuch bei allen Angehörigen? Aus der "Süddeutschen Zeitung" ist zu entnehmen, dass Angehörige nichts von den Gletscherbahnen Kaprun hörten: "Kein Wort, keinen Anruf, keinen Besuch, kein Kondolenzbrief, nichts!" Im Strafprozess weigerten sich die Beschuldigten, Fragen der Hinterbliebenen zu beantworten.
So entsteht bei den Angehörigen der Eindruck, dass ihre toten Kinder letztlich nichts wert sind. Und so entsteht diese Verletzung, diese Wut über das, was sich in Österreich abgespielt hat. Man muss nur im Brief der Gletscherbahnen an die Angehörigen (!) vom 18. Juli 2001 lesen: "In den letzten zwei Wochen ist in unserem Unternehmen auch der Beschluss zum Bau einer zweiten Aufstiegshilfe auf das Kitzsteinhorn gefasst worden." 27 Mio. Euro werden in eine neue Doppelseilumlaufbahn investiert. Die "Investition" für den Verlust eines in Kaprun verbrannten Kindes beträgt 7.267 Euro. Zum Vergleich: Die Hinterbliebenen des Seilbahnunglücks von Cavalese (1998) erhielten 2 Mio. US-Dollar pro Opfer.
So werden die Emotionen der Angehörigen verstärkt. Daher kommt auch die Forderung nach einer strengen Strafe für die Beschuldigten. Strafe für den einen mindert nicht das Leid für den anderen. Aber wenn es sonst keine Möglichkeit gibt, um zu erfahren, dass das eigene Kind wichtig war - dann soll das zumindest durch die Höhe der Strafe erfahren werden. Nachdem niemand schuld sein will, nehmen die Angehörigen Zuflucht zum Geld als Wertmaßstab. Es wird plötzlich der letzte Maßstab zur Beantwortung der Frage, "wie wichtig ist Euch mein Kind?". Es ist nicht Geldsucht. Die Familien wissen alle, für welchen guten Zweck zur Ehre und Erinnerung an ihr Kind sie das Geld einsetzen würden. Die Gletscherbahnen Kaprun hätten problemlos auf die Erhebung der Einrede der Verjährung für zwei Jahre verzichten können. So aber waren alle Hinterbliebenen gezwungen (!), vor dem 3. Jahrestag der Katastrophe noch schnell ihre Klagen einzubringen. Und bei jedem der 243 klagenden Hinterbliebenen wächst die Verbitterung darüber, dass nicht nur ihre Angehörigen in der Bahn verbrannt sind, sondern dass sie jetzt auch noch gezwungen waren, Gerichtsgebühren in Höhe von tausenden Euro zu bezahlen.
Zu dieser Verbitterung trägt auch zusätzlich die Republik Österreich bei. Sie ist gegen (!) die Hinterbliebenen mehreren Prozessen beigetreten und hat das Klagebegehren bestritten. So teilt man den Hinterbliebenen ganz handfest mit: "Eure Kinder sind auch mir, der Republik, nichts wert"! So schließt sich der Kreis: die Gletscherbahnen, die Beschuldigten, die Republik, von allen haben die Hinterbliebenen den Eindruck erhalten, dass ihnen ihre Kinder wenig wert sind. Und deshalb gehen viele Hinterbliebene nach Amerika um zu zeigen, wie viel ihr Kind wirklich wert war.
Was die Republik lernen muss - und vielleicht ist Kaprun der tragische Anlass dazu - ist, wie man mit solchen Tragödien nicht nur strafrechtlich und formalrechtlich, sondern vor allem menschlich umgeht. n