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Der Begriff der Veranstaltung soll im Epidemiegesetz ausgedehnt werden. Das sorgt für heftige Kritik. Eine Analyse.
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Ein Sturm an Reaktionen fegte über den neuen Entwurf zu den Corona-Gesetzen hinweg. Rund 27.000 Stellungnahmen langten während der Begutachtungsfrist, die am Dienstag endete, ein. Der Großteil stammt von Privatpersonen, die sich gegen die geplanten Änderungen wenden. Denn Gegner der Corona-Maßnahmen haben über Chats und die sozialen Medien gegen den Gesetzesentwurf mobilisiert.
Für Diskussionen sorgt, dass nach dem Epidemiegesetz künftig bereits "Zusammenkünfte von zumindest vier Personen aus zumindest zwei Haushalten" als Veranstaltungen gelten sollen. Diese könnten dann etwa einer Bewilligungspflicht unterworfen oder untersagt werden - und das unabhängig davon, ob sie im privaten oder öffentlichen Bereich stattfinden. Was hat es damit auf sich?
"Es ist derzeit rechtlich unklar geregelt, was im privaten Bereich verboten werden kann und was nicht", erklärt Verfassungsrechtler Karl Stöger, Experte für Medizinrecht an der Universität Wien. "Deshalb will der Gesetzgeber da jetzt nachschärfen." Aktuell ist die Rechtslage nämlich folgendermaßen: Die Covid-19-Schutzmaßnahmenverordnung untersagt zwar an sich sämtliche Veranstaltungen. Davon ausgenommen sind aber "Zusammenkünfte im privaten Wohnbereich" exklusive "Garagen, Gärten, Schuppen oder Scheunen". "Die Verordnung nimmt den Privatbereich fast völlig von seinen Regelungen aus", sagt Stöger.
Zugleich ist in der Verordnung die Ausgangsregel festgeschrieben, wonach der eigene Wohnbereich zwischen 20 und 6 Uhr nur aus bestimmten Gründen verlassen werden darf. Zu diesen Gründen zählt aber nicht das Besuchen größerer Zusammenkünfte wie Partys.
Kontrollen nicht möglich
In der Praxis kann das zu Unklarheiten führen. Ein Beispiel: Eine Gruppe junger Männer, beladen mit Wodka und Bier, wird um 23 Uhr von der Polizei vor einem Studentenwohnheim angetroffen. Es stellt sich heraus, dass sie eine Party besuchen wollen. Daher könnte gegen sie eine Strafe wegen Verstoßes gegen die Ausgangsregel verhängt werden.
Anders ist die Lage aber, wenn sich Studenten bereits in einer Wohnung zusammengefunden haben. Handelt es sich um eine Party, bei der es zu Ruhestörungen kommt, kann die Polizei aufgrund verwaltungsrechtlicher Bestimmungen einschreiten, so Stöger. Die Gäste können dann wegen Verstoßes gegen die Ausgangsregel angezeigt werden.
Bei kleineren Gruppen, die gemütlich privat zusammensitzen, kann die Polizei dagegen nicht einschreiten. Denn zu Kontrollen des Privatbereichs ermächtigt die Schutzmaßnahmenverordnung nicht. "Es ist auch fraglich, ob solche Zusammenkünfte derzeit überhaupt verboten sind. Kontrollieren kann sie die Polizei jedenfalls nicht", sagt Stöger.
Durch die Ausdehnung des Versammlungsbegriffes im Epidemiegesetz wolle der Gesetzgeber nun klarstellen, "dass das verboten ist", sagt der Verfassungsrechtler. Gravierende praktische Auswirkungen dürfte das aber nicht haben: Denn auch im Epidemiegesetz wird festhalten, dass die Polizei den privaten Wohnbereich nicht betreten und kontrollieren darf.
"Solange keine Kontrollen stattfinden können, sehe ich den großen Unterschied zur jetzigen Rechtslage nicht", sagt Verfassungsrechtler Peter Bußjäger von der Uni Innsbruck. Letztlich handle es sich um eine "unvollständige Regelung", sagt Stöger. Sie diene vor allem der Bewusstseinsbildung: "Man kann das kritisch sehen. Aber man weiß nun einmal auch, dass diese kleinen Zusammenkünfte ein Treiber bei Covid-19 sind." Er verstehe, dass die Änderungen für Aufsehen sorgen: "Aber die Maßnahmen liegen im Rahmen dessen, was man in der Pandemiebekämpfung bisher schon gesehen hat."
Auf Kritik stößt die legistische Umsetzung der Regelung. "Dass man den Veranstaltungsbegriff auf eine so kleine Gruppe ausdehnt, ist problematisch", sagt Bußjäger. Auch die Volksanwaltschaft bemängelt in ihrer Stellungnahme: "In Bezug auf die erforderliche Teilnehmerzahl" weiche der neue Veranstaltungsbegriff "von einem über Jahrhunderte hinweg gefestigten Verständnis der Bevölkerung eklatant" ab. Es sei fraglich, ob das die "Bereitschaft zur Befolgung gesetzlicher Regelungen" fördere. Sofern der Gesetzgeber Maßnahmen gegen das Zusammenkommen von Menschen setzen will, müsse er das auch so formulieren, so die Österreichische Rechtsanwaltskammer. Die könne nicht "unter dem Begriff einer Veranstaltung versteckt werden". Für den ÖGB wird mit dem Plan "maßlos über das Ziel hinausgeschossen".
Flexiblere Ausgangsregel
Zweiter Streitpunkt ist die Änderung der Ausgangsregel im Covid-19-Maßnahmengesetz. Die Ausgangsbeschränkungen dürfen derzeit nur erlassen werden, "um einen drohenden Zusammenbruch der medizinischen Versorgung oder ähnlich gelagerte Notsituationen zu verhindern". Sie können nur als letztes Mittel erlassen werden, wenn andere Maßnahmen nicht mehr ausreichen. Künftig soll bereits "eine nicht mehr kontrollierbare Verbreitung" von Covid-19 reichen. Ebenso müssen nicht alle anderen Maßnahmen ausgeschöpft werden, wenn eine Ausgangsregel "unter Berücksichtigung aller beteiligten Interessen zweckmäßiger erscheint".
"Das ermöglicht relativ frühzeitig Maßnahmen mit schwerwiegendsten Eingriffen: Das sehe ich sehr kritisch", sagt Bußjäger. Bei einer Anfechtung vor dem Verfassungsgerichtshof könnte das aufgehoben werden: "Denn Ausgangsbeschränkungen werden schon wesentlich kritischer als etwa Betretungsregeln für Geschäfte geprüft. Für so massive Grundrechtseingriffe brauche ich sehr schwerwiegende Gründe."
Aus Sicht des Ministeriums sei zwar verständlich, dass es flexibler agieren möchte, so Bußjäger. "Aber gerade angesichts steigender Durchimpfungsraten wird sich dann schon die Frage stellen: Wie weit sind diese Maßnahmen noch notwendig?" Für Stöger ist fraglich, worauf mit dieser Änderung abgezielt werde. Gehe es nur darum, regional begrenzte Lockdowns frühzeitig möglich zu machen, sei das weniger problematisch. Denn es sei besser, ein überschaubares Gebiet frühzeitig abzuschirmen, als zu warten, bis sich die Lage so zuspitze, dass bundesweit ein Lockdown notwendig wird.