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Wie viel wusste Murdoch?

Von David Ignatius

Gastkommentare

Das Problem mit Murdochs Medien-Empire ist, dass die starke Identifikation mit dem kleinen Mann offenbar zu Überheblichkeit und Verachtung gegenüber den traditionellen Regeln geführt hat.


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Rupert Murdochs News Corp. ist ein sehr empfindliches Unternehmen. Aus dem Gespür dafür, dem Establishment Trotz zu bieten, ist ein Print- und TV-Imperium entstanden, das die traditioneller orientierten (und in Murdochs Augen elitären) Rivalen zur Verzweiflung treibt. Aber der Abhörskandal bei einem von Murdochs britischen Publikationen zeigt, wie zersetzend dieser Alles-geht-Journalismus sein kann.

Seit 2006 ist bekannt, dass "News of the World" Enthüllungen über die britische Königsfamilie veröffentlicht, die auf abgehörten Telefongesprächen basieren. Dennoch bestand man in der Redaktion darauf, unterstützt von Murdochs Führungselite, dass das Abhören lediglich das Werk eines einzelnen Reporters und eines freiberuflichen Beraters gewesen sei. Die Pyramide des Leugnens, an der laut Zeitungsberichten auch Polizeibeamte beteiligt sein sollen, zerbröckelt. Die britische Öffentlichkeit ist empört und die Polizei konfrontiert Murdochs Leute nun mit den Kernfragen jeder Vertuschungsuntersuchung: Was haben sie gewusst und wann haben sie es gewusst?

Wie viel wusste Murdoch selbst? Das wird eine Schlüsselfrage bei den kommenden Untersuchungen sein. Murdoch wird gern als "Mann des Details" beschrieben, der mehrmals täglich mit seinen Medienverantwortlichen spricht. Das heißt aber natürlich noch nicht, dass er illegale Aktionen deckte.

Wie sehr sich News Corp. gegen eine Untersuchung wehrte, wurde auch voriges Jahr durch die Reaktion des Unternehmens auf einen Artikel im "New York Times Magazine" vom 1. September deutlich. Es ging um das Versagen von Scotland Yard, Licht in die Hacker-Affäre bei "News of the World" zu bringen. Andy Coulson, der damalige Chefredakteur, soll laut Angaben von Mitarbeitern vom Abhören gewusst haben. Zitiert wird in dem Artikel auch ein Parlamentsbericht vom Februar 2010, in dem Mitarbeiter von "News of the World" bewusster Verschleierung beschuldigt werden.

Die Reaktion aus dem Lager Murdochs war sehr aufschlussreich. Statt den Fehler zuzugeben, warnte man die "Times" mit scharfen Worten davor, den Artikel zu veröffentlichen. Vorwürfe lösen bei News Corp. leicht das Gefühl aus, schlecht behandelt zu werden. Leitende Angestellte reagieren auf Kritik gern mit Entrüstung und stellen Gegner als elitär dar, als abgehoben von der Bevölkerung.

Kritiker als Snobs zu beschimpfen, das geht auf Murdoch selbst zurück. Ähnliches bekommt man auch auf "Fox News" zu hören, wenn die rechts ausgerichtete Berichterstattung als "fair und ausgewogen" verkauft wird. Laut "Fox"-Kommentatoren sind andere Medienunternehmen nicht am Puls der echten USA.

Im fairen Geist will ich Murdoch einen Punkt durchaus zugestehen: Er hätte nicht so viel Erfolg, wenn einige seiner ehrwürdigen Rivalen nicht tatsächlich elitär und manchmal einfach langweilig wären. Murdochs Verlage und Fernsehsender mögen die Standards nicht gerade verfeinert haben, aber sie sind unterhaltend. Pietätlos zu sein ist nicht das Problem. Die Medienwelt könnte mehr von dieser Murdochschen Energie brauchen, nicht weniger.

Das Problem mit Murdochs Empire ist, dass die starke Identifikation mit dem kleinen Mann offenbar zu Überheblichkeit und Verachtung gegenüber den traditionellen Regeln geführt hat. Im Namen der Bevölkerung ist alles erlaubt. Das ist, wie ein Blick in die Geschichte belegt, typisch für die, die im Namen des Volkes sprechen und dabei Grenzen überschreiten.

Übersetzung: Redaktion

Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post".