Zum Hauptinhalt springen

Wie viele Klangkörper verträgt Wien? Topographie der Orchesterlandschaft

Von Edwin Baumgartner

Analysen

Wie viele Orchester verträgt die Musikstadt Wien? Geht es nach dem ORF, sind drei genug. Denn die Rundfunkanstalt mit gesetzlichem Kulturauftrag ist drauf und dran, ihr Radio Sinfonieorchester Wien (RSO) einzusparen. Nach derzeitigem Stand dürfte die Grablegung des Klangkörpers im Jahr 2011 erfolgen. | Kann die von vier Orchestern bestimmte Konzertlandschaft Wiens auf eine dieser Säulen verzichten? Zweifellos. Aber es wäre ein Tiefschlag für die Kultur Wiens. Deren Konzert-Flaggschiff sind die Wiener Philharmoniker, die einzige künstlerische Institution in Österreich, die ohne Subventionen auskommen kann. Dieses Weltspitzenorchester ist zugleich die Hypothek für die drei anderen Orchester.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 15 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Den Rest der Wiener Konzertlandschaft teilen das Niederösterreichische Tonkünstlerorchester, die Wiener Symphoniker und das RSO untereinander auf.

Die Symphoniker tun dabei so, als gäbe es die Philharmoniker nicht, und spielen für die etwa gleiche Publikumsschicht, also das gebildete Bürgertum. Nur den elitären Anspruch schrauben sie etwas zurück. Ihr Träger ist die Stadt Wien. So ist es auch leicht zu erklären, dass die Symphoniker bisweilen weit unter Marktwert im Theater an der Wien auftreten, das ebenfalls der Stadt Wien gehört. Die geringen Gagen werden kompensiert durch die Subventionen Wiens für das Orchester, womit die Stadt ihr kostenintensives Opernhaus verdeckt subventioniert.

Das Tonkünstlerorchester ist durch seine jugend- und volksbildnerischen Aktivitäten ein unverzichtbarer Kulturträger des Landes Niederösterreich. Eine Verjüngungskur schlug sich positiv zu Buche: Die bunteren Programme ziehen auch bei den Konzerten in Wien besser.

Das RSO hat, wie fast alle europäischen Rundfunkorchester, den Auftrag, sich um die zeitgenössische Musik zu kümmern. Obendrein bemüht es sich um Komponisten der Klassik und Romantik abseits des Repertoires.

Sind also diese vier Orchester zu viel für Wien?

In München spielt die klassische Musik eine etwa vergleichbar wichtige Rolle wie in Wien. Die bayrische 1,4-Millionen-Einwohner-Metropole (Wien: rund 1,7 Millionen), leistet sich sogar fünf Orchester. Zwei davon sind Rundfunkorchester. Keiner der Subventionsgeber hinterfragt das Existenzrecht eines dieser Klangkörper. . .

Derzeit hört man bisweilen auch Beschwichtigungsversuche, der ORF werde sein hochkulturelles Aushängeschild schon nicht sterben lassen. Das freilich könnte sich als Irrtum erweisen. Denn 1995 zögerte der ORF nicht, seinen erstklassigen Chor aufzulösen. Die Musikstadt Wien brach damals zwar nicht zusammen. Empfindlich ärmer wurde sie freilich schon.