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Wie viele Politiker verträgt Demokratie?

Von Peter Krejsa

Gastkommentare
Der Autor ist Experte in internationalen Organisationen, komplexen Systemen und Strategischer Planung.

Die Politiker, die für jedes Desaster verantwortlich sind, tun so, als müssten sie gerade jetzt die Welt retten - mit genau den-selben Mitteln, mit denen sie die Desaster provozierten.


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Wir erleben eine Zeit, in der mehr Berufe verschwinden, als es bedrohte Tierarten gibt, in der Anpassung an geänderte Lebensbedingungen, die bei weitem die Klimaänderungen übertreffen, Änderungen verlangen, die nur noch über memetische Eingriffe erreicht werden können. Manager sollen so zu liebevollen, altruistischen Lämmern werden; doch nichts offenbart die Dramatik der Situation deutlicher, als dass die Forderung nach Umdenken sogar Bahn und Post erreicht hat.

Jetzt zeigt eine Berufsgruppe heroisch archaischen Überlebenswillen: Die Politiker, die für jedes Desaster verantwortlich sind, tun so, als müssten sie gerade jetzt die Welt retten - mit genau denselben Mitteln, mit denen sie die Desaster provozierten. Das, eben mit Ausnahme der Politiker, sehen eigentlich alle - und doch stellt bemerkenswerterweise niemand die Frage nach der Sinnhaftigkeit von Art und Qualität unserer Vertretungen. Nicht einmal der Ansatz eines Qualitätsmanagements wird verlangt, dem sich heute schon jede Putzfrau unterziehen muss. Dabei zeigen einfachste statistische Überlegungen die Problematik repräsentativer demokratischer Qualität.

Im EU-Parlament vertritt (statistisch) ein Abgeordneter 680.000 Einwohner, in Deutschland 140.000, in Österreich 45.500. Resultiert daraus ein vernünftiges Preis-/Leistungsverhältnis? So wie man Lebensqualität an der Zahl niedergelassener Ärzte, von Apotheken, Kinos oder Verbrechen misst?

Haben wir also auch die beste und effizienteste aller Demokratien? Haben Österreichs Politiker ihre zahlenmäßige Überlegenheit genützt, um Bankenkontrollen zu etablieren, die Regierung zu kontrollieren, Republikbeteiligungen an Spekulationen zu verhindern, die schon den Charakter des

desperaten Pleitiers zeigen, der mit den letzten Ersparnissen (der anderen) den Weg ins Spielkasino wählt? Haben sie den Weg der Republik in die Pleite verhindert, den desaströsen Verkauf von Infrastrukturen, die teuer zurückgemietet werden? Haben sie irgendetwas getan, um kosteneffizient zu arbeiten, Maßnahmen gegen den Verlust von Jobs setzen können?

Ist unsere Demokratie fast viermal besser als die deutsche? Oder arbeiten unsere Abgeordneten nur weniger? Irgendwo müssen ja ihre ausgewiesenen Produktionsreserven verborgen sein. Entweder sie nutzen diese für eine zweite Steuerkarte, was Ex-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer feinsinnig andeutete und damit einen Aufschrei auslöste, oder, ja, oder was eigentlich?

Wir können Österreichs politische Eutrophie mit dem Räuber-Beute-Algorithmus modellieren. Wird die Population der Räuber zu groß, verschwindet die Beute. Daher sucht jeder Politiker verzweifelt nach einem Thema, an dem er sich festklammern kann, und sei es nur bis zur nächsten Wahl, zur nächsten Presseaussendung. Die essenziellen Themen sind hoffnungslos, werden also wie die Pest gemieden. Besonders beliebt sind Themen, deren Resultate nicht überprüfbar sind, der weltweite Klimarettungsplan ist da ein Hammer, doch so etwas findet sich nicht alle Tage, Waldsterben ist hinter uns, Ozonloch auch, da müssen sich die weniger Begabten schon mit der hingebungsvollen Suche nach und der Befassung mit Marginalien zufrieden geben. Da entsteht intellektueller Druck. Je mehr Politiker, desto mehr muss sich der einzelne anstrengen, seine Anwesenheit zu begründen. Also erleben wir einen Wildwuchs von Marginalien.

Völlig entnervt sind dann die Guten, wenn die Wähler zu denen gehen, die ihnen zumindest versprechen, sie nicht ganz für die gute Sache auszuziehen. Doch auch das gilt nur temporär. In

der Natur sind den Räubern Grenzen gesetzt. In unseren staatlich organisierten Fischfarmen weniger.