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Wie wirklich ist die Wirklichkeit?

Von Eva Zitterbart

Politik

Samstag Abend ein altbekanntes Bild: Müde, aber glücklich lächelnd präsentierten sich die Hauptakteure im ägyptischen Ferienort Sharm el Sheikh bei der Unterzeichnung des neuesten | Friedensabkommens zwischen Israelis und Palästinensern. Sonntag Abend · ein im Nahen Osten ebenso bekanntes Bild: Autowracks nach Bombenexplosionen, Tote, diesmal drei und die sind die Täter, | Verletzte, diesmal vier, Polizisten, Einsatzwagen von Feuerwehr und Rettung und Passanten, die fassungslos sind.


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Die Attentäter waren pünktlich: eine Stunde, nachdem Israels Ministerpräsident Ehud Barak den am Vortag unterzeichneten Vertrag über die Umsetzung des Wye-Abkommens in die Praxis gegen zwei

Stimmen in der Regierungskoalition absegnen ließ, detonierten in Tiberias und Haifa die Autobomben. Nur wenige Stunden zuvor hatte ein palästinensischer Politiker gewarnt, dass militante islamische

Gruppen den eben erst mühsam wiederbelebten Friedensprozeß durch Anschläge zu stoppen versuchen würden. Auf palästinensischer Seite wird von "Null Toleranz" für Terror gesprochen und davon, dass

nichts den Friedensprozess aufhalten könne.

Was ist anders seit Sharm el Sheikh?

Das Szenario ist seit Oslo 1993 an mehreren Orten der Welt wiederholt worden und versucht immer wieder den Eindruck zu vermitteln, nun sei wirklich etwas Bedeutendes für die kommenden Generationen

geschehen. Bei kritischer Betrachtung handelt es sich zumeist um Absichtserklärungen, etwas, was längst vertraglich deklariert und als solches weltweit gelobt und gefeiert worden ist, nun auch zu

realisieren. Die Form der Realisierung wird in den Umsetzungsverträgen häufig Komitees übertragen, da man in den Details doch noch nicht ganz so einig ist, wie die feierliche Unterschriftszene mit

Handschlag glauben machen will.

Was also kann Sharm el Sheikh, was Wye nicht konnte? Nun wird Israel sich also wirklich aus den in Wye festgelegten 13 Prozent der besetzten Gebiete, von denen noch 11 Prozent zu erfüllen sind,

zurückziehen · in weiteren drei Etappen, was dann also insgesamt eine Erfüllung des Wye Abkommens in vier statt drei Etappen mit einer rund eineinhalbjährigen Verzögerung bedeutet. Die Palästinenser

gewinnen offenbar die drei Prozent in der Judäischen Wüste · nun ohne die Auflage, sie nur als Naturreservat zu nutzen. Die exakte Definition der zurückgegebenen Gebiete wird noch verhandelt; es hat

den Anschein, dass die Gebiete zusammenhängender sein werden als die bisher in Rede stehenden. Die Verbindung zwischen dem Gazastreifen und dem Westjordanland wird mit einer abgesicherten

Straßenverbindung hergestellt, die möglicherweise in der endgültigen Form eine Art Autobahn auf Stelzen sein wird. Ab Oktober immerhin sollen die 93 Kilometer von Gaza nach Hebron, 35 Kilometer

südlich von Jerusalem, für Palästinenser auf eine sicheren Straße überwindbar sein.

Gaza wird einen Hafen haben, mit dessen Planung sofort begonnen werden kann. Mit den Bauarbeiten muss noch bis Oktober gewartet werden. Israel will Sicherheitsmaßnahmen zur Küstenüberwachung treffen

können. Ausserdem gewinnen die Palästinenser mehr Bewegungsfreiheit in Hebron, wo eine der Hauptverkehrsadern, die Schuhada-Straße wieder allgemein geöffnet sein wird. Die Erleichterungen in Hebron

wurden zum Wye Abkommen völlig neu hinzugefügt.

Der harte Kern in der politischen Debatte auf beiden Seiten war die Frage nach der Freilassung palästinensischer Gefangener. Ergebnis: Von den 500 Gefangenen wird Israel 350 freilassen und in die

autonomen Gebiete abschieben: 200 in den nächsten Tagen, den Rest bis Oktober. Bei den 350 Gefangenen soll es sich auch um sogenannte Sicherheitsgefangene handeln · also Palästinenser, die in

politisch motivierte Aktionen verwickelt waren · und nicht nur um einfache Kriminelle. Die Auswahl der Freizulassenden wird eine Gratwanderung werden, die einem Komitee übertragen wird: Teilweise

werden es Gefangene sein, deren Taten in der Zeit vor Oslo verübt worden sind, als die sie entsendenden Gruppen wie die PLO allgemein und von Israel noch als terroristische Vereinigungen betrachtet

wurden. Die Geschichte kennt keine ewiggültige Moral.

Entsprechend dem neuen Abkommen werden auch die Palästinenser nun wirklich ihre Sicherheitsauflagen von Wye erfüllen, das heisst ihre Polizeieinheiten in Armeegröße auf ein Maß reduzieren, das für

die Erfüllung von Polizeiaufgaben ausreicht, illegale Waffen einsammeln und jene verhaften, die der Beteiligung an Gewalttaten in Israel beschuldigt sind und in den autonomen Gebieten Unterschlupf

fanden.

Das aufregend Neue am Abkommen von Sharm el Sheikh ist die Verknüpfung des israelischen Truppenrückzugs mit dem Abkommen über den endgültigen Status der Beziehungen der beiden politischen Entitäten,

dessen Verhandlung sehr bald beginnen und in fünf bis sechs Monaten abgeschlossen sein soll. Das Zieldatum für das Abkommen ist der 10. September 2000. Laut dem palästinensischen Verhandler Saeb

Erekat wird bis dahin kein eigenständiger Staat Palästina ausgerufen werden.

Für Israel bedeutet eine Verknüpfung, dass es den letzten Teil des Truppenabzugs vom Verhandlungsergebnis abhängig machen kann. Aber das ist schon einen Tag nach Sharm el Sheikh umstritten: Ägypten

widerspricht Israel, dass diese Verknüpfung bestehe. Das eigentliche Problem liegt aber wohl darin, dass es nach den bisherigen Erfahrungen mehr als unwahrscheinlich ist, dass in fünf bis sechs

Monaten der endgültige politische Status der Autonomiegebiete und ihre Grenzen mit Israel festgelegt sein werden, die überaus sensible Situation Jerusalems als israelische oder auch palästinensische

Hauptstadt geklärt ist, und Einigkeit erzielt wird in Sachen Rückkehrrecht von emigrierten Palästinensern auch in israelisches Staatsgebiet · wogegen sogar der Friedensaktivist Uri Avnery auftritt.