Zum Hauptinhalt springen

Wie wirksam ist der vierte Stich?

Von Eva Stanzl

Wissen

Schutz vor schwerem Covid-Verlauf: Für wen ein zweiter Booster angebracht ist und wie oft.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 2 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Ein großer Teil der Menschen in westlichen Industrieländern ist mittlerweile vollständig gegen das Coronavirus Sars-CoV-2 geimpft, hat also zwei Dosen plus einen Booster erhalten.

Das Immungedächtnis, das anhaltend vor schweren Erkrankungen schützt, ist bereits nach zwei Dosen derzeitiger Corona-Impfstoffe auf hohem Niveau und eine dritte Dosis verstärkt den Schutz. Allerdings lässt die Produktion von Antikörpern nach wenigen Monaten nach, weswegen eine vierte Dosis in Erwägung gezogen wird, um die Gesundheitssysteme spätestens im Herbst nicht zu überlasten. Daten aus Israel, das in dieser Hinsicht ein Vorreiter ist, zeigten vor allem bei älteren Personen, dass der vierte Stich den Immunschutz abermalig verstärken kann.

Für wen wäre ein zweiter Booster angebracht und in welchen Intervallen, sollte dieser erfolgen? Oder soll die Devise lauten: Je mehr Booster, desto besser? Diese Frage beschäftigt die Forschung ein Jahr nach Verabreichung der allerersten Impfdosen.

Die Europäische Arzneimittelagentur empfiehlt den vierten Stich für alle Menschen ab 80 Jahren, in Österreich ergänzt das Nationale Impfgremium seine Empfehlung um Risikogruppen. Deutschlands Ständige Impfkommission wiederum sieht die Altersgrenze bei 70 und die USA sehen sie bei 50 Jahren. Welche Faktoren in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen, analysierten Experten kürzlich in einer Online-Pressekonferenz des deutschen "Science Media Center" zu Nutzen und Perspektiven weiterer Covid-19-Booster.

Einer Infektion setzt der Körper Antikörper entgegen. Nur ein Teil dieser Antikörper wirkt neutralisierend und kann, wenn in ausreichender Menge vorhanden, eine Infektion verhindern. "Bereits nach einigen Wochen reichen die erreichten Titer an neutralisierenden Antikörpern für einen kompletten Schutz vor einer Omikron-Infektion nicht mehr aus", sagte Christoph Neumann-Haefeling, Leiter der Arbeitsgruppe Translationale Virusimmunologie der Universitätsklinik Freiburg.

Reifungsprozess der Antikörper

Laut einer Studie im Fachjournal "The Lancet Respiratory Medicine" verringert sich der zunächst hohe Schutz gegen schwere Verläufe von Omikron bei einem Booster von mRNA-Impfungen nach drei Monaten. Im Untersuchungszeitraum von Dezember 2021 bis Februar 2022 waren die Delta- als auch die Omikron-Varianten im Umlauf. Nach drei Dosen betrug die Wirksamkeit des Impfstoffs gegen Spitalseinweisungen wegen Omikron 85 Prozent innerhalb der ersten drei Monate und danach 55 Prozent. Bei Delta waren die Trends ähnlich, jedoch wurde die Wirksamkeit höher eingeschätzt.

Etwas anders verhalten sich die Gedächtniszellen des Immunsystems. Diese T-Zellen würden Infektionen zwar nicht verhindern, sie aber verkürzen oder abmildern. "Der Schutz durch die T-Zellen ist dauerhafter als der Schutz durch neutralisierende Antikörper und lässt sich durch Booster reaktivieren", erklärte Neumann-Haefeling, und: "Ein kompletter Schutz vor der Infektion durch fortwährendes Boostern ist nicht realistisch. Ziel einer zweiten Booster-Impfung muss sein, vor schweren Infektionsverläufen zu schützen."

Dahinter steckt die Beobachtung, dass manche Menschen sehr gute und andere weniger nachhaltige Immunantworten auf mRNA-Impfungen produzieren. "Das hat im Allgemeinen mit dem Alter zu tun oder der Frage, ob jemand Medikamente einnimmt, die das Immunsystem beeinträchtigen, wiewohl es auch unter Älteren High Responder gibt", sagte Christine Falk, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie. "Immunologisch wäre man mit einem vierten Stich für alle ab 70 auf der sicheren Seite."

Andreas Radbruch, Direktor des Deutschen Rheuma-Forschungzentrums in Berlin, unterstrich den Stellenwert des adaptiven Immunsystems, "das uns an Krankheitserreger anpasst, sodass wir von ihnen nichts mehr merken". Ihr Schutz entstehe durch Justieren. "Wenn das gleiche Antigen immer in der gleichen Konzentration an den gleichen Ort kommt, das heißt eine Spritze mit immer der gleichen Menge von Impfstoff, wird das Immunsystem seine Antikörper so hochfahren, dass sie das Antigen abfangen, bevor es eine Immunreaktion auslösen kann." Mit der Zeit würden die Antikörper immer besser im Kampf gegen den Erreger. Allerdings lasse sich dieser Reifungsprozess nicht abkürzen, "denn dann hat man zwar mehr Antikörper, aber schlechtere. Es ist also sinnvoll, mit einem vierten Stich bis zum Herbst zu warten", sagte Radbruch.