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Wieder auf Kurs?

Von Martyna Czarnowska und Michael Schmölzer aus Bratislava

Politik

Die EU will Fahrt aufnehmen - die Staats- und Regierungschefs demonstrieren Zusammenhalt ohne Großbritannien.


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Bratislava. Eine Donau-Kreuzfahrt im Sonnenschein, ein Mittagessen am fein gedeckten Tisch: Das Sondertreffen der 27 EU-Staats- und Regierungschefs in Bratislava hatte äußerlich die Voraussetzungen dafür, zu dem "guten Tag" für die Union zu werden, den die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sich im Vorfeld gewünscht hatte. Auch wenn die Postkarten-Idylle ein wenig von den ratternden Rotorblättern der Polizeihubschrauber und den zahlreichen Schlauchbooten mit Kampftauchern, die die "MS Regina Danubia" umgaben, beeinträchtigt wurde.

Aber die Botschaft der Spitzenpolitiker sollte klar sein: Wir lassen die Misserfolge der letzten Zeit hinter uns und wollen uns weiterbewegen, auch ohne Großbritannien. Das war bei der Sitzung sowieso nicht vertreten. In der Schlusserklärung wird das so formuliert: "Wir sind entschlossen, mit 27 Mitgliedstaaten einen Erfolg aus der EU zu machen." Merkel beschwor nach dem Treffen gar den "Geist von Bratislava". Die Zusammenkunft sei ein Ausgangspunkt für weitere, intensive Arbeit gewesen, erklärte sie bei einem gemeinsamen Presseauftritt mit dem französischen Staatspräsidenten Francois Hollande.

Flexible Solidarität

Beide betonten, dass die Gespräche "konstruktiv und gut" gewesen seien. Was bedeutet, dass keine großen Vorhaben fixiert wurden. Umfassend waren aber die Themenbereiche: Migration, Sicherheit, Verteidigung, Wirtschaftswachstum. Auf den Aufschwung wollte vor allem Österreichs Bundeskanzler Christian Kern den Fokus legen. Es gehe um "Wachstum, Wachstum und noch einmal Wachstum", befand er. Darauf legt auch die EU-Kommission Wert: Ihr Präsident Jean-Claude Juncker drängt auf einen Beschluss zur Verdopplung des europäischen Investitionsfonds bis März nächsten Jahres. Gleiches gilt für einen Unterstützungsfonds für Afrika. Einen weiteren gemeinsamen Topf soll es für Investitionen im Verteidigungsbereich geben.

Aber auch die Visegrad-Staaten Polen, Ungarn, die Slowakei und Tschechien präsentierten ihre Vorschläge für die Zukunft der EU. Dabei ging es vor allem um die umstrittene Flüchtlingspolitik. Den von der EU-Kommission favorisierten verpflichtenden Verteilungsquoten setzen die Osteuropäer das Konzept der "flexiblen Solidarität" entgegen: Jedes Land soll selbst entscheiden, wie viele Flüchtlinge es aufnehmen will. Das ist die bekannte Position, und es ist nicht absehbar, dass sich die Fronten in dieser Frage bald aufweichen. In Österreich findet die Idee aber bei der FPÖ Anklang. Parteiobmann Heinz-Christian Strache plädierte gegenüber der "Tiroler Tageszeitung" dafür, sich um eine Aufnahme des Landes in die Visegrad-Gruppe zu bemühen.

Kooperativer als in der Flüchtlingspolitik zeigen sich die ost- und mitteleuropäischen Staaten bei einer anderen Idee: der zum Aufbau einer "gemeinsamen Verteidigungsstruktur". Die Schaffung einer schlagkräftigen EU-Armee ist zwar noch keineswegs in Sicht. Doch wollen Frankreich und Deutschland, die beide zuletzt Ziele von Terroranschlägen waren, die Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Gemeinschaft auf eine neue Basis stellen und haben schon ein entsprechendes Papier ausgearbeitet.

So sollte die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und damit die Effizienz im militärischen Bereich erhöht werden, heißt es in dem Dokument. Doch die grundsätzliche Verantwortung soll bei den einzelnen EU-Ländern bleiben. Die EU-Kampfverbände sollen jedenfalls mehr Schlagkraft erhalten. Die Kooperation mit dem transatlantischen Militärbündnis Nato soll verbessert werden.

Gerade das war in der Vergangenheit ein Streitpunkt. Eine Mehrheit der EU-Staaten sind nämlich Nato-Mitglieder, und die USA haben stets vor der Schaffung von Parallelstrukturen gewarnt. Das ist heute nicht anders: Politiker wie die litauische Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite pochen darauf, dass ein zusätzliches Militärbündnis oder ein Nato-Ersatz nicht notwendig sei. In der Bratislava-Erklärung ist lediglich ein Verweis auf eine Deklaration zur verstärkten Zusammenarbeit zwischen EU und Nato zu finden.

Neue Bündnisse

Doch öfter sind es kleinere Gruppen, die auf Kooperation innerhalb der EU setzen. Und es entstehen immer wieder neue Bündnisse, manchmal nur für einzelne Bereiche. So arbeiten Österreich und Ungarn beim Grenzschutz zusammen: Wien will zusätzlich Soldaten - mehr als hundert - an die serbisch-ungarische Grenze schicken. Bei anderen Themen hingegen gibt es massive Differenzen. So weigert sich Ungarn, Asylwerber von Österreich zurückzunehmen.

Gelegenheit zum Gespräch wird es aber schon wieder kommenden Samstag geben. Bundeskanzler Christian Kern hat Amtskollegen aus zehn Staaten nach Wien zu einem Flüchtlingsgipfel geladen. Neben Ungarn werden Deutschland, Griechenland sowie andere Balkan-Länder vertreten sein.

Eine konkrete Zusage hat es bereits in Bratislava für Bulgarien gegeben. Zur Sicherung der Grenze mit der Türkei will die EU 200 Grenzbeamte entsenden und 50 Fahrzeuge zur Verfügung stellen. Finanzhilfe soll ebenfalls folgen: 108 Millionen Euro.

"Wir sind in einer kritischen Situation. Es geht darum, durch Taten zu zeigen, dass wir besser werden können." (Angela Merkel, deutsche Bundeskanzlerin)
"Wir wollen alle zeigen, dass dies ein einzigartiges Projekt ist, und dass wir mit diesem Projekt weitermachen müssen." (Robert Fico, Gastgeber und slowakischer Ministerpräsident)
"Europa ist der großartigste politische Traum, der jemals umgesetzt wurde. Aber nach 70 Jahren Frieden wollen wir, dass Europa uns Zukunft, Werte und Identität gibt." (Matteo Renzi, italienischer Regierungschef)
"Was Europa braucht, ist eine neue Vision und eine konkrete Agenda des Wandels." (Alexis Tsipras, griechischer Ministerpräsident)
"Die EU kann nur ihre Zukunft haben, wenn wir vereint bleiben." ((Miro Cerar, slowenischer Ministerpräsident)
"Europa (...) steht vor einer Anstrengung - dem Brexit - und gleichzeitig einer Herausforderung: mit 27 (EU-Ländern) zu leben und dabei europäische Bürger besser zu schützen und sicherzustellen, dass wir die Zukunft vorbereiten können." (Francois Hollande, französischer Präsident)
"Wir brauchen eine starke EU, daran gibt es keinen Zweifel." (Stefan Löfven, schwedischer Ministerpräsident)
"Der, der jetzt sagt, dass in Europa alles gut läuft, der braucht eine neue Brille." (Xavier Bettel, Premierminister von Luxemburg)
"Wer Europa liebt, der muss Interesse haben, dass es sich verändert." (Bundeskanzler Christian Kern)

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