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Wieder im Spiel

Von Gerhard Lechner

Politik

Gemeinsame Koalition gegen den IS mit Frankreich, Lob von den USA: Russland profitiert vom Kampf gegen den Terror.


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Moskau/Paris/Wien. Vor wenigen Wochen noch war die Rolle des Gottseibeiuns im Westen klar besetzt. Hier die anständigen Politiker der EU, demokratischen Werten und rechtsstaatlichen Normen verpflichtet. Und dort - Wladimir Putin. Der russische Präsident, von Karikaturisten schon einmal als aufreizend lässiger Barbar mit der Kalaschnikow dargestellt, der rechtsbrecherische Autokrat aus dem Kreml, der Sowjet-Nostalgiker, der einen Angriffskrieg gegen die Ukraine vom Zaun gebrochen hat, als sich diese anschickte, sich Europa zuzuwenden. Seit Putins Krim-Coup herrschte in dem ohnedies unterkühlten Verhältnis Russland-EU Eiszeit.

Bis letzten Freitag. Denn der Terroranschlag des Islamischen Staates (IS) in Paris änderte die Stimmung schlagartig. Der Umstand, dass auch Russland Ziel des IS-Terrorismus wurde - es war eine IS-Bombe, die das russische Urlauberflugzeug über dem Sinai zerschellen ließ, der IS zeigte am Mittwoch ein Bild einer Getränkedose, in der die Bombe angeblich versteckt war -, ließ Kreml und Élysée-Palast zusammenrücken. Putin ordnete eine enge Koordination mit Frankreich in Syrien an. Die Franzosen sollten "wie Verbündete" behandelt werden. Und Frankreichs Staatspräsident François Hollande kündigte die Bildung einer "breiten Koalition" gegen den IS an - unter Beteiligung Russlands. Die französischen und russischen Verteidigungsministerien und Geheimdienste sollen dabei zusammenarbeiten. Hollande wird Putin am 26. November auch einen Besuch abstatten.

Veränderte Prioritäten

Ändert also Paris tatsächlich plötzlich alles? "Es gibt natürlich weiterhin erhebliche geopolitische Differenzen", sagte Heinz Gärtner, der Direktor des Österreichischen Instituts für Internationale Politik (OIIP), zur "Wiener Zeitung". "Im Islamischen Staat haben Russland und der Westen jetzt allerdings einen gemeinsamen Feind gefunden", meinte der Politologe. Und der Kampf gegen diesen Feind überlagert - wenigstens momentan - die bestehenden Differenzen. "Bisher haben jene Staaten, die in Syrien bombardiert haben, ihre Luftangriffe sehr selektiv durchgeführt", analysiert Gärtner. Jeder der Akteure habe seine eigene geopolitische Agenda verfolgt: Russland unterstützte den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad, der Westen die extrem heterogene Gruppe der Rebellen. "Jetzt, nach den Pariser Anschlägen, bombardieren die Franzosen plötzlich die Kommandozentren und Munitionsdepots des Islamischen Staates. Da fragt man sich, warum nicht vorher?", fügt Gärtner an. "Mit den Anschlägen von Paris haben sich offensichtlich die Prioritäten verändert. Vorher hieß es: Geopolitik zuerst, dann der Kampf gegen den IS, der lange als regionales Phänomen wahrgenommen wurde. Jetzt hat sich das umgekehrt", schätzt Gärtner die Lage ein.

Keine Sanktions-Lockerung

Auf die Ukraine-Krise dürfte sich dieser Schwenk nach Ansicht Gärtners kaum auswirken. Auch Russland-Experte Gerhard Mangott glaubt nicht an einen Kurswechsel in Osteuropa - zumal besonders die USA sich weigern würden, die Sanktionen gegen den Kreml zu lockern, und auch Deutschland sehr zögerlich agiert. Und trotz des jüngsten Lobes von US-Präsident Barack Obama, der Russland einen "konstruktiven Partner" bei den Syrien-Gesprächen in Wien nannte, bestünden tiefe Differenzen: "Es gibt zwischen den USA und Russland nur eine Vereinbarung, die regelt, was passiert, wenn man sich in der Luft begegnet, sonst nichts. Also auch keine Abstimmung über militärische Ziele", sagte Mangott der "Wiener Zeitung".