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Die Atemlosigkeit, mit der in Österreich bereits Minuten und Stunden nach Vorliegen eines ungefähren Wahlergebnisses Konsequenzen und Koalitionsentscheidungen eingefordert werden, entspricht der medialen Systemlogik und nicht der politischen Verantwortung, aus der rechnerischen Verteilung der Wählerstimmen auch einen politischen Willen der Bürger abzuleiten. Und dann gilt es erst noch, die qualitativen wie quantitativen Dimensionen des Wahlergebnisses zu fassen und zu verarbeiten. Da hat jede Partei Beschäftigung für mehr als nur einen Tag.
Was, um nur ein Beispiel zu nennen, bedeutet es für die Demokratie in einem Land, wenn zwischen Mitte-Rechts und Mitte-Links ein tiefer Graben verläuft, den fast kein Wähler mehr überschreitet? Zumal für ein Land, in dem zwar Mitte-Rechts über eine stabile Mehrheit verfügt, dessen rechter Rand aber chronisch regierungsunfähig ist?
In einer solchen Situation wären lagerübergreifende Bündnisse eigentlich die naheliegende Antwort. Aber was, wenn nicht mehr nur keine Wähler mehr die Seite wechseln wollen, sondern auch die Parteien kein Bündnis mehr mit einer Partei vom anderen Ufer schließen wollen?
Dann, ja, dann gibt es in einem solchen Land ganz automatisch keine stabile politische Regierung mehr. Österreich könnte demnächst ein solches Land ohne Stabilität sein; wenn es das, im Bund jedenfalls, nicht schon ist. Den Ländern ist es gelungen, weit weg von den Gesetzen des Wiener Betriebs ein eigenes politisches Mikroklima zu schaffen.
Auf deren Ressourcen wird es in den kommenden Wochen und Monaten auch wesentlich ankommen, soll die Aussicht auf eine türkis-grüne Koalition tatsächlich eine Chance erhalten. Die Grünen stehen im Moment noch ohne jede funktionstüchtige Struktur auf Bundesebene da, die imstande wäre, die fachliche, organisatorische und politische Last von Sondierungs- und anschließenden Regierungsverhandlungen zu stemmen.
Zu diesem Zweck ist die Ökopartei auf ihre Landesorganisationen angewiesen, die bereits Regierungsverantwortung tragen - und zwar mehrheitlich mit der ÖVP, in Wien mit der SPÖ. Der neue Parlamentsklub, in dem meist frische Gesichter sitzen werden, wird bei den Verhandlungen wohl allenfalls eine Nebenrolle spielen. Diese Konstellation kann für abgeklärte Nüchternheit in den durchaus komplizierten Gesprächen zwischen den bis dato antagonistischen Parteien sorgen. Und umso mehr, je mehr auch die türkise Volkspartei die grünen Erfahrungen ihrer schwarzen Landesparteien berücksichtigen wird. ÖVP wie Grüne müssen ihre Wahlsiege erst noch in echte Politik umwandeln.