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Wieder träumt man vom starken Mann

Von Clemens M. Hutter

Gastkommentare

Dramatische Fakten: Erstens erwarten unsere Wirtschaftsforscher, dass die Zahl der Arbeitslosen heuer von 210.000 auf 300.000 ansteigen wird. Zweitens haben 25Prozent der Österreicher laut Umfragen die Demokratie satt und plädieren für einen starken Mann. Zwei Monate vor Adolf Hitlers Machtübernahme am 30. Jänner 1933 waren nahezu sechs Millionen Deutsche arbeitslos, und 34 Prozent liefen dem starken Mann Hitler nach.


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Ernüchternde Rückblende auf Österreich im Würgegriff der Weltwirtschaftskrise ab 1930: 1933 Höchststand der Arbeitslosigkeit mit 557.000 Personen (26 Prozent) - nicht gezählt 120.000 "Ausgesteuerte".

Das österreichische Sparprogramm damals: Kürzung des Arbeitslosengeldes von wöchentlich 20 Schilling um 20 Prozent und der Auszahlung von 30 auf 20 Wochen; Entlassung von Frauen aus dem öffentlichen Dienst, wenn ihre Ehemänner auch Staatsdiener waren. Das traf vor allem Lehrerinnen auf dem Land. Ein Viertel aller Betriebe drückte die wöchentliche Arbeitszeit von 48 auf unter 40 Stunden und dementsprechend auch den Lohn. Und die Wirtschaftsleistung stürzte um ein Drittel ab.

Es kam noch dicker: Weil sich die Regierung gegen gewalttätige Agitation Deutschlands für eine "Wiedervereinigung" wehrte, verhängte Hitler die "1000-Mark-Sperre" für Visa zu Reisen nach Österreich. Das drosselte den Zustrom deutscher Touristen von 748.000 (1932) auf 70.000 (1934).

Gemessen daran geht es uns heute ungleich weniger schlecht. Das tröstet die Arbeitslosen und die beruflich aussichtslosen Jungen absolut nicht. Daher sammeln unsere Rechtsaußen ein Sechstel des Wählervotums ein. Aber die weitere Geschichte der Dreißigerjahre kann sich wohl nicht wiederholen.

Die Geheimberichte der Salzburger Gendarmerie an die Landesregierung waren damals dramatisch: Begeisterung und Bewunderung für Hitler, weil er bis 1936 alle sechs Millionen Arbeitslosen wieder in Job und Brot brachte und angeblich "Massen" für den Autobahnbau einsetzte.

Österreich kratzte umgerechnet 65 Millionen Euro für den Bau der Glocknerstraße (1930 bis 1935) zusammen, der durchschnittlich 3400 Mann - also 0,6 Prozent der Arbeitslosen - beschäftigte. Auch an dieser Vorgeschichte sind die Ovationen der Österreicher für Hitler 1938 zu messen.

Was tun mit jenem Viertel der Österreicher, die von einem starken Mann träumen? Was tun, damit die Politikverdrossenheit schwindet? Das Kassieren der 106.000 Vorzugsstimmen für Othmar Karas und das Kurvengerede der Parteioberen zu diesem Vertrauensbruch oder der Wechsel des "Onkels" zu einem anderen "Neffen" gehören genau in diesen Kontext, den die Demonstranten in Teheran klassisch formulierten: "Wo ist meine Stimme?"

Sonntagsredner fabulieren beständig, dass die "wehrhafte Demokratie" auf dem Vertrauen des "Souveräns" Volk basiere. Wie es gewinnen, wenn dieser Souverän so sauer ist?

Clemens M. Hutter war bis 1995 Ressortchef Ausland bei den "Salzburger Nachrichten".