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Wieder zwei neue Minister in Borissows Kabinett in Sofia

Von WZ-Korrespondent Frank Stier

Europaarchiv

Treuer Parteisoldat soll stagnierende Wirtschaft in Gang bringen.


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Sofia. Vor zehn Jahren attestierte die Europäische Kommission Bulgarien den Status einer "funktionierenden Marktwirtschaft", eine wichtige Voraussetzung für den EU-Beitritt des Landes 2007. Gelegentlich aber können einem Zweifel an der marktwirtschaftlichen Funktionsweise der bulgarischen Volkswirtschaft kommen, etwa wenn Ministerpräsident Boiko Borissow seine Minister in die Geschäfte schickt, um vor Ostern den Eierpreis zu kontrollieren, und den Landwirten mit Subventionsentzug droht, falls dieser sich als hoch erweist.

Wegen wochenlanger Mediendebatten über angeblich überhöhte Medikamentenpreise musste Gesundheitsminister Stefan Konstantinow seinen Posten räumen. Dem Mediziner folgt mit der am Mittwoch von der Volksversammlung ins Ministeramt gewählten Desislawa Atanasowa eine erst 33-jährige Juristin nach. Sie stand bisher für die Regierungspartei Gerb der parlamentarischen Gesundheitskommission vor. Mit ihr hat Bulgarien bereits den vierten Ressortleiter seit Borissows Amtsantritt vor zweieinhalb Jahren, ein klares Zeichen dafür, dass die Regierung ihrem Wahlkampfversprechen, das marode Gesundheitswesen zu reformieren, bisher nicht nachgekommen ist.

War Konstantinows Rückgang nicht nur wegen der medialen Aufregung über die Medikamentenpreise erwartet worden, so kam der vor einer Woche bekanntgegebene Rücktritt von Wirtschafts- und Energieminister Traitscho Traikow für viele überraschend.

Über das Motiv kursieren viele Versionen. Nannte Innenminister Tswetan Tswetanow "persönliche Gründe" für dessen Abgang, berichtete Traikow, dieser habe ihn dazu gedrängt. Der Premier wiederum machte Traikow für das Scheitern eines Wirtschaftsforums während seines Staatsbesuchs in Katar verantwortlich - das allerdings vom Außen- und nicht vom Wirtschaftsministerium organisiert worden war. Finanzminister Simeon Djankow jedenfalls will schon vor der Katar-Reise vom anstehenden Rücktritten beider Minister gewusst haben. Traikow könnten aber auch Kontroversen mit dem Premier über die Energiepolitik das Amt gekostet haben. Der Parteilose, vor seiner Ministertätigkeit Prokurist bei der EVN Bulgaria, galt als skeptisch bezüglich des geplanten AKW Belene und anderer russischer Großprojekte wie der Gas-Pipeline South Stream. Zu seinem Nachfolger wurde der bisher für Energie zuständige VizeMinister Deljan Dobrew berufen.

Große Fluktuation in Borissows Kabinett

Neun Minister haben das Kabinett Borissow in zweieinhalb Jahren verlassen müssen. Mit Traikow geht nun einer der wenigen Minister, die es wagten, dem dominanten Regierungschef gelegentlich in Sachfragen zu widersprechen, etwa wenn es um eine von Borissow in Erwägung gezogene Mehrwertsteuererhöhung ging oder um dessen lässig hingeworfene Drohung der Verstaatlichung von Stromnetzbetreibern. "Mit Atanasowa und Dobrew bringen wir die schwere Artillerie der Gerb in Stellung", hat Borissow im Hinblick auf die Parteizugehörigkeit seiner neuen Minister gesagt. Doch dass es seiner Regierung mit Parteisoldaten besser gelingen wird als mit Experten, im letzten Jahr ihrer Legislaturperiode die ungelösten Probleme im Gesundheitswesen zu lösen und die stagnierende Wirtschaft in Gang zu bringen, darf als wenig wahrscheinlich gelten.