Ministertreffen in Bern auf Drängen der US-Administration. | Istanbul. Als der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu vor etwa einem Monat mit dem israelischen Verteidigungsminister Ehud Barak sprach, kam es zu Schreiduellen. Kurz vor dem Telefonat hatte Davutoglu erfahren, dass israelische Soldaten das türkische Schiff "Mavi Marmara" gestürmt und neun Aktivisten erschossen hatten, die Israels Blockade des Gaza-Streifens durchbrechen wollten. Nach dem Gespräch herrschte wochenlang Funkstille zwischen beiden Ländern. Nun gibt es die ersten Versuche zur Wiederannäherung. Dahinter steht realpolitische Vernunft - aber auch der Druck der USA.
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Als Reaktion auf den Tod der Gaza-Aktivisten zog die Türkei ihren Botschafter aus Israel ab. Premier Recep Tayyip Erdogan sprach von "Staatsterror" und verlangte von Israel eine Entschuldigung. Ankara verweigerte israelischen Militärflugzeugen die Durchquerung des türkischen Luftraums.
Deeskalation auf Raten
Eine rasche Erholung der einst sehr engen Beziehungen ist unwahrscheinlich, aber die Türken wollen alles tun, um einen unwiderruflichen Bruch mit Israel zu vermeiden. "Keiner will die Beziehungen an die Wand fahren", sagt ein Ankaraner Spitzendiplomat. "Es muss etwas unternommen werden, um aus dieser Situation herauszukommen."
Nun tat Davutoglu genau das. In der Schweiz traf er sich mit dem israelischen Handelsminister Benjamin Ben-Eliezer. Im ersten hochrangigen Regierungskontakt seit der Gaza-Krise ging es um Möglichkeiten zur Überwindung der Spannungen. Israel soll etwa Entschädigungszahlungen für die Hinterbliebenen der Opfer in Aussicht gestellt haben. Nach zweieinhalb Stunden vereinbarten die Minister, sich bald wieder zu treffen. Termin gibt es noch keinen, schließlich sind längst nicht alle Mitglieder der beiden Regierungen einverstanden mit der Kontaktaufnahme. Der als Hardliner bekannte israelische Außenminister Avigdor Lieberman war gar außer sich, als er von dem Treffen erfuhr. Er beklagte vor allem, dass er vorab nicht informiert war.
Urgiert hatte die informellen Gespräche Washington. Schon seit Ausbruch der Krise sind die USA bemüht, zwischen ihren beiden Verbündeten zu vermitteln. So berichtete Erdogan in einem Zeitungsinterview, es sei nur der persönlichen und raschen Intervention von Präsident Barack Obama zu verdanken gewesen, dass alle überlebenden türkischen Aktivisten schon am Tag nach dem Angriff auf die "Mavi Marmara" aus israelischem Gewahrsam in die Türkei heimkehren konnten. Laut Erdogan will Obama zudem kommende Woche mit dem israelischen Premier Benjamin Netanyahu in Washington über die Gaza-Krise reden. Türkische Zeitungen spekulieren bereits, Obama werde Netanyahu zu einer Entschuldigung für den Angriff zwingen. Das ist zwar unwahrscheinlich, aber der Trend zur Entspannung ist unverkennbar.
Türkische Außenpolitiker sind sich bewusst, dass ihr Land seine angestrebte Führungsrolle im Nahen Osten nur dann ausfüllen kann, wenn es einigermaßen funktionierende Beziehungen zu allen Ländern hat, also auch zu Israel. Zudem möchte Ankara nicht, dass die sehr enge militärische Zusammenarbeit mit Israel gänzlich zerstört wird. Derzeit erwartet die Türkei die Lieferung unbemannter Spionageflugzeuge (Drohnen) aus Israel, die im Kampf gegen die PKK-Rebellen eingesetzt werden sollen.