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Wiederbelebung alter Bauformen

Von Bernhard Widder

Reflexionen
Parsi während eines Vortrags im Literarischen "Salon" in der Wiener Praterstraße 17.
© Bernhard Widder

Ein Gespräch mit dem iranischen Architekten und Theoretiker Faramarz Parsi, der an einer produktiven Verbindung von moderner Architektur und traditioneller iranischer Lehmbauweise arbeitet.


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"Wiener Zeitung": Herr Parsi, was hat Sie bewogen, die alten iranischen Lehmbau-Traditionen zu erforschen?Faramarz Parsi: Es geht mir um eine Verbindung von Tradition und Moderne. Schon als Student habe ich ein sehr altes Gebäude gezeichnet und vermessen: "Tarikhaneh", die älteste erhaltene Moschee Irans (760 n. Chr.) in Damghan, einer Stadt 360 Kilometer östlich von Teheran. Ich bewunderte dieses Werk, das war der Anfang meiner Beschäftigung mit iranischer Tradition. Ich wollte herausfinden, welche Ideen hinter den alten Formen stecken.

In der Stadt Kashan, 240 Kilometer südlich von Teheran, soll es etwa 1000 historische Gebäude geben, von denen viele unter Denkmalschutz stehen. Ähnliches wird über die Stadt Yazd im Zentrum des Iran berichtet.Die Zahlen werden stimmen, aber nicht alle diese Gebäude stehen unter Denkmalschutz. Mit Renovierungen hat sich in der letzten Zeit viel getan, was mit dem wachsenden Tourismus zu tun hat. Die Besitzer investieren, um die alten Häuser als Gästehäuser und Hotels zu verwenden.

Ist der internationale Tourismus im Iran eine neue Entwicklung?

Tourismus gab es auch früher, aber generell ist er abhängig von der Beziehung des Iran zur Welt. Derzeit zeichnet sich langsam eine positive Entwicklung ab, die zu vermehrtem Tourismus führen kann. Touristen besuchen die alten Städte, und dadurch entdecken die Bewohner den Wert der alten Gebäude wieder und beginnen zu renovieren. Leider muss man sagen, dass in den letzten dreißig Jahren nur wenige neue Häuser aus Lehm geplant und gebaut worden sind. Eine ganze Generation iranischer Architekten hat diese alte Bauform völlig vergessen.

Gibt es ein Umdenken?

Zurzeit ist noch wenig vorhanden. Aber ich glaube, dass in Zukunft das Bauen mit Lehmziegeln in den iranischen Städten wieder mehr betrieben wird.

Das Dorf Esfahak wurde 1978 bei einem Erdbeben zerstört, und soll nun in alter Gestalt wieder aufgebaut werden.Mahdi/ Wikimedia

Wurde diese Bauweise im Iran verdrängt, weil sie als traditionell, arm und rückständig galt?

Das ist ein Grund, warum Lehm so wenig verwendet wurde. Ein weiterer wichtiger Punkt ist: Iraner müssen immer mit Erdbeben rechnen, und sie denken, dass Lehm-Häuser nicht stark genug sind, Erdbeben zu überstehen. Ich glaube das aber nicht. Man kann Gebäude aus Lehmziegeln so entwerfen, dass sie gegen Erdbeben geschützt sind.

Im Iran wurden viele traditionelle Dörfer verlassen. Wann geschah diese "Landflucht"?

Vor allem im Zeitraum zwischen 1969 und 1989. Nach der Revolution gründete die Islamische Republik ein neues Ministerium, das sich mit den Dörfern befasste. Die Versorgung mit Wasser wurde verbessert, Schulen wurden gebaut. Die Wege wurden erneuert, fast alle Dörfer erhielten Anschlüsse für Elektrizität und Gas. Das geschah alles erst nach 1989.

Hat es während Ihrer Studienzeit bereits auch von staatlicher Seite ein kulturelles Interesse an der Erhaltung der alten Gebäude gegeben?

Die Revolution (1978/79) hatte ein Interesse an der iranischen Vergangenheit. Das war positiv, weil es die kulturelle Identität Irans betraf. Der zweite Grund war, dass diese Revolution zeitlich mit der "Postmoderne" zusammenfiel und viele Leute die Moderne kritisch betrachteten. Man kann aber nicht sagen, dass diese Besinnung auf die Vergangenheit nur durch die islamische Revolution entstanden war. Ungefähr ein Jahrzehnt vor der iranischen Revolution hatten einige bedeutende Architekten damit begonnen, die alten Traditionen zu studieren. Diese Architekten der "Neuen Iranischen Schule" haben nach der Revolution das Land verlassen, aber ihre Schüler sind im Land geblieben.

Warum verließen die Meister den Iran?

Die Revolutionäre glaubten, dass diese Leute mit der Regierung des Schah zu eng verbunden waren, oder die Architekten dachten das selbst. Die Revolution richtete sich vorrangig gegen die Diktatur des Schah und dessen Abhängigkeit vom Westen, vor allem von den USA.

Diese Generation der iranischen Architekten hat die westlichen Entwicklungen verfolgt. Deshalb lassen sich Spuren von damals bekannten Architekten in den iranischen Bauwerken finden. Architektur ist ein Spiegel der jeweiligen Zivilisation. Wenn die iranische Zivilisation in den letzten hundert Jahren vom Westen beeinflusst war, ist es ganz natürlich, dass die Architektur auch diesem Einfluss folgte. Das muss man nicht unbedingt negativ sehen. Bei der Moderne, die in den Iran gekommen ist, fehlte allerdings ein wichtiger Teil: eine kritische Denkweise. Was wir vom Westen positiv erhalten können, ist eben eine Methode der Kritik, die in meiner Sicht Teil der Modernität ist. Das muss bei uns mehr entwickelt werden. Wir müssen nicht nach westlichen Formalismen suchen, sondern nach dem kritischen Denken.

Seit 2014 studieren Sie die alte Ortschaft Esfahak. Sie haben Bauaufnahmen der alten Gebäude erstellt. Wie haben Sie diesen Ort entdeckt, der 900 Kilometer von Teheran entfernt ist?

Im März 2014 kam ich auf einer Reise zufällig vorbei. Ein junger Mann, Mohsen Mehdi-Zadeh, erzählte uns, dass Esfahak im großen Erdbeben von 1978 zerstört und dann verlassen worden sei. Mohsen ist im damals neu gebauten Dorf aufgewachsen, war aber der Ansicht, die alte Siedlung sei Teil der Identität der Gemeinschaft. Ich erzählte ihm, dass ich beruflich mit Renovierungen von alten Gebäuden zu tun habe. Nach der Reise hatte ich in Yazd eine Lehrveranstaltung mit Studenten. Ich schlug ihnen vor, im Sommersemester eine Zeit lang in Esfahak zu arbeiten. Der Leiter der Fakultät für Architektur an der Azad-Universität unterstützte diese Idee. Mohsen in Esfahak bot uns an, dass das Dorf für Unterkunft und Verpflegung sorgen würde. Die Universität übernahm die Kosten für Hin- und Rückfahrt, wir fuhren mit dem öffentlichen Bus. In Esfahak haben wir acht Tage lang vermessen. Bis zum Semesterende erstellten die Studenten Entwürfe für die Renovierung von zehn Häusern.

Wie wurde diese Arbeit aufgenommen?

Mohsen berichtete mir, dass die konservativ gestimmte, ältere Generation des Dorfs den Erfolg der planerischen Ergebnisse bezweifelte. Darauf gab es ein großes Treffen in der Moschee von Esfahak, bei dem ich versuchte, den Leuten die Vorteile einer Renovierung der alten Häuser für das Dorf zu erläutern. Ich unternahm noch mehrere Reisen nach Esfahak, und jedes Mal versuchte ich, die Leute zu ermutigen, was die Renovierungen angeht. Im letzten Wintersemester (2014/15) arbeiteten weitere Studentengruppen in Esfahak. Wieder entstanden Bauaufnahmen und Entwürfe. Mittlerweile ist eine Studie für das gesamte alte Dorf erstellt worden, das übrigens mindestens 300 Jahre alt ist. Im Februar 2015 begannen die Bauarbeiten in zwei Wohnhäusern. Nun versuche ich, einen Sponsor für die bautechnisch komplizierteren Arbeiten, wie etwa die Stabilisierung der massiven Wände, zu finden. Ich traf einen Bewohner Esfahaks, einen Rechtsanwalt. Mit ihm soll versucht werden, eine Genossenschaft zu gründen, die im Auftrag des Dorfs künftig die Renovierungen leiten soll. Die Leute denken dabei nicht nur an Identität und Geschichte des Orts, sondern auch an eine wirtschaftliche, touristische Entwicklung, die durch die Renovierung der alten Häuser eintreten könnte.

Sie haben von einer Schule für Design erzählt, die in Esfahak gegründet werden soll. Worum geht es dabei?

Wir denken an einen Tourismus für Studenten und Forscher. Wir haben im Iran derzeit rund 40.000 Architekturstudenten. Die Renovierungen von Esfahak bieten einen guten Anlass, ein Forschungszentrum für Lehmbau zu errichten. Es ist vorstellbar, auf allen Fakultäten für Architektur im Iran dafür zu werben, dann könnten viele Studenten auf einige Tage nach Esfahak kommen, um dort die unterschiedlichen Formen von Lehmbau zu studieren.

Denken Sie, dass Esfahak in Zukunft ein Modell-Ort für Lehmbau-Tradition werden könnte?

Das stelle ich mir vor. Ich bin sehr optimistisch. Ich habe begonnen, Gespräche mit reichen Leuten zu führen, die das Projekt als Sponsoren unterstützen sollen, und mit der iranischen Organisation für Kulturerbe. Die sollten die Geräte, die für den Lehmbau notwendig sind, zur Verfügung stellen. Ich versuche zur Zeit, alle Kosten zu berechnen. Wenn die Schule gut funktioniert, werden die Studenten in den renovierten Häusern wohnen, und die Gemeinschaft erhält die Mieten.

Das Gespräch wurde von Nassir Zarrin-Panah gedolmetscht..

Bernhard Widder, geboren 1955, lebt als Schriftsteller, Lyriker, Essayist, Übersetzer und Architekt in Wien.

Zur Person
Faramarz Parsi, geboren 1965 in Teheran, Architekt, Theoretiker und Denkmalpfleger. Nach dem Studium gründete er 1995 sein eigenes Architekturbüro und setzt sich seitdem engagiert für die Denkmalpflege und die Restaurierung und den Erhalt historisch wertvoller Bauten im Iran ein. Er unterrichtete an mehreren Universitäten und publiziert in Architekturzeitschriften im Iran. Im Mai 2015 hielt Parsi in Wien und Luzern (CH) Vorträge über historische iranische Wohnbauten und das ostiranische Dorf Esfahak.