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Wien als Opfer der Karottentaktik

Von Christian Rösner

Politik
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Laut Experten ist ein Lockdown eine umfragengetriebene Entscheidung, keine epidemiologische.


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Zuerst war in Wien die Rede davon, möglichst bald die Schanigärten aufzusperren - nach dem Motto "besser draußen als drinnen". Doch nur wenige Tage später kam die "Osterruhe" für den Osten und Wiens Bürgermeister Michael Ludwig verlautbarte plötzlich: "Die Situation ist jetzt so, dass ich davon ganz bewusst Abstand nehme, mit Sicherheit auch für eine längere Zeit." Nachsatz: "Wir müssen die nächsten acht bis zehn Wochen noch durchstehen, bis ein größerer Teil der Bevölkerung durchgeimpft ist."

In den sozialen Medien brachte ein Meme den Eindruck vieler Wienerinnen und Wiener treffend auf den Punkt: "Die Regierung: Wir sehen Lockerungen am Horizont. Wikipedia: Horizont - eine imaginäre Linie, die sich immer weiter zurückzieht, je näher man kommt."

Gegen den Unmut hat auch die veränderte Wortwahl - von "Lockdown" auf "Osterruhe" wenig geholfen. Denn es besteht kein Unterschied in den Maßnahmen. Osterruhe heißt, genauso wie bei einem harten Lockdown: 24 Stunden Ausgangssperre und geschlossener Handel. Museen und Zoos schließen bis 6. April ebenfalls ihre Pforten. Bei den Ausgangsbeschränkungen über Ostern wird es nur die von den früheren Lockdowns bekannten Ausnahmen geben, wie die Fahrt zur Arbeit, Erholung im Freien (Spaziergänge oder Individualsport), die Betreuung unterstützungsbedürftiger Personen und die Abwendung von Gefahren.

An Länder weiterdelegiert

Osterfeiern im Familienkreis sind damit ausgeschlossen. Wie schon aus dem "harten Lockdown" bekannt, sind Treffen dann nur zwischen mehreren Personen eines Haushaltes mit einer einzelnen Person eines weiteren Haushaltes gestattet, dies muss außerdem eine enge Bezugsperson sein. Doch handelt es sich bei dieser doch sehr kurzfristigen angesetzten Maßnahme um eine tatsächlich gesundheits-, epidemiologisch-taktische Entscheidung - oder doch vielmehr um eine bloße gesundheitspolitische? Der Politikberater Thomas Hofer tippt eher auf Zweiteres: "Die Politik ist hier wohl von den Umfragen getrieben worden. Vergangenes Jahr stand die Mehrheit bei der Meinung ,harte Maßnahmen sind wichtig‘. Jetzt ist es plötzlich genau umgekehrt. Jetzt hat jede Umfrage ausgewiesen: Die Leute wollen nicht mehr, sie wollen alles aufmachen. Das ist das Dilemma", meint Hofer im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".

Und das sei letztlich auch der Grund dafür gewesen, dass der Bund diese Entscheidung an die Länder weiterdelegiert hat - ebenso wie beim "Showimpfen" im Jänner, wo auch gleich die SPÖ erstmals miteingebunden wurde. Damit haben dann auch die Länder das Bummerl, wenn sich wieder die Frustration der Bevölkerung breitmacht. Insgesamt erzeugt das dann ein Bild der Uneinigkeit, welches am Ende weder für den Bund, noch für die Länder hilfreich ist. "Abgesehen davon - und bitte verzeihen Sie mir den Zynismus -, dass nun zu hoffen ist, dass das Virus auf diesen Minimalkompromiss von sechs Tagen Osterruhe einsteigt", so Hofer.

Ziele sichtbar machen

Die Streitigkeiten innerhalb der Bundesregierung, die Streitigkeiten zwischen Bund und Länder - zuerst wegen der Teststrategien, jetzt wegen der Impfungen- und das Delegieren von unangenehmer Verantwortung - wirken nicht besonders vertrauensbildend für die Bevölkerung. "Streiten ist ganz wichtig in einer Demokratie, aber eine Pandemie ist eine sehr sensible und volatile Phase, wo es ganz wichtig ist, wie sich das System Politik und auch die öffentliche Verwaltung darstellt."

Die Frage ist: Ist es besser, sich von einem Lockdown zum nächsten zu hanteln und der Bevölkerung ständig die Lockerungs-Karotte vor die Nase zu halten? Oder der Bevölkerung die Wahrheit zuzumuten und gleich zu sagen, dass es Öffnungen erst wieder geben kann, wenn eine bestimmte Durchimpfungsrate erreicht ist? Laut Hofer ist es wichtig, in der Kommunikation Ziele sichtbar zu machen, um nicht dauerhaft Frustration zu erzeugen. "Suboptimal ist es aber zu sagen, wir sperren jetzt sechs Tage zu und stellen schon im selben Atemzug eine Verlängerung in den Raum." Denn das scheibchenweise Vorgehen sei genauso frustrierend und erinnere an die Geschichte von Peter und der Wolf: Irgendwann schreit die Regierung Gefahr und verordnet den nächsten Lockdown, aber keiner hält sich mehr daran, weil die Regierung nicht mehr ernst genommen wird.