Österreichs Parteien sind selten einer Meinung. In der emotionalen Diskussion über einen möglichen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union ist jedoch genau dies der Fall: ÖVP, SPÖ, FPÖ und Grüne sind sich einig in ihrer kritischen Grundhaltung zu einem solchen Unterfangen. Allerdings: Hört man genau hin, finden sich auch hier unterschiedliche Grade der Ablehnung und ihrer Argumentation.
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Für Nationalratspräsident Andreas Khol ist die Linie von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, die auch Noch-Agrarkommissar Franz Fischler vertritt, "schlüssig": Für eine Entscheidung über die Aufnahme von Verhandlungen mit der Türkei brauche es "materiell überprüfbare Grundlagen, ob die Kopenhagener Kriterien tatsächlich erfüllt sind", erklärte Khol gestern gegenüber der "Wiener Zeitung". Darüber hinaus muss im Sinne Fischlers eine genaue Kostenrechnung vorgelegt werden. Schließlich gebe es nach wie vor noch zahlreiche türkische Asylwerber, was nicht gerade das beste Licht auf die Menschenrechtslage in dem Land werfe.
Dass auf EU-Ebene die politische Grundsatzentscheidung bereits gefallen sei, sieht Khol nicht so: "Die EU ist in den letzten Jahrzehnten eine andere geworden. Man kann nicht die heutigen 25 Mitglieder auf Beschlüsse verpflichten, die von damals 11 Mitgliedern - ohne Österreich - getroffen wurden." Wichtig ist für ihn, dass falls die EU Verhandlungen mit der Türkei aufnimmt, diese mit einem offenen Ausgang gestaltet werden.
Noch einen Schritt weiter geht in dieser Frage SP-Klubchef Josef Cap. Er sprach sich am Mittwoch gegen die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen aus. In einer Pressekonferenz forderte Cap Bundeskanzler Schüssel auf, beim Rat der Staats- und Regierungschefs im Dezember solchen Verhandlungen nicht zuzustimmen. Stattdessen sollte die bestehende Assoziierung mit der Türkei vertieft werden. Cap wie Khol sind der Ansicht, dass die Konsolidierung der EU nach der jüngsten Erweiterung Vorrang haben müsse.
Vehement gegen einen Beitritt ist auch die FPÖ: Bei ihrer Klubklausur sprach sich die Partei erneut mit einem "klaren und deutlichen Nein" zu einem Beitritt aus.
Die Grünen stehen auf dem Standpunkt, dass derzeit weder die EU auf die Türkei, noch die Türkei auf die EU ausreichend vorbereitet ist.
Geradezu salomonisch ausgewogen fällt die jüngste Wortmeldung von Bundespräsident Heinz Fischer zu dieser Frage aus: Er befürwortet eine "weise Entscheidung". Man dürfe die Türkei nicht abweisen, aber auch die Probleme dieses Landes nicht unterschätzen. Eine lange Zeit sei notwendig, um eine Lage zu erreichen, in der die türkische EU-Mitgliedschaft "sicher" sein werde.