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"Wien hat kein Bandenproblem"

Von Valentine Auer

Politik

Landespolizeidirektion Wien: Gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Afghanen und Tschetschenen können nicht als Bandenkriminalität eingeordnet werden.


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Wien. "Für uns ist die Problematik nichts Neues", hieß es am Dienstag im Rahmen eines Hintergrundgesprächs der Landespolizeidirektion Wien zum Thema Bandenkriminalität. Anlass des Gespräches war der jüngste Fall am Handelskai in der Brigittenau am 5. März. Es kam zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen einer größeren Gruppe afghanischer Jugendlicher und einer kleineren tschetschenischen Gruppe.

In diesem Falle von Bandenkriminalität zu sprechen, sei laut Oberstleutnant Robert Klug, falsch. Es handelte sich um zwei Jugendliche, deren Streit auf Facebook begann. Ein Klassiker: Der eine beschimpfte die Mutter des anderen. Auf den sozialen Medien holten sich die zwei Unterstützung und trafen sich dann - bewaffnet mit Messern und Eisenstangen am Handelskai -, um den Streit mit Gewalt zu lösen. Die Bilanz: Einige Schwerverletzte, sieben Jugendliche sitzen in Untersuchungshaft, in Medien und Öffentlichkeit wird von Bandenkriege gesprochen.

Keine ethnischen oder religiösen Bandenkriege

Laut Strafgesetzbuch besteht Bandenkriminalität, wenn sich Personen fortgesetzt treffen, um strafbare Handlungen zu begehen. Dies sei weder im aktuellen Fall zutreffend, noch sei es ein Problem, dass bei Afghanen oder Tschetschenen vermehrt auftrete, betont Klug: "Ich kann nicht sagen, dass wir in Wien ein Bandenproblem haben. Es sind Auseinandersetzungen, die wir versuchen, früh genug zu entschärfen." In den vergangenen eineinhalb Jahren kam es zu zwei ähnlichen Fällen, der letzte Vorfall sei jedoch der "Ärgste" gewesen, sagt Klug.

Erwin Rieder, Leiter der 2014 gegründeten temporären Einheit zur Bekämpfung von Bandenkriminalität, ist auf den Straßen und insbesondere in Einkaufszentren unterwegs, um mit den Jugendlichen in Kontakt zu treten. Auch er entkräftet die Annahme, es gäbe Bandenkriege in Österreich. Seinen Beobachtungen zufolge seien die Auseinandersetzung weder ethnisch noch religiös bedingt. "Grundsätzlich besteht keine Rivalität zwischen Tschetschenen und Afghanen. Wir beobachten genau so Freundschaften zwischen den beiden Gruppen."

Phänomen seit 1990 bekannt

"Das ist eine Entwicklungen, die auch in der Vergangenheit beobachtbar war, sobald ein gewisser Zuzug da ist", so Klug. Bereits in den frühen 1990er Jahren waren Jugendbanden ein Thema. Damals waren es türkische, serbische oder kroatische Jugendliche. Laut Klug konnte damals schon relativ schnell eingeschritten werden, das Problem bestand etwa drei Jahre lang und normalisierte sich anschließend.

Durch die beiden Tschetschenien-Kriege (1994-1996 und 1999-2009) kamen vermehrt Flüchtlinge aus der Russischen Föderation nach Österreich, um hier um Asyl anzusuchen - hauptsächlich Tschetschenen, so das Innenministerium. Zwischen 2003 und 2014 zählten Asylwerber aus der Russischen Föderation zu den Top drei der antragsstärksten Nationen in Österreich. Das Problem der Jugendbanden kam erneut auf. So zum Beispiel im Falle der kriminellen Goldenberger-Bande, die sich durch organisierte Raubüberfälle einen Namen machten und im April 2015 zerschlagen werden konnte. Der entstandene Eindruck, es handle sich dabei ausschließlich, um Tschetschenen sei jedoch falsch. Rieder bezeichnete die Goldenberger-Gruppe als "multikulti", lediglich die Anführer waren Tschetschenen.

"Jetzt haben wir scheinbar wieder eine neue Welle, neue Konfliktpotenziale", kommentiert Klug die jüngsten Ereignisse rund um afghanische Jugendliche. "In letzter Zeit hat sich der Schwerpunkt verlagert, da es sich nicht nur um russische Staatsangehörige handelt, sondern auch um afghanische", sagt Klug.

2015 war Afghanistan mit knapp 25.000 in Österreich gestellten Asylanträgen die antragsstärkste Nation. 22 Prozent davon waren minderjährige Flüchtlinge, die ohne ihre Familie in Österreich ankamen. Bereits seit 2007 stellen afghanische Kinder und Jugendliche die größte Gruppe der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge. 2006 lag in diesem Bereich noch die Russische Föderation vor Afghanistan.

Ein Anstieg der Delikte von Asylwerbern oder Asylberechtigten stehe laut Klug nicht in Zusammenhang mit der starken Zunahme der Asylanträge: "Schaut man sich die Anzahl der Asylanträge und die Entwicklung der Kriminalität an, verläuft diese Kurve nicht parallel." Offen fügt Klug hinzu: "Die Asylwerber halten sich mehr an die Gesetze, als ich erwartet hätte."

Langeweile birgt Konfliktpotenzial

Konfliktpotenzial bergen laut Rieder jedoch fehlende Bildung vieler Jugendlicher, geringe Chancen am Arbeitsmarkt und die damit entstehende Langeweile. Der Beginn dieses Kreislaufes sei oftmals die fehlende Motivation der Eltern, darauf zu achten, "dass die Schulpflicht eingehalten wird. Ohne Bildung gibt es auch keine Chance am Arbeitsmarkt", erklärt Rieder. Die Kombination aus zu viel Zeit und zu wenig Geld kann mitunter ein Start in die Kriminalität sein. "Schon in den 1990er Jahren war es sehr oft die Langweile, die die Jugendlichen dazu trieb, Blödheiten zu begehen", ergänzt Klug.

Laut Shokat Ali Walizadeh ist Integration der Schlüssel zur Bekämpfung der Probleme. Gleichzeitig dürfe nicht vergessen werden, dass "die afghanischen Jugendlichen aus einem Kriegsland kommen. Sie sind dort geboren und aufgewachsen." Mohammadi ist selber aus Afghanistan, arbeitet als Flüchtlingshelfer und leitet den afghanischen Jugendverein "Neuer Start in Österreich". Dieser soll den Jugendlichen bei der Integration unterstützen.

Viele der afghanischen Jugendliche leiden zudem unter Kriegstraumata, fügt Walizadehs Kollege Morteza Mohammadi hinzu: "Bei den letzten Besuchen in den Flüchtlingsunterkünften wurde deutlich, dass in diesen Bereichen zu wenig gemacht wird. Wir müssen gemeinsam an Angeboten arbeiten, wir müssen gemeinsam die Integration vorantreiben und Freizeitangebote schaffen, um die Jugendlichen sinnvoll zu beschäftigen", erklärt Mohammadi abschließend.