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Wien ist eine Vorstadt

Von Thomas Pluch

Reflexionen

Über die Zeit des Biedermeier, über das Provinzielle als Prinzip, das geheimnisvolle Wiener Lichtental - und über Schein und Sein in der Musik von Franz Schubert.


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Eine alte Ansicht aus dem (damaligen) Wiener Vorort Lichtental, wo Franz Schubert geboren wurde. Im Hintergrund ist die Lichtentaler Pfarrkirche (heute auch Schubertkirche) zu sehen.
© Foto: Archiv

Es ist etwas anderes, eine Stadt zu kennen, oder in ihr zu leben. Wie viele spätere Urwiener war auch ich, als ich als Student von Kärnten nach Wien kam, fest davon überzeugt, dass ich in dieser Stadt nicht alt werden würde. Mehr noch: ein Gutteil meiner Identität wurde aus der Entschlossenheit gespeist, den inneren Widerstand gegen diese Stadt nie und nimmer aufzugeben.

Das änderte sich auch nicht, als ich Wien besser kennen lernte. Es schien mir, dass auf diese Art die Trennwand zwischen mir und den Wienern erst recht immer unüberwindlicher würde. Der echte Wiener nämlich bezog offenbar seine Identität aus dem Stolz darauf, seine Stadt nicht zu kennen. "Der Steffl, ja, unser Steffl! Stephansdom auf Deutsch. Ob ich schon drinnen war? Gehn’s! Das is doch mehr was für Fremde. Ich wohn’ eh da."

Dennoch ist es der Wiener, und nicht der Wien-Kenner, der im Besitz der Stadt ist. Das kommt von jener Selbstverständlichkeit, mit der der Wiener seine Stadt für einen Gebrauchsgegenstand hält, und nicht für einen Ort, wo einander die Engel treffen, oder - im edlen Metaphernwettstreit - "eine verliebte alte Hur", für "eine schöne Leich’ mit Schminke und Toupet" - oder für einen Lyrismus noch modischerer Art.

Für den Wiener ist zum Beispiel das Lichtental eine Gegend zwischen Nußdorfer- und Althanstraße, und nicht ein geheimes Passwort für den Zugang in das abgründige Innere dieser Stadt. Gerade das schien es mir lange Zeit zu sein und - ohne es recht erklären zu können, muss ich es eingestehen - es hat für mich bis heute nicht sein Naheverhältnis zu einem Mysterium verloren. Unausgesprochen war für mich klar, dass ich mich erst dann als Wiener bezeichnen werde können, wenn ich den geheimnisvollen Sinn des Satzes "Drunt im Lichtental" verstehen werde. Fürs Verständnis langt es heute, und auch die Scheu vor dem Geheimnis habe ich abgelegt, aber eine Selbstverständlichkeit ist es mir noch immer nicht geworden.

Ein Tal in der Stadt!

An der Oberfläche kam meine Unsicherheit gegenüber dem Lichtental daher, dass es so offenkundig eine Bezeichnung des offenen Landes war, mit der hier ein Stadtteil beschrieben wird. Lich-tental - das lässt sich in einem Atemzug mit Lavanttal, Ennstal oder Paznauntal aussprechen. Das klingt nach Berghängen, Wäldern, Wiesen und Bächen. Welch eine Anmaßung also einer grauen Vorstadt, sich ein Tal zu nennen, ein lichtes noch dazu!

Mit der Erkenntnis, dass der Name aus einer Zeit stammte, da die Stadt von ihren eigenen Mauern zusammengepfercht, dem Land um sie noch viel mehr Spielraum ließ, verblasste vorübergehend mein Interesse am und meine Scheu vor dem Lichtental. Das Geheimnis schrumpfte zur Banalität: Eine der sieben Stufen, die vom Wienerwald zum Donauufer führen, war mit "Tal" bezeichnet worden, etwas großsprecherisch vielleicht, und doch nicht ganz grundlos, wenn man sich vom Abhang nördlich der heutigen Nußdorfer Straße die Häuser wegdenkt und sich an ihrer Stelle Wiesen, Felder und Äcker vorstellt, die den Blick ins Land zu seinen Füßen zulassen.

Das Interesse erwachte erst wieder, als ich mich mit Franz Schubert zu beschäftigen begann, mit seiner Musik und seinem Leben. Schubert ist ein gebürtiger Lichtentaler. Diesen Umstand sollte man sogar betonen: Er war ein Lichtentaler, und nicht ein Wiener. Schnitzler war Wiener, selbstverständlich Karl Kraus, selbstverständlich Hoffmannsthal. Schubert hingegen war Lichten-taler.

Bevor ich diese standesamtliche Willkür zu erklären versuche, muss ich ihr noch eine weitere Ungereimtheit hinzufügen: Für mich ist der Lichtentaler Franz Schubert der Inbegriff von Wien. Ich stelle natürlich allseits anheim, jede andere Persönlichkeit aus der Kulturgeschichte Wiens für den genius loci zu halten. Ich sage nur, dass in meinem Verständnis der Stadt Schubert der eigentliche genius loci ist, mehr jedenfalls als der Weltbürger Mozart, mehr als der Bildungsbürger Freud und mehr als etwa die Kaffeehausbürger der Jahrhundertwende. Das hängt damit zusammen, dass ich das Biedermeier mehr als das Barock und mehr als das Fin de siècle für die Schicksalszeit Wiens halte. Nur insoferne, als er noch ins Biedermeier hineinragt, stelle ich einen zweiten Vorstädter ganz ganz nahe zu Schubert ins Zentrum des Wesens dieser Stadt: den Leopoldstädter Johann Strauß.

Die Pubertät Wiens

Im Biedermeier - so lautet meine Unterstellung zum Wesen dieser Stadt - durchlebte Wien seine Pubertät. Die Pubertät ist die Blütezeit des Unausgesprochenen, der gärenden Gefühle, der Flausen im Kopf, der süßen Schmerzen, der herben Enttäuschungen, der bitteren Verdrängungen, der endgültigen Komplexe.

Wäre das Leben eine Landkarte, und könnte man die Pubertät als Landstrich auf ihr eintragen, so läge sie in der tiefsten Provinz, dort wo die weitschweifigsten Ideen den geringsten Handlungsspielraum haben, wo zwischen Vorsatz und Ausführung die größte Kluft liegt, wo die schönsten Hoffnungen versanden.

Das Biedermeier ist geprägt durch den Metternichschen Polizei- und Spitzelstaat, der zur Volksentmündigung ähnliche Methoden anwandte wie die heutigen Ostblockregime. Spiritus rector der Entmündigung war Kaiser Franz II., der "gute Kaiser Franz", welchen Beinamen ihm seine Untertanen gaben. Eine zunächst unerklärliche Verirrung des Volksmundes, seinen eigenen Peiniger und Unterdrücker "gut" zu nennen! Aber braucht nicht auch der Pubertäre eine Autorität, die er gut heißt, wenn auch nur zu dem Zweck, sich an ihr zu messen, mit ihr zu hadern, sie letztlich vom Podest zu stürzen?

Thomas Pluch, wie ihn viele Freunde und Kollegen in Erinnerung haben: als sinnlichen, lustvollen, vor Ideen und Temperament sprühenden, mitunter auch streitbaren Geistes- und Genussmenschen.
© privat

Solange ihm dieser Sturz nicht gelingt, verstellt sich der Pubertäre. Er mimt Wohlverhalten, ist aufsässig nur in seinen verwegenen Tagträumen, heuchelt Zutraulichkeit, wo ihn Misstrauen erfüllt, und macht Bücklinge vor dem verhassten erhobenen Zeigefinger. Seine Strategie ist das Versteckspiel. Das Biedermeier versteckte hinter seiner Biederkeit ein halbes Jahrhundert der Demütigung durch ein totalitäres System, in dem jeder eigenständige Gedanke einem Hochverrat gleichkam. Das Phäakentum des Vormärz ist also in Wahrheit nur eine Maske, die sprichwörtliche Gemütlichkeit ein Ausdruck des malträtierten Selbstbewusstseins.

Wien ist bis heute noch nicht ganz seiner Pubertät entwachsen. Warum? Die befreiende Entmachtung der Autorität, anderswo durch die Revolution ein organischer Vorgang, blieb hier aus. Die Erhebung von 1848 am Ende des Vormärz war von Haus aus zum Scheitern verurteilt: sie war halbherzig, in sich widersprüchlich und im Grunde obrigkeitsgläubig, weil sie die Legitimität des Kaisertums nie in Frage stellte. Nicht ausgelebte pubertäre Aggressionen - in Freuds Sprache gesagt: der nicht vollzogene Vatermord - hinterlassen aber jedenfalls Entwicklungsstörungen, bleiben als Trauma am Grunde einer Persönlichkeit liegen.

Wien erlebte zwar gegen Ende des 19. Jahrhunderts so etwas wie eine Befreiung vom Absolutismus, doch war es eine Liberalisierung von oben, huldvoll bewilligte Bürgerrechte. Und das 20. Jahrhundert wies das Selbstbewusstsein dieser Stadt wiederum zweimal in die Schranken: 1918, als es von der Weltreichmetropole zum urbanen Wasserkopf eines Rumpfstaates wurde, und 1938, als Hitler-Deutschland Wien überhaupt zur Provinzhauptstadt degradierte.

Lebenslang Provinzler

In Schuberts Musik ist dieses Schicksal Wiens gleichsam vorweggenommen. Und der Charakter von Schuberts Musik ist Ausfluss seines Lebens. Geprägt durch einen schulmeisterlich engstirnigen Vater, durch die kleinstbürgerlichen Verhältnisse des Elternhauses und durch das fast dörfliche Milieu des Lichtentaler Grundes hat er die engen Grenzen der Vorstadt nie wirklich gesprengt. Er ist zeitlebens ein Provinzler geblieben. Seine Ausflüge in die vermeintlich große Welt der Innenstadt führten ihn höchstens in die Salons des Bürgertums oder des Kleinadels und liefen sowieso seinem Naturell zuwider, dem Linz, Graz und Atzenbrugg näher waren als Hofburg, Kohlmarkt und Graben. Großstädtisch elegante Geistreicheleien oder imperiales Imponiergehabe wird man in seinem unfassbar reichen Werk vergeblich suchen.

Was man in ihm im Überfluss findet, ist artikuliertes Unterbewusstsein. Dies allerdings erst bei näherem Hinhören. Auch Schuberts Musik trägt nämlich eine Maske: die der Harmlosigkeit. Der Zugang zu dieser Musik führt durch eine liebliche Landschaft anheimelnder Weisen und Harmonien. Und es passiert einem immer wieder, dass man in dieser Landschaft genussvoll Rast macht, und erst viel später merkt, dass man sich auf einem Vulkan niedergelassen hat.

Im ersten Moment möchte man es so ausdrücken: Wo gibt es eine größere Kluft zwischen Schein und Sein als in dieser Musik? Diese Wellen von Sympathie, die von ihr ausgehen, und auf der anderen Seite dieses unterirdische Grollen; diese einnehmende, einhüllende Wärme, und gleichzeitig dieses Frösteln, das bis zur Erstarrung führt; diese beglückende Unverbindlichkeit, gepaart mit einer beklemmenden, das Herz einschnürenden Verbindlichkeit! Aber Schubert hat in Wirklichkeit nicht Gegensätze aufgedeckt, sondern Schichten abgedeckt. Bei jeder Wiederholung - und das Formprinzip Schuberts ist die Wiederholung und nicht die Durchführung von Themen - gibt ein und dieselbe Melodie einen anderen - wie einem scheint: ihren wahren - Charakter zu erkennen.

Man muss nicht nur genau hinhören, man muss sich in diese Musik hineinhören. Man steigt in sie hinab, in immer tiefere Regionen der Seele. Es ist eine Wendeltreppe, die nach unten führt, und während man sich abwärts bewegt, ändert sich nichts an der Form der Stufen. Doch wenn man von den Stufen aufschaut, hat sich mit einem Mal die ganze Umgebung geändert. Man kann es nicht glauben, hört sich dieselbe Stelle noch einmal und noch einmal an, bis einem unabwendbar klar wird: das, was eben noch wie eine Auflösung geklungen hat, ist in Wirklichkeit eine Umnachtung.

Franz Schubert steht für vieles, was die Eigentümlichkeit Wiens ausmacht. Er steht für das Provinzielle, von dem diese Großstadt nie loskommt, für die pubertäre Verklemmung, die sich in einem gestörten Selbstbewusstsein ausdrückt, in einem Nebeneinander von Überwertig- und Minderwertigkeitsgefühl, vor allem aber steht er dafür, dass man in dieser Stadt wie sonst nirgendwo im Unterbewusstsein zuhause ist. Sigmund Freud konnte nur hier seine Theorien entwickeln, wo lange vor ihm zum Beispiel Franz Schubert schon wusste, in wie viele fast unzählige Etagen die Behausung der menschlichen Seele gegliedert ist.

Auch das ist ein Erbe des Biedermeier: die Anreicherung des Innenlebens bis zum Bersten; In-trovertiertheit als Folge einer Fluchtbewegung von der Außenwelt in die Innewelt, weil es in der Außenwelt durch die Allgegenwart der Obrigkeit kaum mehr eine individuelle Bewegungsfreiheit gab, und deshalb die Innenwelt den Untertanen des Kaiser Franz umso geräumiger erscheint. Die zur Schau getragene Extrovertiertheit der "Backhendlzeit" war zu nichts anderem da, als Metternich, Sedlnitzky und den dazugehörigen Polizeispitzelapparat in Sicherheit zu wiegen: "Wir haben nichts anderes im Kopf als Fressen und Saufen und uns ist kein ernsthafter Gedanke zuzutrauen."

Schuberts Schatten

Für Schubert kam noch eine andere Fluchtbewegung - die von innen nach außen - und eine andere Autorität - der Tod - hinzu. Er wusste schon in seinem 24. Lebensjahr, dass er an einer damals unheilbaren, nach und nach zum Tod führenden Krankheit, der Syphillis, erkrankt war. Das gibt den Abgründen in seiner Musik Ausmaße, die weit über die speziellen Zeitumstände des Biedermeier ins Allgemeinmenschliche führen, ins Labyrinth der Sinnfrage des Daseins. Der Tod war Schuberts Schatten, und dies in den besten Lebens- und Schaffensjahren.

Der Tod saß neben ihm, wenn er ein Lied schrieb, von dem er nicht wissen konnte, ob er es jemals gesungen hören werde, oder wenn er eine seiner Symphonien komponierte, von denen er wirklich keine einzige Aufführung je erlebte. Was hatte es also für einen Sinn, überhaupt noch Noten hinzuschreiben!?

Das "Es hat alles keinen Sinn" ist tatsächlich der Cantus firmus in Schuberts Musik. Nicht, dass Schubert nicht lebensfroh, ausgelassen, energisch, aufbegehrend wäre. Doch das alles ist er, wenn man ein zweites Mal hinhört, nur in Parenthese. Das Glück ist für Schubert nur eine Leihgabe des Todes, die Lebensbejahung nur ausgesprochen hinter vorgehaltener Hand. Mut kommt stets in der Form von Wehmut vor und Süße hat immer den Beigeschmack von Bitternis.

Vorbild Beethoven

Dabei geht Schubert einer direkten Konfrontation mit dem Tode geflissentlich aus dem Weg. Er stellt sich ihm nicht, er schaut ihm nicht ins Antlitz, er wendet sich von ihm ab und scheinbar anderen Dingen zu. Das ist keine so ausgefallene Umgangsform mit unser aller Gevatter. Aber dass sich mit ihm auch anders umspringen lässt, hat Beethoven, Schuberts großes Vorbild, gezeigt.

Auch er fasst seine Musik - vor allem die der zweiten Lebenshälfte, da die Taubheit sein Begleiter wird - als Dokument der Auseinandersetzung mit einem unausweichlichen Schicksal auf. Doch bei Beethoven ist es ein Ringen zwischen gleichwertigen Partnern. Das Ebenbild Gottes fordert das Schicksal heraus, eine Antwort auf die Sinnfrage des Lebens zu geben.

Sogar noch in den letzten Werken, aus denen schon deutlich wird, dass sich Beethoven des verlorenen Postens, auf dem er kämpft, bewusst ist, herrscht nicht die Resignation vor, sondern der freie Wille, den Kampf zu beenden. Schubert ist nicht der ringende Titan, er ist der Durchschnittsmensch, der Angst vor dem Tode hat. Das rückt ihn und seine Musik in brüderliche Nähe zu fast allen Menschen. Er tut so, als ob nichts wäre. Er schaut weg vom Tod, spielt Verstecken mit ihm - doch das alles in der Gewissheit, dass es kein wirkliches Versteck vor dem Tod gibt. Im Gegenteil: In jedem Versteck, in das er sich verkriecht, war der Tod schon vorher da.

Freilich stößt man in Schuberts Musik dann und wann auf kurze, scheinbar ungetrübte Aufhellungen. Jeder, der schon jemals diese Musik gehört hat, kennt die Stellen, da plötzlich ein Druck von einem weicht, die Brust sich weitet und das Herz höher schlägt.

Auf der Analogiesuche zwischen dem Wesen Schuberts und dem Wesen Wiens wird man gleichfalls auf so eine Aufhellung stoßen: auf Johann Strauß. Da bricht durch die Wolkendecke, die über der Geschichte dieser Stadt liegt, die Sonne mit ihrem vollem Glanz durch und lässt alles erstrahlen, als gäbe es keine Schattierungen. Ungehemmte Lebenslust bricht sich Bahn und scheint über alle Todesahnungen hinwegzutoben. Scheint.

Straußens Totentanz

Wie in Wien alles nur scheinbar zu sein scheint, so scheint auch die Ausgelassenheit dieser Musik nur Vorwand zu sein, um von einem aus den Fugen geratenen Innenleben abzulenken: Strauß war ein schwerer Neurotiker und seine Zeit tanzte nach seiner exaltierten Fidel den Totentanz vor dem Weltbrand des ersten großen Krieges zu Beginn unseres Jahrhunderts. Bleibt nur noch anzumerken, dass Strauß wie Schubert im Biedermeier wurzelt und dass er - mehr noch als Schubert - das psychische Produkt eines klassischen Vater-Sohn-Konfliktes war.

Gibt es eine Zusammenfassung all dessen? Gibt es so etwas wie eine Wien-Formel? Kann man aus der komplizierten Bruchrechnung, die man zur Eruierung der Mentalität Wiens aufstellen müsste, einen kleinsten gemeinsamen Nenner errechnen? Gewiss nicht. Weil es überhaupt keine Mathematik der Charaktere gibt, aus der sich eine Formel für einen Menschen, ein Volk, eine Zeit oder eine Stadt ableiten ließe.

Aber es gibt Behelfe, Wegweiser, Schlüssel für Zugänge. Ein solcher Schlüssel ist, so glaube ich und so versuchte ich zu erklären, Franz Schubert. Er verkörpert für mich den begnadeten Provinzialismus, die Größe im sich Kleinmachen, das Nicht-Erwachsen-werden-wollen und -können, das So-tun-als-ob, das Wegschauen und doch Bescheid wissen, die Todesbewältigung durch Lebensuntüchtigkeit. Über Wien wie über der Musik Franz Schuberts liegt ein Schatten - aber unter diesem Schatten gibt es eine lichte Landschaft: das Lichtental.

Dieser Text von Thomas Pluch entstammt seinem Nachlass, der von der Wien Bibliothek (gemeinsam mit jenem seiner Frau Erika Molny) aufgearbeitet wurde und dort auch verwahrt wird (dieser Text unter dem Signet "1.2.1.1.79."). Die Wiedergabe erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Wien Bibliothek im Rathaus.

Zur Person

Thomas Pluch, geboren 1934 in Klagenfurt, starb am 21. Mai 1992 in Wien (unmittelbar nach der Überreichung des Preises für das beste Drehbuch bei der "Romy"-Gala). Pluch war von 1959 bis zu seinem Tod bei der "Wiener Zeitung" angestellt, viele Jahre als deren stellvertretender Chefredakteur. Er war Begründer und Leiter der "extra"-Beilage.
Neben seiner journalistischen Tätigkeit war Pluch Autor von Erzählungen und Dramen und vor allem als Drehbuchautor für Fernsehspiele tätig. Bekannt wurde vor allem seine dreiteilige TV-Serie "Das Dorf an der Grenze", in welcher die Situation eines Kärntner Dorfes über mehrere Generationen hinweg gezeigt wird. Nach dem Tod von Pluch, der auch Vorlesungen über "Film- und Fernsehdramaturgie" hielt, wurde der bis heute existente und jährlich vergebene "Thomas Pluch Drehbuchpreis" gegründet.
Eine der großen Leidenschaften des ausgebildeten Pianisten war die Musik, vor allem jene Franz Schuberts, wovon auch der Text handelt.
Thomas Pluch war mit der Schriftstellerin Erika Molny (1932–1990) verheiratet.