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"Wien ist einer der Hauptprofiteure"

Von Michael Schmölzer

Politik
Michael Häupl im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".
© Jenis

Bürgermeister Michael Häupl über zehn Jahre Osterweiterung, die ausgebliebene Arbeitskräfte-Flut und eine ursprüngliche Leidenschaft.


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"Wiener Zeitung": Es werden jetzt zehn Jahre Osterweiterung gefeiert und es wird Bilanz gezogen - was hat die Vergrößerung der EU speziell für Wien gebracht?

Michael Häupl: Wir sind einer der Hauptprofiteure der Erweiterung. Es gab einen "Spiegel"-Artikel, wo Wien und Berlin verglichen wurden: Wie haben beide Städte den Wegfall des Eisernen Vorhangs genutzt - der Vergleich ist sehr schmeichelhaft für Wien ausgefallen. Wir haben das wirtschaftlich und vor allem gesellschaftlich genutzt. Wirtschaftlich gesehen haben wir natürlich eminent profitiert. Wenn man gelegentlich beklagt, dass die Banken mit ihren Niederlassungen heute im Osten Probleme haben, dann soll man bedenken, dass sie in der Vergangenheit dort gut verdient haben. Da muss man bei der Gesamtbilanz redlich sein.

Hat sich die Angst vor der Arbeitskräfte-Flut aus dem Osten bewahrheitet? Nehmen die uns jetzt die Arbeit in Wien weg nach dem Fall der Übergangsfristen 2011?

Wir haben in Wien 250.000 Einpendler aus Niederösterreich, dem Burgenland, der Steiermark, aus Oberösterreich. Die Zahl der Arbeitskräfte, die aus den Ostländern zu uns gekommen sind, ist wesentlich geringer. Ich hab mir da nie Sorgen gemacht. Es ist jedoch gut gewesen, dass die Anti-Dumping-Gesetze im Nationalrat beschlossen worden sind. Die verhindern, dass mit Dumping-Löhnen aus den östlichen Ländern hier gearbeitet wird. Es gilt hier der österreichische Kollektivvertragslohn. Das hat sicher auch dazu beigetragen, dass alle Befürchtungen, die vorher geäußert wurden, nicht wahr geworden sind.

Durch die Boulevardmedien geistert das Wort von den "Ostbanden". Die Polizei reagiert, gründet die "Soko Ost". Ist das eine der realen Schattenseiten der Erweiterung?

Überzogen ist die Berichterstattung schon, aber es ändert nichts daran, dass es real das Problem gibt. Offene Grenzen bringen es mit sich, dass auch Menschen kommen, die nicht guten Willens sind. Dazu bedarf es eines erhöhten Ausmaßes internationaler Zusammenarbeit über die Interpol. Dasselbe Problem hatten wir vor vielen Jahren mit Banden, die aus Italien gekommen sind. So gesehen ist uns das nicht besonders fremd und ich glaube, dass die österreichische Exekutive hier positive Antworten hat.



2004, bei der EU-Osterweiterung, war "Twin City", also die Zusammenarbeit zwischen Wien und Bratislava, in aller Munde. Da war eine Euphorie spürbar, die jetzt eingeschlafen zu sein scheint. Am ehesten hört man noch vom Twin City Liner, wenn er wieder einmal auf Grund gelaufen ist - auch kein günstiges Bild. Trügt der Anschein oder ist da wirklich seit einiger Zeit der Dampf draußen, fehlt der Schwung?

Nein, im Gegenteil, es ist Alltag geworden. Aber es ist wahrscheinlich wie in Beziehungen. Da ist am Anfang viel Leidenschaft sichtbar. Und dann tritt irgendwann der Alltag ein, der seine Meriten hat. Wir arbeiten sehr, sehr gut zusammen. Zusammenarbeit ist überhaupt der Nukleus der "Centrope"-Region. Da geht es nicht nur um die Frage der wirtschaftlichen und der kulturellen Kooperation, sondern um Fragen des Zusammenlebens. Bratislava liegt näher bei Wien als Sankt Pölten. Nachdem der Eiserne Vorhang aus den Köpfen und den Emotionen der Menschen verschwunden ist, fahren die Leute wieder in die Oper nach Bratislava und es kommen sehr viele Slowaken nach Wien. Wenn bei der Donauraum-Strategie enorm viel weitergeht, dann ist das in hohem Ausmaß darauf zurückzuführen, dass die Städte-Kooperation vornehmlich mit Bratislava, natürlich auch mit Brünn, mit Belgrad - ich hoffe auch mit Budapest - so gut funktioniert.