Ein Unterschied, der dem Besucher aus Österreich oft ins Auge fällt: Die USA feiern ihre Gründerväter, wir verstecken sie.
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Man spürt es auf jedem Meter, den man durch das Zentrum geht: Diese Stadt und wohl auch die meisten ihrer Bewohner sind stolz auf ihr Land. Vor allem auf ihre Demokratie. Die Rede ist nicht von Wien, sondern von Washington D.C. (District of Columbia).
Die gesamte Stadtanlage dient nur einem einzigen höheren Zweck: die Errungenschaften der Gründerväter zu preisen und die Erinnerung an sie wach zu halten: Stellen Sie sich vor, die Kärntner Straße hieße nicht nach dem südlichsten Bundesland, sondern würde zu Ehren der Bundesverfassung auf diese getauft; in Washington D.C. hört die Herzschlagader der Stadt auf den Namen Constitution Avenue. Und über die gesamte Fläche der ursprünglich in der Form eines Diamanten am Ufer des Flusses Potomac geplanten Stadt verteilen sich die monumentalen Denkmäler der großen Männer der US-Geschichte: George Washington, Abraham Lincoln, Thomas Jefferson, Theodore Roosevelt und viele andere mehr. Die Frauen spielen allerdings, da gleicht die Geschichte der USA der österreichischen aufs Haar, keine große Rolle in dieser Heroen-Ahnengalerie.
Die großen historischen Errungenschaften des Landes können in wunderbaren Museen betrachtet werden, die gratis für jedermann sind. Dank der Stiftung eines gewissen James Lewis Smithson; der hinterließ der US-Hauptstadt bei seinem Tod 1829 ein riesiges Vermögen, obwohl er nie amerikanischen Boden betreten hatte, um "eine Einrichtung für den Fortschritt und die Verbreitung des Wissens zu begründen", wie er verfügte. Stiften gehen ist in den letzten zehn Jahren in Österreich zwar zu einer Art Nationalsport für die begüterten Kreise geworden; kostenlose Kultureinrichtungen sind daraus leider nicht hervorgegangen.
Vielleicht liegt in dieser überwältigenden Erinnerungskultur an die Helden der eigenen Demokratie das Geheimnis für die Erneuerungskraft der USA. Natürlich strahlen die Gründerväter nicht mehr ganz so hell, wenn man sie unter dem historischen Mikroskop betrachtet, aber den USA ist es gelungen, einen beträchtlichen Schatz nationaler Mythen hervorzubringen, der auf den Prinzipien Freiheit, Demokratie und Bürgerrechten gründet; und selbst bittere Stunden wie die Sklaverei, der Bürgerkrieg oder die Segregation wurden im Rückblick zu Bewährungsaufgaben für die gesamte Nation uminterpretiert. Historische Schönfärberei zu einem höheren Zweck - es gibt schlechtere Motive für Geschichtsklitterung.
In Österreich dagegen - und in Wien ganz besonders - integriert Geschichte die Bürger nicht, sondern teilt sie in Lager. Die Helden der Sozialdemokraten sind auf den Mauern der Gemeindebauten verewigt, jene der Christlichsozialen finden sich auf den Plätzen am flachen Land. Die großen symbolischen Orte beließ man der Erinnerung an die Monarchie.
In Washington wird einem das schwache Selbstbewusstsein der österreichischen Demokratie besonders schmerzlich bewusst. Höchste Zeit für ein kräftiges Lebenszeichen - wie steht’s eigentlich mit dem Projekt für ein Haus der österreichischen Geschichte? Vom Pathos der Amerikaner, mit dem diese ihre Demokratie feiern, könnten wir uns zumindest ein klein wenig abschneiden.