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"Wien ist nun einmal keine Truman-Show"

Von Christian Rösner

Politik
Eine Stadt ohne Schattenseiten entspringt laut Vassilakou reaktionären und spießbürgerlichen Vorstellungen.
© Andreas Urban

Nicht Bettelverbot an sich, sondern der Vollzug ist laut Vassilakou zu diskutieren.


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"Wiener Zeitung":Sie sind jetzt seit fast zwei Jahren Wiener Vizebürgermeisterin. Was hat sich für Sie persönlich verändert?Maria Vassilakou: Es ist ein großartiger Job. Man kann viel bewegen, viel verändern und ist tagtäglich mit kniffligen Aufgaben konfrontiert. Der einzige Wermutstropfen ist für mich der absolute Verlust der Anonymität. Und das hat mein Leben von Grund auf verändert.

Unser Themenfokus liegt heute auf Betteln in der Stadt: Der Verfassungsgerichtshof soll dieser Tage entscheiden, ob die Wiener Regelung rechtens ist. Wie stehen Sie zum Bettelverbot in Wien?

Ich habe nichts für direkte oder indirekte Bettelverbote übrig. Dahinter stecken reaktionäre, spießbürgerliche Vorstellungen, die ganz sicher nicht die meinen sind. Denn eine Großstadt hat immer auch Schattenseiten. Und ich halte nichts davon, alle Problembereiche aus unserem Wahrnehmungsradius zu verbannen. Wien ist nun einmal keine Truman-Show.

Für die Drehscheibe Augarten ist das Bettelverbot für Kinder ein gutes Instrument, um die Kinder von der Straße zu bekommen.

Moment, Kinder haben ganz sicher nichts auf der Straße verloren, wo sie frieren, ausgebeutet werden und keine Schulbildung erhalten. Das Bettelverbot für Kinder ist legitim. Wie aber dieses Verbot vollzogen wird und welche Konsequenzen es für Eltern und Kinder hat, darüber muss man diskutieren. Hier ist eine gesamteuropäische Lösung nötig, um eine gute Betreuungssituation herzustellen. Wenn Kinder betroffen sind, braucht es ganz klare Regelungen. Was anderes ist es, wenn man die rechtliche Möglichkeit hat, im Park schlafende Menschen wegzuweisen - nur weil man sich durch ihre Erscheinung bedroht fühlt. Hier geht es um die Würde jedes Menschen.



Themenwechsel: Können Sie versprechen, dass es bei der nächsten Wahl ein Wahlrecht geben wird, das nicht mehr die stärkste Partei begünstigt?

Es wird eine neue Wahlordnung geben, deren Inhalt gerade verhandelt wird. Und jeder Kommentar vor einer Einigung würde nur zur Konfusion beitragen.

Erklärtes Ziel der Grünen war es aber, das mehrheitsfördernde Wahlrecht loszuwerden.

In der Analyse des Problems sind sich alle Parteien einig, mit Ausnahme der SPÖ. Derzeit ist das Wahlrecht so, dass die SPÖ bereits mit 46 Prozent die absolute Mehrheit haben kann. Das gilt es zu verändern. Mit diesem erklärten Ziel sind die Verhandlungen aufgenommen worden. In der Zwischenzeit bleibt es jedem von uns unbenommen, seine persönliche Meinung zu sagen.

Und wie lautet Ihre Meinung?

Ich persönlich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich entschieden gegen ein Mehrheitswahlrecht bin, weil es jugend- und frauenfeindlich ist und weil es in der Regel Wohlhabende oder aus Funk und Fernsehen bekannte Menschen in die Parlamente bringt.

In der Verkehrspolitik haben Sie sich ja nicht nur Freunde gemacht - Kritiker bezeichnen Sie sogar als "Horror der Autofahrer". Was sagen Sie dazu?

Ich sage einfach: Bitte ein bisschen weniger Pathos.

Sehen Sie die Autofahrer nicht als Ihre Feinde an?

Nein, ich denke, dass meine Verkehrspolitik auch den Autofahrern sehr zugute kommt. Denn was man in der Diskussion konsequent ausblendet, ist, dass das Schaffen von Motiven, die so viele Menschen wie möglich dazu bringen, auf Rad und Öffis umzusteigen, auch den Stau auf den Straßen reduziert. Diesen Weg gehen im Übrigen bereits alle Städte - damit diejenigen, die mit dem Auto unterwegs sein müssen, schneller an ihr Ziel kommen. Die Alternative wäre, keine Steuerungsmaßnahmen zu ergreifen und zuzuschauen, wie täglich hunderttausende Autos stauen und damit den Menschen Lebenszeit geraubt wird. Ich bestehe also darauf: Unsere Verkehrspolitik ist für alle gut.

Auch die Ausweitung des Parkpickerls?

Das gehört genauso dazu.

Haben Sie damit gerechnet, dass dieses Thema so groß wird?

Ja - das ist wohl der Fluch eines ausgezeichneten Gedächtnisses. Denn ich kann mich genau daran erinnern, wie groß die Aufregung war, als die heute völlig unumstrittene Parkraumbewirtschaftung innerhalb des Gürtels eingeführt wurde. Um so etwas umzusetzen, braucht es Geschlossenheit - von der gesamten Stadtpolitik. Womit ich zugegebener Maßen nicht gerechnet hatte, war, dass gerade die ÖVP, die seinerzeit die Parkraumbewirtschaftung miterfunden hat, aus reinem politischem Kalkül heraus eine unglaubliche Spaltung in dieser Frage herbeiführen würde. Die ÖVP hat so viel Feindseligkeit in die Gesellschaft hinein getragen, dass wir einige Zeit brauchen werden, um diese Gräben wieder zu schließen.

Wird das Parkpickerl flächendeckend kommen?

Ich würde mir das wünschen. Da ich aber keine politische Mehrheiten in den Bezirken dafür sehe, fürchte ich, gehe ich davon aus, dass es nicht in dieser Legislaturperiode sein wird.