Zum Hauptinhalt springen

Wien muss nicht Bern werden

Von Katharina Schmidt

Politik

Serdült: Österreich soll eigene Erfahrungen mit Demokratie sammeln.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wien. Geht es nach den Reaktionen, bedarf es einiger Nachbesserungen: Am Donnerstag ist die Begutachtungsfrist für das Demokratiepaket von SPÖ, ÖVP und Grünen abgelaufen. Es sieht unter anderem vor, dass Volksbegehren bei mehr als 100.000 Unterstützern im Nationalratsplenum behandelt werden müssen. Lehnt dieses die Initiative ab, kommt ab 10 Prozent (15 bei Verfassungsgesetzen) Unterstützung eine Volksbefragung. In der Begutachtung wurde der Entwurf scharf kritisiert. Uwe Serdült, Schweizer Experte für direkte Demokratie, rät zur Vorsicht bei der Umsetzung.

"Wiener Zeitung": Nach langem Hin und Her haben sich Regierung und Grüne auf einen Entwurf zur direkten Demokratie geeinigt. Wird Österreich die neue Schweiz?Uwe Serdült: Es ist ein guter Start, die Stoßrichtung stimmt, aber es gibt immer noch gewichtige Unterschiede. Es gibt immer noch keine bindenden Volksbefragungen, ein wesentlicher Unterschied liegt auch darin, dass man in der Schweiz auch Beschlüsse, die aus dem Parlament kommen, bremsen kann. Aber Österreich muss ja nicht die Schweiz werden. Man kann jetzt einmal mit diesen Instrumenten Erfahrungen sammeln und sie austesten.

Direkte Demokratie setzt ein mündiges Wahlvolk voraus. Wie kann der Staat sicherstellen, dass die Bevölkerung sich bewusst mit einem Thema auseinandersetzt?

Beim österreichischen Vorschlag besteht das Problem, dass alle Informationen über ein Begehren nur online gestellt, aber nicht auch noch an die Stimmberechtigten verschickt werden. Das Wichtigste ist, dass man Spielregeln für eine saubere, faire Debatte einführt und auch die Medien einbezieht. Vielleicht muss es gewisse Rahmenbedingungen für die Boulevardmedien geben. Ich bin auch bei der Beteiligung zuversichtlich, das hat man ja bei der Bundesheer-Befragung gesehen, wo die Beteiligung viel höher war als erwartet. Und es muss sich eine entsprechende politische Kultur etablieren.

Wie lange dauert es, eine politische Diskussionskultur zu etablieren?

Man soll nicht zu viel zu schnell erwarten. Das Demokratiepaket ist ein großer Schritt für das politische System in Österreich - und so etwas ist ein Generationenprojekt. Bis eine Generation, die damit aufwächst, in die Position kommt, solche Rahmenbedingungen mitzumodellieren, dauert es 15 oder 20 Jahre.

Das ist eine lange Zeit, auf der anderen Seite wird auch schon sehr lange über das Demokratiepaket diskutiert, jetzt aber wirkt es wie ein Schnellschuss.

Man muss die Proponenten für direkte Demokratie beim Wort nehmen und kritisch sagen: Man will ja, dass die eigenen Anliegen sauber durchdiskutiert werden. Das Partizipative steht hoch im Kurs, das muss man insbesondere beim Demokratiepaket auch so handhaben. Ich verstehe, dass die Gefahr besteht, dass das Paket nach der Wahl wieder zerpflückt wird, aber es braucht nun einmal Zeit, das wirklich sorgfältig durchzuberaten. Man muss auch die Stellungnahmen sorgfältig durchdiskutieren.

Volksbefragungen sind zwar rein rechtlich nicht bindend - realpolitisch aber schon, wie die Heer-Befragung gezeigt hat. Wird durch das Initiativrecht nicht die repräsentative Demokratie ausgehebelt?

Auf der Gegenseite wird kritisiert, dass es eine Farce ist, weil es nicht bindend ist und die Koalition immer noch entscheiden kann, ob sie es entgegennimmt oder nicht. Generell besteht vor der direkten Demokratie die Angst, dass die politischen Parteien ausgehebelt werden. Aber in der Praxis werden sie gestärkt, weil sie die Hauptakteure sind - und dadurch auch das Parlament. Ein Anliegen muss dort durchberaten werden, die Parteien müssen Stellung dazu nehmen und können sich dadurch profilieren.

Über gewisse Aspekte darf nach dem Entwurf nicht abgestimmt werden - zum Beispiel über Verfassungs-, EU- oder menschenrechtswidrige Themen. In der Schweiz ist das anders. Ich möchte aber in Österreich keine Debatte über Minarettbauverbote oder Abschiebe-Initiativen haben.

Das sehe ich ein. Ich würde Menschenrechtssachen ebenfalls ausschließen, da hat die Schweiz ihre Hausaufgaben nicht ganz gemacht. Es wäre in der Hand des schweizerischen Parlaments gewesen, gewisse Initiativen für nicht gültig zu erklären, aber man hat das verpasst, weil direkte Demokratie in der Schweiz wie eine heilige Kuh geworden ist. Jedes Recht muss aber auch seine Grenzen haben - und hier liegen sie. Ich finde es gut, dass diese Grenzen in Österreich explizit gesetzt sind. Nur beim EU-Recht stellt sich die Frage, ob das sinnvoll ist, weil sehr viel auf EU-Recht basiert und daher nicht viel übrig bleibt, über das man noch abstimmen darf. Da die Befragung nicht bindend ist, könnte man es ja als Sensor nehmen, wenn eine EU-Bestimmung in Österreich nicht auf guten Boden fällt. Das fände ich ein sinnvolles Korrektiv, das müsste man eben aushalten.

Wie sinnvoll ist es generell, viele über wenige abstimmen zu lassen? Eine Abstimmung über Vermögenssteuern etwa würde wohl populistisch ausgeschlachtet werden, aber wie demokratisch ist das?

Wenn man sich dagegen ausspricht, greift man demokratische Mehrheitsentscheide generell an. Das ist eine Scheindebatte. Es gibt immer Verlierer und Gewinner, die sich abwechseln. In der Schweiz kommen Initiativen zu Reichtumssteuern nie durch, weil in der Debatte klar wird, dass diese Leute auch Steuern zahlen. Es braucht eine offene Debatte von starken, gut organisierten Interessenvertretern, die auch einmal Gegenwehr geben können. Und die gibt es in Österreich.

Reaktionen

Zuerst hätte es gar keine Begutachtung geben sollen, nach einem dringenden Aufruf von Bundespräsident Heinz Fischer konnte man sich doch dazu durchringen. Und die Kritik ist verheerend. Der Verfassungsgerichtshof schrieb etwa, dass die Pläne "sowohl in inhaltlicher als auch in legistischer bzw. sprachlicher Hinsicht einer grundlegenden Überarbeitung bedürfen". Kritik an der Unschärfe der Formulierungen kam auch von der Präsidentschaftskanzlei. Die Klubchefs von SPÖ und ÖVP haben daher einen Beschluss vor der Wahl ausgeschlossen.