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Wien soll hinter dem Berg bleiben

Von Walter Hämmerle

Politik

Wenn Vorarlberg im September wählt, droht der ÖVP der Verlust der Absoluten, der SPÖ der Absturz auf Platz fünf.


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Wien/Bregenz. Michael Spindelegger kann sich im September getrost seinen Aufgaben als Vizekanzler und Finanzminister widmen. Die Vorarlberger Landtagswahlen am 21. September werden seinen Terminkalender nicht durcheinanderbringen. Die derzeit noch allein regierende ÖVP im Ländle wird alles tun, um den Bundesparteichef wie überhaupt die ganze Bundespolitik so weit nur irgend möglich aus dem Wahlkampf zu verbannen. Mit einem "Wiener", auch wenn er aus Niederösterreich kommt, ist im äußersten Westen noch nie ein Staat zu machen gewesen.

Gut möglich, dass im Unterschied zur ÖVP die Ländle-SPÖ Kanzler Werner Faymann für den einen oder anderen Wahlkampfauftritt einfliegen lassen wird. Aber das sagt mehr über den erbarmungswürdigen Zustand der Vorarlberger Sozialdemokratie aus als über die Stimmenfängerqualitäten des SPÖ-Chefs.

Die Landtagswahlen in Vorarlberg bilden den Auftakt für das nächste Super-Wahljahr in Österreich, 2015 stehen auch die Urnengänge in Wien, Oberösterreich, der Steiermark und dem Burgenland an. Für die ohnehin angespannte Stimmung in der rot-schwarzen Koalition bedeutet diese Kaskade an Wählervoten einen veritablen Stresstest.

Wähler sind "angfressen"

Wie "angfressen" die Wähler in Vorarlberg auf die Bundespolitik sind, haben die beiden letzten bundesweiten Wahlen überdeutlich gezeigt. Bei der Nationalratswahl im Herbst brach die ÖVP auf 26,3 Prozent der Stimmen ein. Im Vergleich zur letzten Landtagswahl 2009 verlor sie dabei fast die Hälfte ihres Stimmenanteils; bei der EU-Wahl Ende Mai schnitt die erfolgsverwöhnte Volkspartei mit 28 Prozent nur unwesentlich besser ab. Wahlergebnisse unter 30 Prozent sind für die Vorarlberger Schwarzen neues Terrain. Das lässt für die in drei Monaten anstehenden Landtagswahlen nichts Gutes erahnen.

Keine guten Vorzeichen für Markus Wallner. Der 46-Jährige ist seit nunmehr zweieinhalb Jahren Landeshauptmann und muss im Herbst zum ersten Mal die Last der Spitzenkandidatur schultern. Wallner hat dabei durchaus Spielraum nach unten: Selbst ein Herbert Sausgruber, der das Land von 1997 bis 2011 regierte, verlor bei seinem ersten Antreten im Jahr 1999 die Absolute. Damals erschütterte der Höhenflug der Haider-FPÖ die althergebrachten Macht- und Mehrheitsstrukturen der Republik.

Doch während Sausgruber nur den Angriff der Freiheitlichen abwehren musste, sieht sich die ÖVP 2014 politischen Angriffen von gleich mehreren Seiten gegenüber: Neben den wiedererstarkten Blauen sind derzeit auch die Grünen auf der Überholspur, die unter Johannes Rauch mit solider Politik punkten. Bei der EU-Wahl wurden sie, eine Premiere, gleich in zwei der vier Bezirke stimmenstärkste Kraft.

Spannung verspricht aber vor allem das Abschneiden der Neos, deren Initiator und Gründer Matthias Strolz ja Vorarlberger ist. Bei der Nationalratswahl erreichten die politischen Newcomer aus dem Stand im Ländle 13 Prozent, bei der EU-Wahl, wenngleich bei deutlich geringerer Wahlbeteiligung, sogar 15 Prozent. Die Neos profitieren zwar zweifellos am Stärksten von der grassierenden Unzufriedenheit, haben aber auch das Zeug, in den Revieren von Grünen und FPÖ zu wildern. Und für die SPÖ, die im Ländle seit Jahrzehnten unterhalb der Wahrnehmungsschwelle agiert, könnte das neue Kräfteverhältnis im Parteienwettbewerb dazu führen, dass sie unter die 10-Prozent-Grenze absackt. Das wäre dann nur noch Platz fünf für die Partei Renners, Schärfs und Kreiskys - auch das wäre wohl eine durchaus historische Zäsur.

Doch all dies bildet lediglich die Ausgangslage für den anlaufenden Wahlkampf, Sieger und Verlierer stehen längst noch nicht fest. Die ÖVP setzt vor allem darauf, dass die Aussicht auf absehbare Stimmenverluste die eigenen Funktionäre und Kernwähler zu mobilisieren vermag - im Unterschied zur Nationalrats- und EU-Wahl geht es im Herbst um den eigenen Gestaltungsspielraum; das macht in der Regel durchaus müde Beine munter. Realistischerweise geht es für die ÖVP deshalb vor allem, im 36 Sitze umfassenden Landtag zumindest das 18 Mandat zu retten; damit könnten gegen die Volkspartei keine Beschlüsse getroffen werden; derzeit hält sie noch bei 20 Sitzen. Dafür könnten unter Umständen sogar 45, ja vielleicht sogar etwas weniger Stimmenprozente reichen.

Neos als unbekannte Größe

Auch die Neos können sich nach den ernüchternden Erfahrungen aus der EU-Wahl nicht sicher sein, dass ihnen die Wähler von ganz alleine zufliegen. Aller Aufbau von Strukturen ist schwer. Schon die Listenerstellung für die Wahl erfolgte nicht ohne Turbulenzen: Der ehemalige Landessprecher warf der neuen Führung Packelei vor und trat aus der Partei aus; und die voraussichtliche Spitzenkandidatin Sabine Scheffknecht ist ein unbeschriebenes Blatt, bisher war sie nicht einmal politikaffinen Vorarlbergern ein Begriff. So gesehen spricht viel dafür, dass neben Parteichef Strolz wohl vor allem Landeschef und Nationalrat Gerald Loacker den Wahlkampf tragen, auch wenn beide nicht an wählbarer Stelle für den Landtag kandidieren werden.

Mit der überraschenden Kür des ORF-Moderators Christoph Waibel ("Vorarlberg heute") auf Platz zwei ihrer Liste macht die FPÖ deutlich, dass sie im Ländle über eine starke Basis verfügt; normalerweise ist die Rekrutierung solcher Art von TV-Prominenz den jeweiligen Mehrheitsparteien vorbehalten, wobei die FPÖ wohl lauthals "Rot-" oder eben "Schwarzfunk" gerufen hätte. Stattdessen freute sich die FPÖ diesmal sichtlich über den Coup.

Wenngleich also die Chancen für Faymann und Spindelegger auf einen erfreulichen Wahlabend gering sind, zittern müssen die beiden vor dem Ausgang selbst im Falle eines Erdbebens nicht. Dazu ist Vorarlberg für Wien viel zu weit weg. Politisch lebensgefährlich wird es für die beiden erst 2015, wenn Wien, die Steiermark und Oberösterreich an der Reihe sind.