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"Wien soll Oberösterreich werden"

Von Katharina Schmidt

Politik

In zwei Jahren soll Asyl-Rucksack abgebaut sein. | Kritik an Polizei: Einladung an organisierte Kriminalität. | "Wiener Zeitung": Das Kabinett Faymann ist 100 Tage im Amt - wie ist das mit dem Kuschelkurs aus Ihrer Sicht? | Maria Fekter: Es wird besser koordiniert, die Konflikte werden soweit wie möglich im Vorfeld ausgeräumt. Daraus entsteht der Eindruck, als gebe es nichts, wo unterschiedliche Positionen bestehen. Das ist aber sicher nicht der Fall.


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Ein Projekt, das sich über Ihre ganze bisherige Amtszeit hingezogen hat, war die Reparatur des humanitären Bleiberechts. Was entgegnen Sie dem Verfassungsjuristen Bernd-Christian Funk, der die Patenschaftserklärung für "totes Recht" hält?

Das können wir durch Fakten widerlegen. Die Patenschaft orientiert sich an einem seit 1992 existierenden Instrument, nämlich der Haftungserklärung im Niederlassungsgesetz. Wir haben hier also jahrelange Erfahrungen. Wenn man solche Fakten auf den Tisch legen kann, dann irritiert mich die Vermutung eines nicht mit der Materie Vertrauten nicht besonders.

Weiterer Kritikpunkt Funks: Das Gesetz sei zu schwammig formuliert, die Vollziehung Auslegungssache .. .

Die Bescheidqualität der Behörden ist ausgezeichnet: Der überwiegende Teil der Erstbescheide wird durch den Asylgerichtshof bestätigt. Von 600 Beschwerden beim Verfassungsgerichtshof wurden nur vier Bescheide gehoben. Das zeigt, dass die Behörden sehr wohl mit der Gesetzeslage umgehen können und dass der Vorhalt, es wäre alles zu kompliziert, vielleicht für Funk gilt, aber nicht für die Behörden.

Sie sagen sicher nichts zu Einzelfällen, deshalb: Wie gut stehen die Chancen auf humanitären Aufenthalt für Menschen mit "Rehaugen"?

Wir haben die Kriterien des Verfassungsgerichtshofs für den humanitären Aufenthalt in dieses Gesetz hineingeschrieben. Dazu kommt, dass es eine ganz klare Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gibt: Wenn jemand eine sehr lange Aufenthaltsdauer geltend macht, hat diese dann keine Relevanz, wenn die Betroffenen von Beginn an wussten, dass ihre rechtliche Position aussichtslos ist. Wenn aber - etwa wegen Krankheit - dauerhaft nicht abgeschoben werden kann, sieht das Gesetz vor, dass die Behörde einen Aufenthaltstitel erteilen muss.

Wann wird der Rucksack an Altfällen abgebaut sein?

Der Asylgerichtshof arbeitet sehr zügig, der Großteil des Rucksacks ist schon abgebaut. In zwei Jahren erwarte ich eine Situation, dass die Fälle, die neu als Flüchtlinge zu uns kommen in einem überschaubaren Zeitraum erledigt werden.

Was heißt "überschaubar"?

Ich bin schon froh, wenn wir eine durchschnittliche Bearbeitungszeiten von 18 Monaten bekommen.

Ihr Amtsvorgänger Günther Platter hat ein Integrationskonzept erstellt. Was machen Sie in Sachen Integration?

Wir müssen den nationalen Aktionsplan für Integration erarbeiten. Hier bauen wir auf Dinge auf, die es schon gibt, also etwa das Konzept meines Vorgängers oder das der Sozialpartner. Dann werden wir eine Problemanalyse machen und den Plan schwerpunktmäßig zur Beseitigung dieser Defizite erstellen.

Aber die Defizite sind ja großteils bekannt, gibt es einen Zeitplan?

Es gibt einen Zeitplan und eine klare Strategie, wie die Einbindung der Ministerien, Länder und Nichtregierungsorganisationen funktionieren wird. Die Beschlussfassung werden wir im Herbst machen.

Sie wollen in den kommenden fünf Jahren 1000 Polizisten jährlich ausbilden. Was bedeutet das für Wien?

Von den 1000 bilden wir in Wien alleine heuer 450 aus, 200 gehen in Pension, also wird es 250 Polizisten mehr geben. Das ist eine enorme Steigerung, die Wien so noch nie gehabt hat. Dazu kommt der "Flexipool": Karenzen werden durch einen flexiblen Zuteilungspool sofort wieder aufgefüllt. Polizeischüler, die jetzt eine Ausbildung beginnen, wissen, dass sie nachher in den "Flexipool" kommen und dann in die Ballungsräume versetzt werden. Erst, wenn sie dort ein paar Jahre Dienst getan haben, können sie einen Versetzungswunsch äußern.

Oft hört man auch, dass die Ausbildung der Polizisten zu wünschen übrig lässt.

Das glaube ich nicht, unsere Ausbildung ist im internationalen Vergleich eine ausgezeichnete. Wir haben auch sehr hohe Qualifikationskriterien für die Aufnahmsprüfung. Was die Ballungsräume betrifft, sind wir derzeit dabei, die Best-Practice Modelle flächendeckend auch denjenigen, wo es nicht so gut funktioniert, beizubringen. In Oberösterreich - an Hauptverkehrsrouten, mit einem hohen Ausländeranteil in Linz - haben wir Aufklärungsquoten von über 50 Prozent, davon kann Wien nur träumen. "Wien ist anders" lasse ich nicht gelten, wenn es um die Kriminalität geht. Es ist kein gutes Sicherheitskonzept, wenn man nur in Dienstposten denkt und nicht die dazugehörige Strategie modernisiert.

FPÖ-Chef Strache meint, dass es wegen der Schengen-Öffnung einen Anstieg in der Kriminalität gegeben habe.

Das stimmt nicht, das ist bewiesen. Wir hatten nach dem Fall des Eisernen Vorhangs einen exorbitanten Anstieg, der sich wieder abgeflacht und auf mittlerem Niveau eingependelt hat. Im internationalen Vergleich sind wir immer noch ein sehr sicheres Land. Seit dem vierten Quartal 2008 wissen wir aber, dass wir wieder ansteigende Tendenzen haben - diesen Phänomenen muss man begegnen. Strache und alle, die ständig die Polizei madig machen, sprechen eine Einladung an die organisierte Kriminalität aus.

Wie hoch ist die Fluktuation bei den Polizisten?

800 gehen in Pension oder wechseln in andere Berufe. Aber letzteres ist ein ganz kleiner Prozentsatz. Wer einmal Polizist ist, der bleibt Polizist.

Ihr persönliches Resumée nach den ersten 100 Tagen?

Ich bin sehr stolz. Mit der Neuregelung des humanitären Aufenthalts haben wir eine gute Lösung gefunden, denn die Opposition hat nicht einen einzigen Abänderungsantrag im Ausschuss vorgelegt. Außer Polterei ist inhaltlich nichts gekommen. Weiters haben wir den Start für die Arbeitsgruppe zur Rot-Weiß-Rot-Card geschafft, die 1000 Polizisten-Neuaufnahmen sind auf Schiene und wir haben das Reisepassgesetz mit Fingerprints im Chip neu geregelt. Sehr zufrieden bin ich mit dem Gewaltschutzgesetz mit Sexualstraftäterdatei und Berufsverboten. Die Vereinfachung der Briefwahl rechtzeitig zur Europawahl war mir ebenfalls ein Anliegen. Weniger zufrieden bin ich etwa damit, dass die Tschetschenen ihre Konflikte aus dem Heimatland bei uns auf der Straße austragen. Zwar habe ich hier einen Kommunikationsfehler gemacht, das kommt vor. Aber ich bin nach wie vor sehr gerne Innenministerin.