Oststrategie erfordert starke Nerven. | Neue Inhaber-struktur, neue Organisationsform. | In Warschau stößt Wien auf Widerstand. | Die Wiener Börse AG, die im Palais Caprara-Geymüller in der Wiener Wallnerstraße logiert, beschäftigt rund 100 Mitarbeiter und hat zuletzt 67 Millionen Euro umgesetzt - ungefähr so viel wie das Lagerhaus Gleinstätten oder der Linzer Pez-Hersteller Ed. Haas. Sie wird seit dreieinhalb Jahren von zwei 50-jährigen Topmanagern geleitet, die jeweils 730.000 Euro verdienen und sich emsig bemühen, dem Unternehmen einen zukunftsträchtigen Kurs zu verpassen. Die Vorstandsdirektoren Heinrich Schaller und Michael Buhl - der eine gestandener Raiffeisen-Mann, der andere ehemals Investmentbanker der Ersten - geben trotz schwieriger Bedingungen Gas.
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Damit ist aber nicht nur der vor knapp zwei Wochen erfolgte Start des internationalen Spothandels an der CEGH-Gas Exchange (Central European Gas Hub) gemeint. Derzeit ist dieser Gashandelsplatz noch eine 100-prozentige OMV-Tochter. Die Wiener Börse will sich an dieser internationalen Drehscheibe im mittel- und osteuropäischen Gashandel aber beteiligen. In Kürze sollen sich, sofern die EU-Wettbewerbsbehörden zustimmen, auch Gazprom Germania sowie die Erdgas-Unternehmensgruppe Centrex mit insgesamt 50 Prozent beteiligen.
Die beiden Börse-Chefs, die damit ihre strategischen Geschäftsfelder erweitern, setzen auch sonst voll auf Internationalisierung - und zwar aus einsichtigen Gründen: Der Finanzplatz Wien hatte mehrere Jahre lang eine erfreuliche Hausse hingelegt: Der rot-weiß-rote Börsenindex kletterte im Juli 2004 erstmals über die 2000 Punkte-Marke. Im Mai 2006 durchbrach der Index erstmals die 4000er-Marke, im Juli 2007 kratzte der Index an der 5000er-Hürde. Das Katastrophenjahr 2008 brachte indes, Hand in Hand mit dem internationalen Börsen-Desaster, einen gewaltigen Rückschlag.
Drei Coups im Börsenhorrorjahr 2008
Der ATX rasselte im Vorjahr um 61,20 Prozent auf 1750 Punkte runter - das stärkste Minus seit seinem Bestehen. Mit der einzigen Ausnahme der Post AG mussten die 116 gelisteten Unternehmen teils dramatische Kursabstürze verkraften. Die Marktkapitalisierung sackte von 158 auf 53 Milliarden Euro, was allerdings auch mit dem Delisting zweier großer Unternehmen zu tun hatte. Die Handelsumsätze brachen um 20 Prozent auf 141 Milliarden Euro ein. Und nachdem zu allem Überfluss kein einziger Börsegang zu Stande kam, blieben nur noch nostalgische Erinnerungen an jenen von Raiffeisen International (April 2004) oder der Österreichischen Post (Mai 2006).
Das Duo Schaller/Buhl schaffte 2008 trotz allem einen Jahresüberschuss nach Steuern von 30,7 Millionen - im Vergleich zum Rekordergebnis 2007 ein Minus von 23 Prozent. Der Jahresgewinn blieb mit 670.925 Euro bescheiden. Doch mitten in der Flaute knüpften die beiden an die erste Expansionsphase ihrer Vorgänger an: Bereits im Jahr 2004 hatte ein österreichisches Konsortium, bestehend aus Wiener Börse, Kontrollbank und österreichischen Kreditinstituten, die Mehrheit an der Budapester Börse erworben. Diese erzielte 2007 immerhin einen Jahresüberschuss von 11,4 Millionen Euro. Die Wiener Börse, 1771 von Kaiserin Maria Theresia gegründet und eine der ältesten Wertpapierbörsen der Welt, bewies ausgerechnet im Krisenjahr beachtliche Dynamik: Die Aktiengesellschaft, die jahrzehnte-lang ungefähr so spannend agierte wie der Wiener Zentralfriedhof, schlug im Osten gleich bei drei Gelegenheiten zu: Im Juni 2008 beteiligte sie sich zu 81 Prozent an der Börse Laibach, im September stockte sie ihren Anteil in Budapest auf 50,4 Prozent auf, und im November stieg sie mit 92 Prozent bei der Börse Prag ein (siehe Kasten).
Der Umsatz der drei Börsen betrug im ersten Rumpfgeschäftsjahr zwar erst bescheidene 16,8 Millionen Euro. Zudem waren die Umsätze am Kassamarkt (jeweils im Vergleich zum Jahr davor) in Laibach um 52 Prozent und in Budapest um 40 Prozent gefallen - in Prag allerdings nur um zwei Prozent. Auch die Börseindizes sind im vergangenen Jahr überall abgestürzt, wo die Wiener neu an Bord waren: Der BUX in Ungarn und der PX in Tschechien jeweils um rund 53 Prozent, der SBI 20 in Slowenien sogar um 67 Prozent. Für Schaller und Buhl waren starke Nerven ein Muss: Das operative Konzernergebnis belief sich von 1. Oktober bis 31. Dezember zwar auf 4,3 Millionen Euro, das Vorsteuerergebnis machte indes minus 1,355 Millionen aus, und der Konzern-Bilanzgewinn betrug bescheidene 146.000 Euro.
Neue Holding für die weitere Expansion
Darüber, wie das Jahr 2009 im Osten gelaufen ist, hüllt sich Pressesprecherin Beatrix Exinger in Schweigen. Die Wiener Börse, die an den drei Ost-Standorten 170 Mitarbeiter beschäftigt, setzt allerdings unbeirrt auf "organisches Wachstum", etwa durch neue Produkte, die Anbindung von internationalen Handelsteilnehmern bei den Konzerntöchtern oder Synergien durch einheitliche Handelsplattformen für Kassa- und Terminmarkt sowie beim Kursdatenvertrieb.
Alles deutet darauf hin, dass die Expansionsstrategie fortgesetzt wird, weil die kleine nationale Börse sonst wohl nicht überleben könnte: Mitte des Jahres wurde daher das Grundkapital der AG von 14 auf 18,6 Millionen erhöht - nunmehr gibt es 931.036 statt früher 700.000 Stückaktien.
Während die Börse bis dahin zur Hälfte Banken und Versicherungen sowie zur Hälfte diversen börsenotierten Unternehmen gehört hatte, verschob sich die Relation zu Gunsten der Geldfirmen: UniCredit Bank Austria, Erste, Kontrollbank oder RZB etwa haben ihre Anteile erhöht, Voestalpine, Wienerberger, Immofinanz/Immoeast oder Constantia Packaging halten dagegen neuerdings geringer gewordene Aktienpakete.
Seit 17. September treten die Wiener AG, die Budapesti Ertéktözsde, die Burza cennych papiru Praha und die Ljubljanska borza offiziell unter dem Brand CEE Stock Exchange Group auf. Sie befinden sich im Epizentrum eines Netzwerks, das in jüngerer Zeit durch Kooperationsabkommen mit etlichen Börsen im südosteuropäischen Raum - etwa Bukarest, Sarajewo oder Banja Luka - stetig erweitert wurde. Obendrein arbeitet die Börse Wien mit weiteren internationalen Aktienhandlungen zusammen, darunter jenen in Shanghai (seit Dezember 2005), in Kasachstan oder der Ukraine (seit 2007).
Die beiden Börse-Bosse, die mit der Entspannung am Wiener Parkett im laufenden Jahr zufrieden sein können - immerhin hält der ATX wieder bei rund 2470 Punkten -, tüfteln zurzeit an einer neuen Organisationsstruktur: Geplant ist eine Holding, die an der Spitze der Unternehmensgruppe für die Finanzen und die Verwaltung der operativen Beteiligungen zuständig sein soll. Sprecherin Exinger: "Spätestens im Februar werden alle Details geklärt sein."
Neuer Anlauf auf die Börse in Warschau?
Auch wenn die Börse-Verantwortlichen Wert auf die Feststellung legen, dass "es derzeit keine konkreten Gespräche" gebe, zeigen sie an weiteren Akquisitionen heftiges Interesse - so würden die Börsen in Zagreb oder Sofia optimal ins Konzept passen. In Bulgarien trat Wien bereits 2006 auf den Plan, doch damals wurde die Privatisierung plötzlich wieder abgeblasen.
Der schwerste Brocken dürfte allerdings Warschau sein, weil sich die dortige Stock Exchange als großer Rivale der Österreicher sieht. Nachdem kürzlich der Einstieg der Deutschen Börse gescheitert ist, wittern die rot-weiß-roten Börse-Bosse wieder eine Chance - zumindest eine kleine. Pressedame Exinger: "Wir haben in Polen seit Jahren unser Interesse bekundet, aber leider werden wir dort nicht gehört."
Wissen
Die Wiener Börse AG entstand 1997 aus der Fusion der Wertpapierbörse mit der Österreichischen Termin- und Optionenbörse (Ötob). Nach dem Beschluss der Privatisierung wurde die Börsekammer im Juni 1999 aufgelöst. Die Anteile abseits der Banken (50 Prozent der Aktien) wurden österreichischen Emittenten angeboten. Die größten Anteilseigner sind heute UniCredit-Bank Austria (rund 13,2 Prozent), Erste Group (10,65 Prozent), Wiener Städtische (7,8 Prozent) und Raiffeisen Zentralbank (6,9 Prozent). Insgesamt sind 57 Unternehmen beteiligt.