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Wien will auch jetzt anders sein

Von Alexander U. Mathé und Christian Rösner

Politik

Die Stadtregierung versichert, in der Corona-Krise alle Entscheidungen des Bundes mitzutragen, fährt aber in Sachen Virus-Bekämpfung trotzdem eine andere Linie als der Bund. Eine Analyse.


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Wien ist anders - auch bei Viren und deren Bekämpfung. Natürlich ist die Hauptstadt auch beim nationalen Schulterschluss dabei und versichert, alle Entscheidungen der Bundesregierung mitzutragen. Doch wer genau hinhört, kann das Gefühl bekommen, dass man in Wien am liebsten das genaue Gegenteil täte.

Da wären einmal die Spielplätze. Die sind ganz im Sinne des staatlichen Plans zur Bekämpfung des Virus geschlossen. Doch dann verkündet Gesundheitsstadtrat Peter Hacker auf einmal, die Spielplätze lieber früher als später wieder öffnen zu wollen. Ein Wunsch, den sicher viele hegen. Das Ansinnen widerspricht genau genommen auch nicht dem viralen Schulterschluss. Hacker hat ja schließlich nicht von jetzt und sofort gesprochen. Und doch wird damit ein alternatives Programm zum Status quo transportiert. Noch dazu, wenn Hacker gleichzeitig manche Ärzte als "hysterisch" bezeichnet, die nach Schutzausrüstung schreien.

Donauinselfest verschoben

Beim Donauinselfest hat man sich zuerst auch geziert. Während anderenorts reihenweise sogar Veranstaltungen im August abgesagt werden, war die Zukunft des für Juni angesetzten größten Open-Air-Festivals Europas bis zum Schluss in Schwebe - bis am Montagvormittag doch die Absage beziehungsweise Verschiebung des Donauinselfestes auf Herbst verkündet wurde. Doch die transportierte Nachricht ist schon jetzt klar: Wien will so schnell wie möglich wieder in das normale Leben zurück.

Dann wäre da auch noch die Sache mit den öffentlichen Parks: Gemäß Vorgabe der Bundesregierung sind die Bundesgärten geschlossen. Die Parks der Stadt Wien sind hingegen geöffnet. Das führt zur komischen Situation, dass man bei einer Runde um den Ring zwar gemütlich durch den Rathauspark schlendern kann, kurz darauf aber beim Burggarten vor verschlossenen Toren steht.

Man könne die Situation in der Großstadt nicht mit jener auf dem Land vergleichen, hört man aus dem Wiener Rathaus. Hier belässt es Hacker nicht dabei, die Nachricht zwischen die Zeilen packen. Er forderte, wie berichtet, die Bundesregierung auf, die Bundesgärten zu öffnen. Bürgermeister Michael Ludwig trägt diese Forderung mit. Denn die Schließung verkleinere den Bewegungsraum der Wiener, was dazu führe, dass in den Wiener Parks mehr Leute seien, so das Argument. Die Wiener hätten eine hohe Disziplin in Sachen Einhaltung der Einschränkungen. Und er gehe davon aus, dass sie sich an die Bestimmungen halten, meint Ludwig. Wien ist eben anders - und wäre das in Sachen Coronavirus offensichtlich auch gerne.

Auch Zeit des Wahlkampfes

Denn auch wenn es in der Bevölkerung momentan in Vergessenheit geraten sein dürfte und es sich derzeit auch kein Politiker offen auszusprechen getraut: Wir befinden uns in Wien nicht nur in einer Zeit der Krise, sondern auch in einer Zeit des Wahlkampfes.

Das betrifft aber nicht nur das Match der türkis-grünen Bundesregierung mit dem roten Teil der Wiener Stadtregierung, sondern auch die rot-grüne Koalition in Wien, wie der jüngste Vorstoß der Wiener Grünen gezeigt hat: So hat die grüne Vizebürgermeisterin und Verkehrsstadträtin Birgit Hebein am Wochenende via Twitter verkündet, ganze Straßen für den Verkehr sperren zu wollen, um in der Corona-Krise mehr Platz für Fußgänger zu schaffen. Ihr Ressort suche auf Hochtouren praktikable Möglichkeiten, um rasch mehr Platz im öffentlichen Raum zu bekommen, hieß es.

Beim - offensichtlich unwissenden - roten Koalitionspartner herrscht wenig Begeisterung angesichts dieser Initiative. Hier spricht man nun hinter vorgehaltener Hand von "Profilierungsversuchen der Wiener Grünen, weil ja im Herbst die Wahlen sind und sie sonst gerade keine anderen Themen haben". Der Gemeinderatsvorsitzende Thomas Reindl nahm sich da weniger ein Blatt vor den Mund und twitterte: "Warum Straßen sperren? Damit die Leute vom Asphalt zum Beispiel der Ringstraße durch die Gitter in die von der Regierung gesperrten Parks schauen? Schwachsinn! Der Bund soll die Parks aufsperren!"

Aus der entsprechenden Perspektive betrachtet, können manche Forderungen und Maßnahmen zum Wohle der Gesellschaft mitunter in einem ganz anderen Licht erscheinen. Egal, wie sie gemeint sind.