Gemeinderat Christoph Chorherr über seine Stadtvision, private Investoren und Einzelkinder in isolierten Gärten.
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Wien. Das blaue Wien-T-Shirt: ein Fahrradbekenntnis. Gut gelaunt erscheint der grüne Gemeinderat und Stadtplanungssprecher Christoph Chorherr am Freitag zum Interview. Der 53-Jährige hat Hainburg miterlebt, war im Gegensatz zur grünen Linie für den EU-Beitritt und innerhalb der Partei als "Realo" umstritten. Der "Wiener Zeitung" schildert er, wie sich die Zeiten gewandelt haben und was getan werden sollte, damit Wiens Wohlstand erhalten bleibt.
"Wiener Zeitung":Bei wie vielen Bauprojekten in der Stadt sind Sie derzeit mitverantwortlich? Haben Sie da noch den Überblick?Christoph Chorherr: Eher bei 200 als bei 100. Wien ist eine stark wachsende Stadt. Allein im vergangenen Jahr sind rund 25.000 Menschen dazugekommen. Als Planungssprecher ist es meine Aufgabe in enger Kooperation mit der letztverantwortlichen Frau Vizebürgermeisterin (Maria Vassilakou, Anm.) Stadtprojekte zu begleiten und letztlich zuzustimmen oder nicht. Das ist zurzeit sicher einer der spannendsten Berufe, die man haben kann.
Gibt es dabei ein Projekt, welches Sie nachts nicht schlafen lässt?
Ich schlafe meistens sehr gut. Manchmal, in der Tat, ist die schiere Fülle an Projekten eine enorme Herausforderung, insbesondere, wenn es um das Thema Freiraumqualitäten und Verkehrspolitik geht.
Sie sind seit 25 Jahren in der Politik. Inwieweit hat sich Wiens Stadtplanung in dieser Zeit verändert?
Ohne die sozialdemokratische Stadtplanung schmälern zu wollen, es tut sich einiges, seit die Grünen in der Regierung sind. Die größte Veränderung hat aber mit Rot oder Grün nichts zu tun: Wien wächst und ist enorm beliebt geworden. Wien ist die größte Universitätsstadt im deutschsprachigen Raum und die zweitgrößte deutschsprachige Stadt. In der Geschichte des mehr als 2000 Jahre alten Wiens ist die Stadt, gemessen am Bauvolumen, noch nie so stark gewachsen. Wien als die alternde und stark schrumpfende Stadt ist passé. Seit dem Jahr 1989 wächst die Bevölkerung und sie wächst immer stärker.
Warum ist Wien so beliebt?
Die Automatik, dass, wenn Menschen Kinder bekommen, aus der coolen Stadt ins Grüne ziehen müssen, hat abgenommen. Auch Menschen mit Kindern wollen nicht unbedingt den isolierten Garten für ihr oft einziges Kind, sondern den Spielplatz mit anderen Kindern samt Freiräumen in der Stadt. Besonders Frauen aus ländlichen Gebieten wollen in die Stadt, weil sie die urbane Offenheit suchen. Auch die große Errungenschaft Europas, dass man, ohne eine Behörde fragen zu müssen, überall arbeiten, leben oder studieren kann, führt zu Wanderungsbewegungen und zu einer wachsenden Stadt.
Mit der Beliebtheit steigen auch die Wohnpreise . . .
Das ist die große Herausforderung, dass wir nicht Verhältnisse wie in London, Hamburg oder Paris bekommen, wo man es sich mit einem unterdurchschnittlichen Einkommen nicht mehr leisten kann, in der Stadt zu leben. Da haben wir die große Errungenschaft des gemeinnützig regulierten Wohnsektors, den wir erhalten und ausbauen wollen.
Einige Projekte sind umstritten, wie die Neugestaltung des Areals Intercont. Sie waren in der Jury. Warum haben Sie den Entwurf des Brasilianers Weinfeld auserwählt?
Formal hat mich überzeugt, das dieser Entwurf vor 30 Jahren gekürt hätte werden können, heute gekürt wurde und in 30 Jahren auch noch seine Berechtigung hat. Ich gehe aber deswegen in sehr viele Jurys, in der qualifizierte international ausgewiesene Experten sitzen, um den Diskussionsprozess mitzubekommen, zu lernen und Argumente für den öffentlichen Diskurs zu erhalten. Dazu kommt, dass nahezu jede Städtebaugeschichte umstritten ist. Ich finde es aber interessant, dass einige Projekte unfassbar viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen, wie das Intercont, wo doch andere, wie der Nordbahnhof, wo 30.000 Menschen leben werden, viel wichtiger wäre. Das Intercont ist nicht der Nabel der Zukunft für Wien.
Man hat oft das Gefühl, es wird geplant, ausgeschrieben, angepriesen und erst danach kommt man drauf, dass das so nicht geht.
Wie soll man es denn sonst machen? Ohne zu planen, entscheiden, dass es nicht geht? Das ist die größte Veränderung, die wir Grünen geschafft haben, nämlich dass die Bürger sehr früh und sehr transparent in die Stadtplanungsentscheidungen eingebunden werden. Grüne Stadtplanung findet nicht hinter verschlossenen Türen statt. Es wird diskutiert. Manche finden Hochhäuser super, manche nicht.
Wie finden Sie Hochhäuser?
Ich finde sie am richtigen Ort, richtig geplant, gut. Sie gehören zu einer modernen Stadt des 21. Jahrhunderts. Verdichtung in die Höhe gehört dazu, wenn wir große Freiflächen, große Parks, erhalten wollen. Wir überarbeiten derzeit das Hochhauskonzept. Höhere Verdichtungen sind bei U-Bahnen und S-Bahnen vertretbar. Die Nordbahnhof-Hochhäuser mit 80, 90 Metern ermöglichen einen großen Park im Inneren.
Die Mariahilfer Straße hat eine neue Geschichte. Hätten Sie rückblickend etwas anders gemacht?
Manchmal wünscht man sich, man lebt ein Leben, lernt dazu und dann darf ich nochmals anfangen. Diese Gnade ist uns nicht beschieden. Ich glaube nicht, dass man es besser hätte vorbereiten können. Wenn man so tief in das Verhalten der Menschen eingreift, dann gehen auf der ganzen Welt die Emotionen hoch. Eines aber würde ich heute anders machen: Heute würde ich vom ersten Tag an die Fläche mit mobilen Möbeln bespielen. Um ein bisschen mehr fühlen zu lassen, wie das Neue ist. Ich glaube aber auch, damit hätten wir uns die Streitereien nicht gespart.
Wie steht es um die Danube Flats?
Ich halte es für richtig, an einem Standort, wo derzeit ein leerstehendes Multiplexkino steht und wo bereits Hochhäuser sind, ein weiteres Hochhaus zu errichten, weil man dort einigen hundert Menschen eine Wohnung ermöglicht. Derzeit läuft das Widmungsverfahren.
Inwieweit soll ein Stadtpolitiker private Investoren unterstützen?
Soll ich selber alle Wohnungen bauen? Die Stadt ist für mich verdichtete Unterschiedlichkeit. Ich unterstütze Wohnbaugenossenschaften, weil sie den Preis niedrig halten. Auf der anderen Seite sind private Eigentümer bei den Erdgeschoßzonen kreativer. Die Kunst ist eine soziale ökologische vielfältige Mischung zu machen.
Sie haben die autofreie Siedlung in Floridsdorf und die Bike-City initiiert. Gibt es neue Projekte?
Das, was damals singuläre Projekte waren, das ist der Städtebau, den wir jetzt machen. Neue autofreie Straßenräume, Erdgeschoßzonen, wo man im Kaffeehaus sitzt, wohnt, arbeitet, einkauft. Die Funktionstrennung war einer der größten Irrtümer der Stadtplanungsgeschichte. Wir versuchen nicht mehr Wohnungen oder Büros zu bauen, sondern Häuser, die man langfristig jeder Nutzung zu führen kann. Wissen wir, ob in 30 Jahren die Leute mit 1,5 Tonnen schweren Autos herumfahren? Was machen wir dann mit den 2,5 Meter hohen Tiefgaragen? Darum bauen wir Hochgaragen wie derzeit in der Seestadt Aspern, die auch als Fitnesscenter oder ähnliches nutzbar sind.
Wie sieht Wien in 50 Jahren für Sie aus?
Weniger als die Hälfte an Autos wird auf den Straßen unterwegs sein, Wien wird horizontal und vertikal grüner werden, es wird dichter und höher verbaut sein, es wird den Schuster ums Eck ebenso geben wie neue, moderne Universitäten. Aber das Einzige, was sicher ist, sind Überraschungen. Daher wird es ohnehin ganz anders kommen, als wir es uns vorstellen.