Solange es auf Bundesebene keine Regierungsvereinbarung gibt, wagt sich in Wien niemand aus der Deckung. Eine Analyse.
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In Wien wird kommendes Jahr gewählt. Und jetzt schon sind viele Gerüchte im Umlauf - etwa jenes, dass viele Genossen in der Wiener SPÖ schon im Frühjahr wählen wollen. "Ludwig hat Angst vor dem Sommer - denn wenn der wieder so heiß wird wie der vergangene, dann spielt das den Grünen in die Hände", heißt es da etwa. Abgesehen davon, dass die Opposition genügend Zeit hätte, alte Rechnungshofberichte hervorzuholen, um sie der SPÖ einmal mehr um die Ohren hauen zu können.
Aber es gibt auch genauso viele Gegenstimmen: Ludwig ist zu entscheidungsschwach, um so etwas durchziehen zu können. Er hat es nach seinem Amtsantritt nicht gemacht, obwohl damals der Zeitpunkt angesichts der mit der EU-Ratspräsidentschaft beschäftigten ÖVP und FPÖ, sowie der darniederliegenden Grünen und der führungslosen Neos optimal gewesen wäre. "Warum sollte er es also jetzt machen?", meinen andere Genossen.
Zweifellos sind aber die Wiener Grünen an vorgezogenen Wahlen sehr interessiert. Der Zeitpunkt wäre günstig, mit dem Rückenwind der Nationalratswahl, mit dem Drängen vieler Grün-Wähler, auch auf Bundesebene Verantwortung zu übernehmen - noch bevor der Eindruck entstehen kann, dass sie von den Türkisen overruled werden.
"Wie es mit den Wiener Grünen weitergeht, hängt sehr davon ab, was bei einem allfälligen Koalitionspakt herauskommt", sagt etwa Politologe Thomas Hofer dazu. Und es müsse dabei eine grüne Handschrift erkennbar sein - und zwar über den Umweltbereich hinaus. Es gebe zwar Umfragen, die zeigen, wie intensiv die grüne Wählerschaft eine Regierungsbeteiligung befürworten würde, allerdings mit einem großen Aber davor: Denn falls Kurz die Grünen inhaltlich "abräumt" und die Grünen mit "Larifari-Ressorts" abspeist, dann werden die Grünen jene Wähler, die sie heuer wieder oder neu dazubekommen haben, ganz schnell wieder verlieren, ist Hofer überzeugt.
Richtungsänderung
Umso überraschender eigentlich die Reaktion der Wiener Grünen-Chefin Birgit Hebein, die Ende Oktober ihre ursprünglich sehr kritische Haltung gegenüber den Türkisen sehr schnell und für viele Beobachter viel zu offensiv über Bord geworfen hat, weil sie unter anderem in einem Fernsehinterview gesagt hat: "Es ist wie im richtigen Leben. In dem Augenblick, wo man Menschen direkt begegnet, verändern sich auch die Bilder im Kopf." Und das, wo Hebein noch im Jänner den Mindestsicherungsentwurf der damaligen türkis-blauen Regierung als "menschlichen Müll" bezeichnet hatte.
Das mag vielleicht dem Umstand geschuldet sein, dass Hebein bei den Sondierungsgesprächen mit am Verhandlungstisch sitzt - was im Übrigen von vielen Parteikollegen als Vorteil gewertet wird. Allerdings darf man nicht vergessen, dass genau dieser Umstand es dann auch den Wiener Grünen verunmöglicht, sich gegebenenfalls von den Verhandlungsergebnissen distanzieren zu können. Denn sowohl die Stakeholder in den eigenen Reihen als auch die NGOs werden sehr kritisch beobachten, was bei einem allfälligen Regierungsübereinkommen in Sachen Klima-, Energie- und Sozialpolitik passieren wird. Wenn hier das Bild entstehen sollte, dass die Grünen einknicken, dann wäre das vor allem ganz schlecht für die Wiener Grünen hinsichtlich der Wahl 2020 - egal ob vorgezogen oder nicht.
Vorgezogene Wahl 50:50
Grünen-Bundessprecher Werner Kogler hat zwar seine Partei noch fest im Griff. Aber wenn man beobachtet, dass der ehemalige grüne Landessprecher Joachim Kovacs im Zusammenhang mit der Casino-Affäre diese Woche auf Twitter fordert: "Expert*innenregierung weiterarbeiten lassen, bis alle strafrechtlich relevanten Vorwürfe restlos geklärt sind. Dann Neuwahlen", und der grüne Wiener Gemeinderat Martin Margulies das liked, dann wird deutlich, welche Gratwanderung die Grünen gerade hinlegen.
Und die Entscheidung der Wiener SPÖ, die Wahlen in Wien vorzuziehen, wird, wie bereits erwähnt, letztlich davon abhängen, wie die Grünen aus den Verhandlungen mit den Türkisen hervorgehen werden. So gesehen erscheint ein Wahltermin für Wien im Frühjahr wieder eher unwahrscheinlich - schließlich wird es frühestens im Jänner 2020 eine neue Bundesregierung geben, es könnte aber auch Februar werden. Und in Wien muss vor dem Urnengang noch eine Wahlreform beschlossen werden - nach dem Fristenlauf wäre erst drei Monate nach diesem Beschluss ein Wahltermin möglich. Abgesehen davon hat die Wiener SPÖ ihren Landesparteitag erst im Mai 2020 angesetzt.
Das könnte alles in allem knapp werden. Rathausklub und Landespartei gehen auf jeden Fall von einer Wahl im Herbst aus. Darauf werde hingearbeitet. Trotzdem spricht man inzwischen schon von einem "50:50-Verhältnis" zwischen einem Frühjahrs- und Herbsttermin.
Argumente lassen sich für beide Varianten genügend finden. Denn auch die Wiener ÖVP spielt hier noch eine große Rolle - und zwar geht es vor allem um die Frage, ob der türkise Part mit Gernot Blümel an der Spitze das selbe Interesse an einer Zusammenarbeit mit der Wiener SPÖ hat wie der schwarze Part mit Walter Ruck.
Rot-schwarze Präferenz
Ludwig kann mit Letzterem auf jeden Fall sehr gut zusammenarbeiten, was er regelmäßig und auch öffentlich deutlich macht. Und dass etwa auch die Flächenbezirke lieber ein schwarzes als ein grünes Planungsressort hätten, ist nichts Neues.
Aber auch die ÖVP muss gut aufpassen, welche Signale sie diesbezüglich aussendet, hat sie doch bei der Nationalratswahl in Wien viele Stimmen an die Neos und vor allem an die Grünen verloren. Angesichts der vielen Bälle, die derzeit alle Parteien in der Luft halten müssen, ist es daher schwierig, Tendenzen zu erkennen - jedenfalls so lange, bis es auf Bundesebene ein Regierungsübereinkommen gibt.