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Wiener Blut mischt sich stets neu

Von Alexia Weiss

Politik

Deutsch-Probleme sorgten auch früher für Spannungen. | Ghettos haben sich bisher nicht gebildet. | Wien. "Zu viel Fremdes tut niemandem gut", lässt FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache die Wiener im laufenden Wahlkampf wissen und wünscht sich: "Mehr Mut für unser Wiener Blut". Der Status quo: 30 Prozent der heute in Wien Lebenden sind nicht in Österreich zur Welt gekommen (siehe Grafik). Ein Wert, der hoch erscheinen mag. Doch Andreas Weigl, Historiker im Wiener Stadt- und Landesarchiv sowie Leiter des Ludwig Boltzmann Instituts für Stadtgeschichtsforschung, betont: "Der Wachstumsmotor von Großstädten ist immer die Zuwanderung - in London ebenso wie in Paris oder Wien, in der Vergangenheit wie in der Gegenwart."


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Wie setzte sich das "Wiener Blut" vor 100 Jahren zusammen? 1910 waren 46 Prozent der Wiener Bevölkerung in Wien geboren, 15 Prozent auf dem Gebiet des heutigen Österreich, ein Viertel kam aus Böhmen/Mähren beziehungsweise der Tschechoslowakei, 13 Prozent von woanders.

Ein Blick noch weiter zurück in die Geschichte zeigt: Wien war stets eine Zuwanderungsstadt. 1880 stammten 43 Prozent der Bevölkerung nicht aus dem heutigen Österreich. Weitere 100 Jahre zuvor war es ähnlich. Weigl zitiert eine Erhebung unter Wiener Handwerkern aus dem Jahr 1742. 46 Prozent dieser Gruppe war außerhalb der aktuellen Landesgrenzen zur Welt gekommen, wobei acht Prozent aus Böhmen, Mähren und Schlesien zugewandert waren, zwei Prozent aus Krain, Friaul und Ungarn, sieben Prozent aus Bayern, der Oberpfalz und Franken und 26 Prozent aus anderen Teilen Deutschlands.

Manche willkommener

Mit offenen Armen sind allerdings auch früher nicht alle Zuwanderer empfangen worden, betont Weigl. "Hier gibt es verblüffende Ähnlichkeiten zur Gegenwart." Ab 1880 verschärfte sich in der Monarchie der Nationalitätenkonflikt. Die Ungarn bildeten in Wien eine kleinere Zuwanderergruppe, die vorrangig der Oberschicht zuzuordnen war. Gegen sie hatten die Wiener nichts einzuwenden. Die Tschechen waren dagegen zahlenmäßig viel stärker - und großteils Arbeiter. Daraus ergab sich eine Konkurrenzsituation mit einheimischen Arbeitern. Und die Angst, dass in Wien bald nicht mehr Deutsch gesprochen würde. Eine Angst, die von Populisten wie dem Wiener Bürgermeister Karl Lueger - dem zugezogene Juden ein Dorn im Auge waren - massiv geschürt wurde.

Solche Abstufungen lassen sich auch auf die Gegenwart umlegen, meint Weigl. "Die Ungarn von gestern sind die Zuwanderer aus den alten EU-Ländern - Deutsche, Franzosen, Spanier, Italiener. Die Tschechisch-Sprachigen sind mit den Migranten aus den neuen EU-Staaten vergleichbar - Polen, Ungarn, Tschechen, aber auch Slowenen und Kroaten." Die Gruppen, die auf die stärkste Ablehnung stoßen, seien wohl Türken sowie Zuwanderer aus den südlich der Sahara liegenden Staaten Afrikas. Es gibt noch weitere historische Parallelen: Ab 1867 galt in der Donaumonarchie die freizügige Wahl des Wohn- und Arbeitsortes. Ähnlich verhält es sich seit dem EU-Beitritt Österreichs.

Dass Kinder von Migranten weder die Muttersprache noch Deutsch perfekt sprechen, wird heute oft beklagt. Dieses Phänomen wurde bereits bei den Kindern jener Tschechen beobachtet, die zwischen 1880 und 1914 hergekommen sind. "Sie haben weder Tschechisch noch Deutsch gut beherrscht. Es gab also schon vor 100 Jahren eine Generation, die Mischmasch gesprochen hat."

Unbeliebt trotz Deutsch

Dass Ablehnung und Akzeptanz nicht immer etwas mit Sprache zu tun haben müssen, zeigt Weigl an Hand folgender Beispiele auf: Die Ungarn-Flüchtlinge von 1956 seien hier zu Lande willkommen gewesen - die deutschsprachigen Vertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg dagegen nicht. Sie hätten einerseits die internationale Hilfe mitverbraucht und wären andererseits als Nazis oder Nazi-Anhänger identifiziert worden. "Damit wollte man nichts mehr zu tun haben."

Dass Wien weniger stark als Zuwandererstadt wahrgenommen wird als London oder New York, mag auch daran liegen, dass "hier nie eine kleinräumige Segregation stattgefunden hat", so Weigl. Auch der Regionalforscher Heinz Fassmann (Uni Wien) betont: Ausgeprägte ethnische Viertel hat es in Wien nie gegeben. Warum? "Wir haben durch die Zähigkeit, die das Mietrecht verursacht, einen Wohnungsmarkt ohne ausgeprägte Invasions- und Sukzessionsprozesse - so wie das in der Stadtforschung genannt wird." Und selbst Stadtviertel, in denen verstärkt Migranten leben, sind multiethnisch organisiert - wie etwa das Areal rund um den Yppenplatz.

Wird hier in der Stadtplanung aktiv versucht, Viertelbildungen zu vermeiden? "Man muss nichts vermeiden, weil es eben solche ausgeprägten ethnischen Viertel nicht gibt", sagt Fassmann. "Was die Stadtplanung aber sehr wohl versucht, ist die generelle Aufwertung von running down areas durch öffentliche Infrastrukturaufwendungen." Beispiele sind die Aufwertung der Stadtbahnbögen, die Hauptbibliothek am Gürtel, der geförderte Wohnbau in der Brunnengasse. "Das ist richtig und gut und zeigt eben auch den Effekt, dass wir in Wien keine großflächig abgewohnten und verfallenen Stadtteile haben."