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Sachertorte und grüner Veltliner in Bulgariens ältestem Wiener Kaffeehaus.
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Wien. Im schmucken Salon des Kaffeehauses mitten in Bulgariens Hauptstadt Sofia erklingen die zarten Töne von Mozarts Requiem. "Das ist in d-Moll, gespielt von der Sofioter Philharmoniker", sagt eine alte Dame. Sie kennt sehr viele Versionen des Requiems. Hinter ihr an der Wand hängt ein großes Bild vom Wiener Stephansdom. Doch wenn man aus dem Fenster sieht, dann blickt man direkt auf die Kathedrale zum "Heiligen Alexandar Nevski." Wer einen Blick in die Speisekarte dieses bulgarischen Cafés wirft, wird Sachertorte, Wiener Melange, Grünen Veltliner und Gulasch vorfinden. Nur vereinzelt verirren sich traditionelle bulgarische Spezialitäten, wie der Taubenschnaps oder der Lammbraten, zwischen die Zeilen der Karte.
Willkommen im "Café Wien", dem ältesten Wiener Kaffeehaus Bulgariens, mitten im Herz Sofias in der Moskovska-Straße 29 im Parlamentsviertel. Seit 1929 erklingen hier regelmäßig Strauß und Beethoven. Die Bilder an den Wänden, die Anordnung der Tische und die rot gepolsterten Stühle - alles hier erinnert an das Wien der 1930er-Jahre. In einer Ecke steht ein altes Klavier. An jedem Donnerstagabend löst ein Pianist der Sofioter Philharmoniker die CD-Anlage ab. Nur der Service widerspricht kompromisslos der Wiener Kaffeehaustradition - statt von grantigen Kellnern mit eigenwilligem Charme, wird man hier von jungen Balkanschönheiten bedient, die immer lächeln.
"Mein Lieblingsgast ist Oma Palatschinke, wie wir sie nennen. Die alte Dame ist schon über 70 und kommt jeden Morgen zum Frühstück in das Café. Sie bestellt jedes Mal eine Palatschinke mit Marillenmarmelade und redet mit niemandem", erzählt Suzan Hebib, die 24-jährige Kellnerin des Hauses. Im Gegensatz zu den Wiener Cafés, wo sich Intellektuelle, Studenten und Künstler treffen bzw. getroffen haben, gehören die Besucher der bulgarischen Version zur Elite. Österreichische Bankmanager, die Stadtaristokratie, Politiker und Diplomaten essen hier zu Mittag und besprechen ihre Geschäfte. Neureiche verirren sich nicht in das Lokal, zu altmodisch ist es ihnen. Auch Studenten, Künstler oder junge Leute kommen fast nie in das Nobelkaffeehaus. Das liegt vor allem an den Preisen, die bis zu drei Mal höher sind als in anderen Kaffeehäusern in Sofia.
Auch echte Wiener frequentieren das Café
"Viele Gäste kommen wegen der Erinnerungen und der Ruhe hierher", sagt der Geschäftsführer Dragomir Markov. Und tatsächlich wirken die Räume am frühen Abend fast gespenstisch leer. Zu einer Zeit, zu der sich viele Bulgaren auf ein Abschlussbier nach der Arbeit treffen, sitzen nur wenige Gäste im "Café Wien". "Wir kommen gern hierher, weil es so schön ruhig ist und man sich in diesen Räumen irgendwie speziell fühlt", sagt Ivan T., der im kleinen Salon den Arm um eine deutlich jüngere Dame gelegt hat. Für ein Foto ist er nicht zu haben. Auch eine Gruppe von elegant gekleideten Damen mit Echtledertaschen und Tweed-Sakkos trifft sich regelmäßig hier: "Die Musik ist traumhaft, und es ist nicht so laut und voll wie in anderen Lokalen", sagt eine von ihnen.
Das Kaffeehaus befindet sich im ältesten noch erhaltenen Wohnhaus der Stadt, erzählt der Geschäftsführer. Dieses wurde 1929 gebaut, und kurz darauf ist auch das "Cafè Wien" eröffnet worden - damals noch von echten Wienern, so die Legende. In den 83 Jahren seines Bestehens hat es unzählige Besitzer und zwei Regime überlebt. Nach dem Untergang der Monarchie haben sich hochrangige kommunistische Parteisekretäre in diesen Räumen getroffen und auf Gleichheit und die Arbeiterklasse angestoßen. Und danach haben NS-Offiziere während des Zweiten Weltkriegs hier gespeist. Heute besprechen Politiker und Wirtschaftsbosse ihre Geschäfte in den altmodischen Salons. Sogar der ehemalige Premierminister Boiko Borissow soll das Lokal besucht haben, erzählt Kellnerin Hebib.
"Soweit ich weiß, war es Zeit seines Bestehens ein Wiener Salon oder Café, nie etwas anderes", erzählt Tanja Ivanova. Sie und ihr Mann betreiben das Lokal seit 2010 und sind, wie ihre Vorgänger, der Tradition treu geblieben - auch, wenn sie selbst keinen direkten Bezug zur österreichischen Hauptstadt haben. Sie haben Bilder von Wien aufgehängt, importieren österreichische Weine und haben den Parkettboden so lange schleifen lassen, bis er ganz alt und modrig ausgesehen hat, "wegen der Authentizität", wie der Geschäftsführer sagt.
Bulgarische Gourmets kommen nicht zu kurz
Sogar echte Wiener gehören zu den Stammgästen. "Bis vor kurzem hat sich hier jede Woche eine Gruppe von 10 bis 15 Wienern getroffen, hauptsächlich Diplomaten der österreichischen Botschaft und ihre Gäste. Aber seit sie einen neuen Botschafter haben, kommen sie nicht mehr so oft", klagt eine Kellnerin.
Jene, die kommen, hören hier ihre Musik, genießen ihre Sachertorte und sind nur von der Sofioter Elite umgeben. Und falls sie dennoch Lust auf etwas typisch Bulgarisches verspüren, serviert das Traditionshaus Schnaps, Lammbraten oder Schopska Salata. Geschäftsführer Markov erklärt warum: "Wir dürfen nicht vergessen, dass wir am Balkan sind. Nur mit Wiener Melange kommt man hier nicht weit."