Nach 70 Jahren SPÖ-Regierung übernimmt die ÖVP mithilfe von FPÖ und Grünen das Ruder.
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Wr. Neustadt. Die Bundes-SPÖ ist außer sich: In Wiener Neustadt wurde die SPÖ am Sonntag durch ein Bündnis von ÖVP, FPÖ, Grünen und Namenslisten entmachtet. Am 20. Februar wird ein ÖVP-Mann in der bisher roten Hochburg Niederösterreichs das Bürgermeisteramt übernehmen. "Ausgerechnet die Grünen, die sich sonst so gern als moralische Instanz aufspielen, nutzen die erstbeste Gelegenheit und machen jetzt den Steigbügelhalter für die Blauen", empörte sich Bundesgeschäftsführer Norbert Darabos im Parteipressedienst am Montag. Aber auch die Wiener SPÖ bekundete Unmut: "Die neue Rolle als reiner Mehrheitsbeschaffer für Schwarz und Blau lässt an der Verlässlichkeit der Grünen Zweifel aufkommen", sagte SPÖ-Landesparteisekretär Georg Niedermühlbichler. Er sprach von einem "Sündenfall" und meinte, dass nun von den "Grünen alles zu erwarten" sei.
Die Sozialdemokratie hat bei der Gemeinderatswahl am 25. Jänner ihre seit 1945 bestehende absolute Mehrheit in der Statutarstadt Wiener Neustadt verloren. Klaus Schneeberger, ÖVP-Klubobmann im niederösterreichischen Landtag, der schon von 1986 bis 2000 Vizebürgermeister von Wiener Neustadt war, stellte im Wahlkampf das schier unmögliche Ziel auf, Bürgermeister werden zu wollen. Am Sonntag einigte sich seine ÖVP mit FPÖ-Spitzenkandidat Michael Schnedlitz, Grünen-Spitzenkandidatin Tanja Windbüchler-Souchill, SozialesWN-Spitzenkandidatin Evamaria Sluka-Grabner und WIR-Spitzenkandidat Wolfgang Haberler auf eine bunte Stadtregierung. Ein Koalitionsübereinkommen gibt es nicht, in den kommenden fünf Jahren herrscht das freie Spiel der Kräfte im Gemeinderat.
Schneeberger hatte die ÖVP als Spitzenkandidat zu 33,94 Prozent (plus 9,42 Prozentpunkte) und damit zum besten Ergebnis in Wiener Neustadt in der Zweiten Republik geführt. Schneeberger, der einer der engsten Vertrauten von Landeshauptmann Erwin Pröll ist, will auch weiterhin im Landtag bleiben. Dass mit Schneeberger ein politisches Schwergewicht die Zügel der roten Stadt übernimmt, werde die SPÖ schmerzlich spüren, sagt der Politikanalyst Thomas Hofer im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Der Sozialdemokratie breche damit nach 70 Jahren an der Macht nicht nur die Bürgermeisterfunktion weg, sie verliere auch die politischen Strukturen. Es werde nicht leicht, die Stadt zurückzugewinnen.
Hofer kann daher verstehen, dass man in Wien von "Stilbruch" spricht und den Phantomschmerz beklagt. Zumal Bürgermeister Michael Häupl heuer in Wien vor einer Wahl steht, die sehr wahrscheinlich nicht mit einer Absoluten der SPÖ ausgehen wird. Daher sei es verständlich, wenn Niedermühlbichler davor warne, dass die Grünen gemeinsam mit ÖVP und FPÖ die SPÖ entthronen und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache zum Bürgermeister wählen könnten. Das sei in erster Linie als Mahnung an die eigenen Funktionäre zu verstehen, sagt Hofer, aber er verweise auch darauf, dass die SPÖ Mehrheitsbildungen jenseits der SPÖ ins Auge fassen muss. Sozusagen: "Achtung, es sind schon Hausherren gestorben." In Wiener Neustadt habe man diese Gefahr jedenfalls völlig ausgeblendet und nicht daran gedacht, dass die SPÖ nach 70 Jahren einfach aufs Abstellgleis gestellt werden könnte. Der Rücktritt von Bürgermeister Bernhard Müller noch am Wahlabend habe ein Machtvakuum entstehen lassen. Dem neuen SPÖ-Bürgermeisterkandidaten Horst Karas sei es nicht gelungen, den Bürgermeistersessel mit allen Mitteln zu halten, sagt Hofer.
Nun sei der Machttechniker Schneeberger am Werk - und dieser kenne das Spiel der Macht. Hofer erwartet, dass der neue Bürgermeister die Stadt strukturell umbauen werde - was eine Rückkehr der SPÖ an die Spitze noch schwieriger erscheinen lasse. Es sei denn, dass sich ÖVP, FPÖ, Grüne und Namenslistenvertreter im freien Spiel der Kräfte verheddern. Aber ein Politschwergewicht wie Schneeberger wird ein solches Szenario zu verhindern wissen.
Zuerst wird es einmal einen Kassasturz geben, kündigte das bunte Bündnis an. Sämtliche Ermessensausgaben der verschuldeten Stadt werden durchforstet, die Stadtverwaltung wird reformiert und die Gesellschaften der Stadt werden analysiert. Die offenen Fragen Innenstadt und Arbeitsmarkt will Schneeberger sofort angehen.
Die neue Stadtführung verfügt über 23 der 40 Mandate: ÖVP 14 (2010: 10), FPÖ 5 (4), Grüne 2 (1) sowie je ein Sitz für "Soziales Neustadt Liste Sluka Grabner" (3) und die "Liste Haberler - WN-Aktiv" (1). Die SPÖ hält 17 Mandate (21). Die Volkspartei stellt mit Schneeberger den Bürgermeister, auch Vize und zwei Stadträte werden von der ÖVP besetzt. Die FPÖ stellt zwei Stadträte, außerdem wird Schnedlitz zum Bürgermeister-Stellvertreter ernannt. Die SPÖ stellt weiterhin fünf Stadträte. Die Grünen übernehmen den Vorsitz im Kontrollausschuss.