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Wiener Rüdenburg: Minister ante portas

Von Matthias G. Bernold

Politik

Der Plan Justizminister Dieter Böhmdorfers, den Jugendgerichtshof (JGH) in der Wiener Rüdengasse mit Ende 2002 zu schließen und dessen Agenden ins Landesgericht für Strafsachen Wien zu integrieren sorgt für heftige Kritik. Hinter der Frage, JGH Ja oder Nein, stehen neben rationellen Argumenten auch persönliche Animositäten.


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"Ich könnte legendär werden. Als letzter Präsident des Jugendgerichtshofs Wien in die Geschichte eingehen." Allein - das will er nicht. Udo Jesionek, der seit 1982 in Amt und Würden ist und mit Ende dieses Jahres in Pension geht, will "seinen" Gerichtshof am Leben erhalten. Mit Händen und Füßen wehrt er sich gegen die Eingliederung ins Wiener Landesgericht für Strafsachen vulgo "Graues Haus".

Dass er und der Justizminister die besten Freunde sind, wird niemand ernsthaft behaupten wollen. Zu oft schon torpedierte der streitbare JGH-Präsident Dieter Böhmdorfers Bestrebungen nach Veränderung der Rechtsordnung. Sobald es an die Verschärfung der Rechtlage ging, setzte es von Jesionek Kritik: Bei der Herabsetzung der Strafmündigkeit gerieten sich die beiden ebenso in die Haare, wie bei der anstehenden Reform der Strafprozessordnung (StPO), wiewohl einige der von Böhmdorfer angestrebten Maßnahmen - hier ist die verstärkte Berücksichtigung der Opferinteressen zu nennen - auch bei Jesionek, der selbst auch Präsident der Opferhilfe-Organisation Weißer Ring ist, auf eine gewisse Sympathie gestoßen waren.

Böhmdorfers Vorgangsweise als schnödes Revanche-Foul am frechen Kontrahenten, wie hinter vorgehaltener Hand da und dort zu vernehmen war?

Dem Minister unterstellen zu wollen, er würde die 70-jährige Institution aus persönlicher Antipathie zerschlagen, ginge zu weit. Andererseits fallen Sparmaßnahmen naturgemäß dort leichter, wo man keine Freunde vergrault, sondern lediglich Widersachern auf die Füße tritt.

Welche Argumente wurden in die Diskussion eingebracht?

- Wenn Böhmdorfer den JGH "rechtliche Anomalie" nennt, ist ihm wohl Recht zu geben. Die Konstruktion des Gerichtes ist einzigartig innerhalb Österreichs. Allerdings hat die Spezialisierung gute Gründe. Experten wie der Kinder- und Jugendpsychologe Max Friedrich führen ins Treffen, dass Jugendkriminalität vor allem ein Großstadt-Phänomen ist. Rund ein Drittel aller Jugend-Delikte und ca. die Hälfte der schweren Jugend-Delikte ereignen sich in Wien, der einzigen Millionenstadt des Landes.

Darauf zu reagieren ist die Aufgabe der 16 speziell ausgebildeten Jugendrichter des JGH. In ihrer Urteilsfindung werden sie von einem weiten Spektrum an Hilfsorganen und Organisationen unterstützt: So steht man in ständigem Kontakt mit der Bewährungshilfe, dem Süchtigen-Rehabilitations-Verein Grüner Kreis, Opferhilfeorganisationen wie Tamar oder Weißer Ring. Das Jugendamt ist vor einigen Jahren ins Nachbargebäude eingezogen, um die Kooperation zu vertiefen.

Vor allem die - im Gerichtsgebäude untergebrachten - 14 Psychologen und Sozialarbeiter der Jugendgerichtshilfe sorgen mit ihren vielfältigen Aufgaben dafür, dass die jugendliche Straftat auf eine sinnvolle Weise gesühnt wird. Instrumente wie Bewährungshilfe oder die Diversion mit Außergerichtlichem Tatausgleich, Gemeinnützigen Leistungen, hatten hier ihren Ursprung und erkämpften sich nach und nach auch ihren Platz im Erwachsenen-Strafrecht.

- Böhmdorfers Ansicht, der JGH sei rechtsstaatlich bedenklich, weil zwei Instanzen - Bezirksgericht und Landesgericht - in einem Haus vereinigt seien, ist von rechtsdogmatischer Stringenz. Allerdings bewährt sich die Konstruktion seit 1928 - rechtsstaatliche Bedenken sind in der über 70-jährigen Geschichte nie aufgetaucht. Auch muss es verwundern, dass der JGH erst im Vorjahr mit mehr Kompetenzen ausgestattet wurde: Seit Juli 2001 richtet er auch über die 19 bis 21-Jährigen, die sogenannten Jungen Erwachsenen, und bekam - wenn auch nach monatelangen Querelen - die versprochenen vier zusätzlichen Richter. Welchen Sinn hat es aber, ein Gericht aufzuwerten und ein Jahr später zu schließen?

- Bleibt Böhmdorfers Hauptargument: Die Kostenfrage. Zweifellos sind durch die Erweiterung der Jurisdiktionsbefugnis der Jugendrichter zusätzliche Transportkosten entstanden. Junge Erwachsene in U-Haft sind nämlich zum Großteil im "Grauen Haus" untergebracht und müssen für den Prozess vom VIII. in den III. Bezirk überstellt werden, was massive Zusatzkosten verursacht: Kolportiert wird die Zahl von 2.000 zusätzlichen Überstunden für Justizwachebeamte. Durch die Unterbringung aller U-Häftlinge in einem Gerichtsgebäude wäre dieser Kostenfaktor mit einem Schlag Vergangenheit.

Jesionek selber regte im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" demgegenüber an, doch einfach die Organisation zu verbessern und die teuren Einzel- durch Sammeltransporte zu ersetzen. Außerdem glaubt Jesionek, dass dem Wegfall der Transportkosten "Millioneninvestitionen" in der Justizanstalt Josefstadt im Grauen Haus gegenüberstünden, um alles jugendlichen-gerecht umzugestalten.

Stimmt nicht, argumentiert der Minister: Am Landesgericht bestünden nach Beendigung der Großreparatur räumliche Überkapazitäten - auch die Aufnahme aller Jugendrichter, Staatsanwälte, Kanzleibediensteten des JGH sowie der Jugendgerichtshilfe stellte kein Problem dar.

Ähnlicher Ansicht ist auch der Präsident des Straflandesgerichts Günter Woratsch. Zwar sei die Art und Weise, wie die Beteiligten informiert wurden, zu kritisieren, doch halte er die Neu-Organisation im Sinne Böhmdorfers für durchführbar. Dazu muss man wissen, dass Woratsch mit der Übertragung der Jurisdiktionsbefugnis für die Jungen Erwachsenen vom Grauen Haus an die Rüdenburg von Anfang an wenig Freude hatte - seither kriselt es zwischen ihm und seinem alten Weggefährten Jesionek.

- Argument der Gegner: Die Kriminalitätsrate würde steigen. Schon im ersten Schock ließ Jesionek verlauten, mit dem Zusammenschluss der Gerichte, würde die Jugendkriminalität explodieren. Wie kann das sein, wo doch Böhmdorfer beteuert, an den Sonderregeln für Jugendliche werde nicht gerüttelt, alles bliebe beim Alten, nur dass Jugendliche und Erwachsene eben nicht mehr in getrennten Häusern inhaftiert seien, sondern in getrennten Abteilungen innerhalb des Grauen Hauses?

"Weil es eine genaue Abgrenzung in Wirklichkeit nicht geben kann", meint Psychiater Friedrich, der auch in Gefängnissen Dienst tut. Aus diesem Grund drohe - neben der erhöhten Gefahr sexuellen Missbrauchs - auch das Risiko krimineller Infektionen.

In der anonymen Atmosphäre der Justizanstalt Josefstadt - derzeit sind dort 1.050 Häftlinge untergebracht (in der Rüdengasse sind rund 80 inhaftiert) - "verkommt jeder Jugendliche zur Nummer." Eine optimale Betreuung nach psychologischen und pädagogischen Prinzipien, um nachhaltig die Rückfallsquote zu senken, sei ausgeschlossen. Friedrich: "Ich glaube, wenn nicht mehr mit dieser feinen Klinge wie bisher gearbeitet wird, werden sich nur wenige bessern." Als jugendlicher Untersuchungs-Häftling ins "Landl" (das Graue Haus, Anm.) zu kommen, in die Nähe einer "Anhäufung von Schwerverbrechern", sei "das letzte, was passieren darf", erklärte Friedrich der "Wiener Zeitung". So jemand habe vom ersten Moment an keine Chance auf einen Arbeitsplatz.

Zurück in die Rüdenburg, wo dieser Tage Grabes-Stimmung herrscht. Am Tag der Angelobung der neuen Anstaltsleiterin Christa Wagner-Hütter vorige Woche hatten die Beschäftigten am JGH sogar eine schwarze Fahne gehisst. Ein Gespräch zwischen Minister und Betroffenen Freitag Abend brachte keine spürbare Annäherung. Doch ein Diskussionsprozess läuft (jetzt), wenn auch nur halböffentlich, da den Behörden in der Rüdengasse von ministerieller Seite Stillschweigen verordnet wurde. Vielleicht lässt sich dennoch eine vernünftige Lösung für bestehende Probleme finden. Und vielleicht lässt sich auch verhindern, dass der vorlaute Mann in der Rüdenburg nicht als letzter Präsident eines Jugendgerichts zur Legende wird...

Böhmdorfers Plan

Ab Jänner 2003 soll der Jugendgerichtshof Wien (JGH) aufgelöst werden. Die Jugendgerichtsbarkeit wird fortan am Landesgericht für Strafsachen Wien geübt. Die 16 Jugendrichter wandern mit bzw. werden auf die Bezirksgerichte verteilt.

Das Team der Jugendgerichtshilfe soll ins Graue Haus mitübersiedeln. Auch auf die Vollzugsanstalten, die in den beiden Gebäuden untergebracht sind, hätte die Novelle Auswirkungen. So sollen in der Justizanstalt Josefstadt (am Landesgericht) künftig alle Untersuchungs-Häftlinge - egal ob Jugendliche, Junge Erwachsene (bis 21 Jahre) oder Erwachsene untergebracht werden. In der Justizanstalt Erdberg (am JGH) wären Jugendliche und Junge Erwachsene untergebracht, die kurze Haftstrafen absitzen. Die zu langen Haftstrafen verurteilten Jugendlichen sollen in der Justizanstalt Gerasdorf verbleiben. Dieser Status soll bis zur Errichtung einer "Vollzugsanstalt für Jugendliche im Vorstadtbereich" - so Böhmdorfer - erhalten bleiben.