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Wiener rüsten auf

Von Daniel Bischof

Politik

Anzahl an Anträgen für Waffenbesitzkarten hat sich erhöht.|Ein Motiv dafür dürfte unter anderem die Flüchtlingssituation sein.


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Wien. Die Nachfrage nach Schusswaffen ist innerhalb weniger Wochen in Wien stark gestiegen: Das bestätigen auf Anfrage der "Wiener Zeitung" sowohl Waffenfachhändler und Psychologen als auch die Auswertungen von behördlichen Statistiken. Vom 1. bis 28. Oktober beantragten 198 Personen eine Waffenbesitzkarte in Wien - im August waren es noch zehn gewesen. Insgesamt wurden vom ersten Jänner bis 30. September 846 Anträge verzeichnet. Die Anzahl an Anträgen sei weiterhin hoch, heißt es aus der Landespolizeidirektion Wien.

"Wir hatten dieses Jahr bis jetzt pro Monat durchschnittlich zehn Teilnehmer an Waffenführerscheinkursen. Im Oktober waren es plötzlich 68, im November gab es bis jetzt 67. Es werden diesen Monat voraussichtlich 100 werden", sagt Markus Schwaiger vom Waffenhandel Euroguns. Ausgebucht seien die Kurse aber nicht: "Wir machen einfach mehr Termine." Veränderungen in der Kundenklientel habe er keine wahrgenommen. "Wie immer sind etwa 80 bis 90 Prozent Männer, die auch vom Eindruck her ganz normale Leute sind", sagt Schwaiger. Primär gefragt seien Faustfeuerwaffen und Flinten. Das bestätigen auch andere Waffenhändler.

Gerhard Pöpl, Geschäftsführer des Waffengeschäfts "doubleaction OG", berichtet von steigenden Verkäufen seit Anfang September. Die Kunden würden aus allen möglichen Bevölkerungs- und Alterskreisen kommen: "Teilweise kommen die Leute mit dem Chauffeur, der sich dann draußen einparkt. Genauso gibt es Leute, die fragen, ob die Ware bis Ende des Monats reserviert werden kann, weil sie auf ihr Monatsgehalt warten müssen."

Die Nachfrage im November sei wie in den letzten Wochen "gleichbleibend, auf höherem Niveau", sagt Heribert Seidler. Bei einem Besuch in seinem Waffengeschäft "Seidler-Waffen" in der Heiligenstädter Straße herrscht am Mittwochnachmittag ein reges Kommen und Gehen. "Wir bieten die Grundschulungen zur Erlangung der Waffenbesitzkarte und des Waffenpasses an. Da gibt es einen signifikanten Anstieg. Bis Jahresende sind wir ausgebucht." Derzeit würden mehr Frauen als sonst kommen. Zudem sei auffallend, dass viele Polizisten privat eine Waffe kaufen würden.

Bei der Frage, warum sich die Wiener verstärkt aufrüsten, werden unterschiedliche Motive genannt. "Selbstschutz ist meistens ein Thema", berichtet Seidler. Allerdings würden die Menschen vielfach auch einfach hobbymäßig auf den Schießstand gehen. Die Flüchtlingskrise hätte mit der höheren Anzahl von Anträgen für Waffenbesitzkarten sicher auch etwas zu tun. Die Menschen würden sich mit zunehmender Tendenz selbst um ihre Belange kümmern wollen, da sich der Staat aus verschiedenen Bereichen - wie etwa bei den Pensionen, der Gesundheit und eben auch der Sicherheit - zurückziehen würde. Das sehe man bei der Hilfe von Privaten bei der Flüchtlingskrise: "Ohne die wäre es wahrscheinlich gar nicht möglich", sagt Seidler.

Motiv Selbstverteidigung

"Einerseits geht es mich nichts an. Anderseits kommt teilweise schon im Gespräch durch, dass jemand etwas für die Selbstverteidigung braucht", so Schwaiger. Beim psychologischen Test würden die Menschen dagegen behaupten, eine Waffe aus sportlichen Gründen zu wollen. Das könne aber auch eine Schutzbehauptung sein, sagt Schwaiger.

Warum sich jemand eine Waffe zulegen würden - darüber mache er sich keine Gedanken, meint Pöpl. Denn laut Waffengesetz sei es eine ausreichende Rechtfertigung, eine Waffe zur Selbstverteidigung in den eigenen vier Wänden bereitzuhalten. "Es gibt keinen Grund, bei mir im Geschäft einen zweiten psychologischen Test einzuführen, bei dem ich mit den Leuten philosophiere, ob oder wofür sie eine Waffe verwenden wollen." Wenn ihm jemand in seinem Geschäft suspekt erscheine, würde er bei ihm auch keine Waffe kriegen - das komme aber nur selten vor. Der Waffenhandel sei sowieso eine der am meisten reglementierten und kontrollierten Branchen in Österreich überhaupt - das sei auch gut so, sagt Pöpl.

Dass die steigende Beliebtheit von Schusswaffen auf das Jagen zurückzuführen ist, können Seidler und Pöpl nicht bestätigen. "Damit man die Jagd ausüben darf, muss man einen mehrmonatigen Jagdkurs absolvieren. Das ist eine viel längerfristige Geschichte als der Erwerb der Waffe selbst. Ich sehe weder beim Schießsport noch bei der Jagd die großen Anstiege - ganz einfach auch, weil man sie zu diesem Zeitpunkt gar nicht sehen kann", sagt Pöpl. Wer sich für die Jagd interessiere, sei entweder auf Trophäen aus oder wolle natürliches Fleisch haben und sich in der Natur aufhalten. "Das sind Dinge, die mit den Entwicklungen der letzten Monate und Wochen nichts zu tun haben. Die Leute scheinen Bedenken zu haben, ob die Sicherheitslage - die in Österreich hervorragend ist - in einigen Monaten auch noch so sein wird", erklärt sich Pöpl den Anstieg.

Schlechte Lieferfähigkeit

Im Internet kursierende Gerücht, nach denen ganze Lagerbestände von Waffen und Munition ausverkauft sein, relativiert Pöpl: "Die Leute purzeln nicht autobusweise vor dem Waffengeschäft heraus." Von Engpässen bei bestimmten Waffenmarken sei "überhaupt keine Rede". Etwaige Verzögerungen bei den Bestellungen hätten einen logistischen Hintergrund.

Waffengeschäfte würden nur in relativ geringen Stückzahlen Waren bestellen und verkaufen. Zudem sei die Lieferfähigkeit in der Waffenbranche sehr schlecht: "Was ich diesen März oder April bei den amerikanischen Lieferanten bestellt habe, bekomme ich nächstes Frühjahr geliefert", sagt Pöpl. Die Vorlaufzeiten für Waffen würden - je nach Marke - generell zwischen zwei Wochen und zwölf Monaten betragen. Komme es nun zu einer geringfügigen Erhöhung des Bedarfs, würde die Bestellplanung der Händler "überhaupt nicht mehr funktionieren."

Die derzeit so stark verzeichneten Anstiege bei den Antragstellungen betreffen die Waffenbesitzkarte, die zum Erwerb und Besitz einer Waffe der Kategorie B - dazu zählen etwa Faustfeuerwaffen wie Pistolen, Revolver und bestimmte Langwaffen - benötigt wird. Um eine solche zu erhalten, bedarf es zweierlei Voraussetzungen: Einerseits muss der Waffenführerschein absolviert werden, der waffenrechtliche Grundlagen vermittelt und einen praktischen Teil mit Sicherheitseinschulung beinhaltet. Anderseits müssen die Antragsteller einen psychologischen Test, die sogenannte "waffenpsychologische Verlässlichkeitsprüfung", bestehen.

Cornel Binder-Krieglstein, Psychologe und Geschäftsführer des "Instituts für psychologische Dienste", führte zuletzt vermehrt solche Tests durch. Die Motive für die Beantragung einer Waffenbesitzkarte hätten sich geändert. Früher sei die Karte besonders aufgrund sportlicher Zwecke begehrt gewesen - nun liege das Schwergewicht auf der Selbstverteidigung. Viele Menschen hätten Angst vor Einbruchsdiebstählen durch organisierte Banden - besonders in Ostösterreich. Um die jetzige Jahreszeit würden die Menschen generell etwas öfter das Motiv Selbstverteidigung angeben - auch aufgrund der Dämmerungseinbrüche. Im Vergleich zum selben Zeitraum im Vorjahr würden aber nun doppelt so viele Menschen dieses Motiv nennen - er schließt deswegen einen Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise nicht aus.

Allgemeine Unsicherheit

"Seit etwa drei Monaten treten deutlich mehr Personen wegen der Verlässlichkeitsprüfung an mich heran", sagt auch der klinische Psychologe Karl Javorszky. Während es früher ein bis maximal drei Personen pro Woche gewesen seien, wären es nun zwischen vier und sechs Personen. Die meisten Menschen würden den Test bestehen - die Ablehnungsrate liege etwa zwischen sieben und zehn Prozent. Er bestätigt, dass Menschen vermehrt als Motiv den Selbstschutz angeben würden. "Die Leute sagen mir auch, sie hätten gehört, dass die EU die Waffengesetze demnächst verschärfen wolle. Sie wollen sich noch das Recht, eine Waffe zu kaufen, sichern", sagt Javorszky. Es gäbe seit längerem eine allgemeine Unsicherheit unter den Menschen - diese würde durch die Flüchtlingskrise verstärkt werden.

Neben der Waffenkategorie B gibt es auch die Kategorien A, C und D. Verbotene Waffen und Kriegsmaterial gehören der Kategorie A an - dazu zählen zum Beispiel Pumpguns. Für Waffen der Kategorie B benötigt man die Waffenbesitzkarte oder einen Waffenpass. Der Waffenpass, für den man einen besonderen Bedarf haben muss, berechtigt neben dem Erwerb und Besitzen auch zum Führen einer Waffe. Bei der Ausstellung von Waffenpässen seien die Behörden "sehr restriktiv", sagt Pöpl. Bei Waffen der Kategorie B muss der Händler zudem die Eintragung ins Zentrale Waffenregister (ZWR) selber vornehmen. Im ZWR werden Schusswaffen aller Kategorien registriert.

Waffen der Kategorie C und D - Büchsen und Flinten - können frei erworben werden. Der Waffenhändler darf drei Tage nach dem Rechtsgeschäft die Waffen dem Käufer übergeben - bis dahin muss er bei der Behörde nachfragen, ob gegen den Käufer ein Waffenverbot vorliegt. Der Erwerber muss zudem eine Registrierung im ZWR bei einem Waffenfachhändler binnen sechs Wochen ab Erwerb oder Weitergabe vornehmen.

Laut Innenministerium waren im ZWR zum Stichtag erster November in Wien insgesamt 31.009 Waffenbesitzer verzeichnet - am ersten Oktober sind es 30.852 gewesen. Österreichweit stieg die Zahl von 256.321 auf 258.622 Waffenbesitzer. Vergleichsdaten aus dem Vorjahr zeigen, dass die Zahl der Waffenbesitzer aber auch 2014 gestiegen ist: Vom ersten Juli zum 22. Dezember gab es einen Anstieg von 240.699 auf 250.910 Personen.

Laut Pöpl würden sich die aktuellen Entwicklungen in den Statistiken des Innenministeriums aber noch nicht widerspiegeln: "Ich gehe im November von einer erhöhten Anzahl an Meldungen ins Zentrale Waffenregister bei den Waffen der Kategorie B, C und D aus. Anfang September hat diese verstärkte Nachfrage - aus welchen Gründen auch immer - begonnen. Erst jetzt, in dieser und der nächsten Woche, kommen die großen Waffenlieferungen für diese Kunden an. In Österreich dauert es mindestens acht bis zwölf Wochen, um in den Besitz einer Waffe der Kategorie B zu kommen."

"Ich würde auf die Statistiken im Dezember und Jänner warten", meint Schwaiger. Im Innenministerium will man die steigende Anzahl an Anträgen für Waffenbesitzkarten nicht kommentieren. Auch eine Trendeinschätzung für die künftige Entwicklung will man nicht abgeben.

Starker Anstieg in Leibnitz

Doch wie schaut es eigentlich in Restösterreich aus? Werden in Gemeinden, die von der Flüchtlingskrise besonders betroffen sind, mehr Waffenbesitzkarten beantragt? Einen deutlichen Anstieg verzeichnete die Bezirkshauptmannschaft (BH) Leibnitz, in der die Gemeinde Straß-Spielfeld liegt. Während sie im ersten Halbjahr 2015 insgesamt 53 und im September 14 Waffenbesitzkarten ausstellte, waren es im Oktober 63. Zum Vergleich: 2014 wurden im ersten Halbjahr 37 Waffenbesitzkarten ausgestellt, im September waren es vier und im Oktober sieben. Die Tendenz sei steigend, da es vermehrt telefonische und persönliche Anfragen gäbe, welche Unterlagen für die Ausstellung der Waffenbesitzkarte benötigt würden, heißt es aus der BH.

Bei den 63 Ausstellungen im Oktober 2015 hätten 70 Prozent als Rechtfertigung das Sportschießen - belegt durch eine bereits bestehende Mitgliedschaft in einem Sportschützenverein - angegeben. Ungefähr 30 Prozent hätten sich auf Selbstschutz berufen - wobei nur "ein Bruchteil im Promille-Bereich" den Selbstschutz in Verbindung mit Flüchtlingen nannte. Eine besondere Entwicklung hinsichtlich der Bewohner der Gemeinde Straß-Spielfeld gäbe es nicht.

Die BH vom Bezirk Neusiedl Am See, in dem sich die Gemeinde Nickelsdorf befindet, berichtet, dass sie im Oktober 2015 etwa so viele Antragstellungen für Waffenbesitzkarten gehabt habe wie sonst in einem Quartal. Genauere Zahlen könne man allerdings nicht nennen, da man noch diesbezügliche Auswertungen abzuwarten habe. "Bei den Antragstellern hat es keine Auffälligkeiten zur Gemeinde Nickelsdorf gegeben", heißt es.