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Wiener Wadelbeißer

Von Matthias Winterer

Politik
Wien ist und bleibt ein schwieriges Pflaster für die ÖVP.
© Winterer

SPÖ, FPÖ, ÖVP, Grüne: Die vier Bundesparteien haben Probleme mit ihren Landesorganisationen in Wien. Anstatt miteinander, wird gegeneinander gekämpft. Eine Analyse.


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Wien ist anders. Die Bundesparteien haben es nicht leicht mit der Hauptstadt. Ihr Wahlkampf wird von den eigenen Wiener Landesorganisationen immer wieder gestört. Hier ein Nadelstich. Dort ein Schlag. Und manchmal sogar ein Torpedo. Weder SPÖ, noch ÖVP, die Grünen und schon gar nicht die FPÖ harmonieren mit ihren Wiener Pendants. Die Performance der Parteien in Wien ist essentiell für eine erfolgreiche Wahl. Immerhin stellt die Bundeshauptstadt 1,15 Millionen Wähler. Mobilisieren sollen sie die Landesparteien. Doch diese rennen oft gegen die Mutterpartei, statt für sie. Auch wenn sie nach außen das Gegenteil behaupten.

Über die Reibereien innerhalb der Parteien gibt es keine Pressekonferenzen, keine Aussendungen, keine Auskunft. Es wird Geschlossenheit demonstriert. Doch wer genau hinsieht, erkennt die Bruchlinien. Ein Überblick.

Rennt Ludwig für Rendi?

Rendi braucht die mächtige Wiener SPÖ. Aber rennt Ludwig wirklich für sie?
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Wien, September 2018: Michael Ludwig ist schmähstad. Der Wiener Bürgermeister wurde kalt erwischt. Parteichef Christian Kern hat völlig überraschend das Handtuch geworfen. Die panische Suche nach einer Nachfolge wird ohne die Wiener SPÖ bestritten. Ludwig steht vor vollendenten Tatsachen. Pamela Rendi-Wagner ist nicht seine erste Wahl. Seinem Grant lässt Ludwig freien Lauf. In Interviews gibt er sich von Rendi-Wagner nicht wirklich überzeugt. Vor laufenden Kameras bestätigt er, dass sie nicht seine Wunschkandidatin ist. Väterlich macht er sich über Rendi-Wagners Arbeitspensum Sorgen. Sie könnte ja überfordert sein. Ihre Meinung könne Rendi schon sagen, er werde ihr schon zuhören, gesteht er ihr in der "ZiB 2" überheblich ein. Geschlossenheit sieht anders aus.

Ein Jahr später gibt sich die SPÖ geeint. Rendi-Wagner und die Bundespartei brauchen Ludwig und die Wiener SPÖ. Sie ist die mit Abstand mächtigste Landesorganisation der Partei. Sie ist ihre Mobilisierungs-Maschine. Sie ist ihr Motor. Ohne die Wiener SPÖ ist die Bundespartei verloren. Rendi-Wagner muss sich auf Ludwig verlassen können. Aber rennt Ludwig wirklich für Rendi? "Sie haben für den Wahlkampf eine professionelle Allianz geschlossen", sagt der Politologe Peter Filzmaier. "Aber darüber hinaus geht die Beziehung nicht, da sollte sich Rendi-Wagner keine Hoffnungen machen."

Sinnbildlich für das Verhältnis zwischen Rendi-Wagner und Ludwig war die Nacht nach der Europawahl im Mai. Während Rendi-Wagner böse Miene zum guten Spiel machte, jubilierte Ludwig. Die SPÖ verlor - trotz Ibiza-Skandal - 0,7 Prozentpunkte. In Wien legte sie jedoch, völlig entgegen dem Bundestrend, satte 2,3 Prozentpunkte zu. "Ich konzentriere mich auf Wien, und hier haben wir ein tolles Ergebnis eingefahren", sagte Ludwig lächelnd. Da war sie wieder. Die Süffisanz gegenüber der Parteichefin.

Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Kommt Ludwig ein schlechtes Abschneiden der SPÖ bei der Nationalratswahl vielleicht sogar entgegen? Immerhin ist nach der Nationalratswahl vor der Wien Wahl. Hier wird spätestens im Herbst kommenden Jahres zur Urne gebeten. "Im Wahlkampf ist es ja oft hilfreich, in der Bundesregierung nicht vertreten zu sein", sagt Filzmaier. "Ludwig wird sich das insgeheim vielleicht sogar wünschen."

Denn Ludwig braucht seinen Türkis-Blauen Gegner. Der Zwist mit ÖVP-Chef und Ex-Kanzler Sebastian Kurz und dem zurückgetretenen FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache schärfte sein Profil. Er ließ ihn aus dem Schatten von Michael Häupl treten. Erst als Kurz die Wiener als arbeitsscheue Langschläfer ("immer weniger Menschen stehen in der Früh auf, um zu arbeiten") bezichtigte, erwachte Ludwigs Angriffslust. Seither gilt er als schärfster Kritiker der ehemaligen Bundesregierung. Seither wirft er sich leidenschaftlich in den Streit, etwa um Mindestsicherung und Arbeitszeit. Und seither fährt er eine gewagte Doppelstrategie.

Er positioniert sich als Bollwerk gegen Neoliberalismus und Rechtsruck, liebäugelt aber gleichzeitig mit türkis-blauen Themen - oft zum Leidwesen der Genossen. Er setzte ein Essverbot in den U-Bahnen genauso durch, wie ein Alkoholverbot auf dem Praterstern oder ein Messerverbot am Donaukanal. Der sogenannte "Wien-Bonus" bevorzugt Menschen, die länger in Wien leben als andere.

Es ist genau diese Law-and-Order-Politik, die wiederum Rendi-Wagner das Leben schwer macht. Die als liberal geltende Parteivorsitzende würde gerne im grünen Wählerbecken fischen. Das Thema saubere Mobilität würde sich anbieten. Doch ist das nicht so einfach, mit einem Wiener Bürgermeister, der sich vehement für den Lobau-Tunnel einsetzt. "Rendi-Wagner wollte - strategisch richtig - das Thema leistbares Wohnen propagieren. Dafür kann man natürlich die Bundesregierung heftig kritisieren, aber das Problem ist, man wird Wien aus der Kritik nicht ganz ausnehmen können. Und Ludwig war noch dazu Wohnbaustadtrat," sagt Filzmaier. Ein Interessenskonflikt, den nicht nur die SPÖ kennt.

Ibiza liegt in Wien

Ibiza liegt in Wien.
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Die Sorgen der Bundes-SPÖ mit den Genossen in Wien hätte ein anderer gerne. Norbert Hofer steht vor einem echten Dilemma. So wie bei den Roten, stand auch das Schlachtross der FPÖ in Wien. Es hatte sich in den vergangenen Jahren zu einem wahren Hengst gefressen, der es mit den Sozialdemokraten locker aufnehmen konnte. Doch dann kam ein lauschiger Sommerabend. Dann kam Ibiza. Was blieb, ist verbrannte Erde. Und ein waghalsiger Seiltanz.

Hofer steht vor der Herausforderung, sich von Strache und seinen "besoffenen" Ibiza-Fantasien zu distanzieren, ohne die Wiener FPÖ zu vergraulen. Zieht die FPÖ keinen klaren Schlussstrich unter die Ära Strache, wird sich Kurz wohl kaum auf die herbeigesehnte Neuauflage von Türkis-Blau einlassen. Ganz ohne Strache geht es aber auch nicht. Wien ist noch immer seine Hausmacht. 44.750 Wählerinnen und Wähler gaben Strache bei der Europawahl ihre Vorzugsstimme und damit ein sicheres Mandat in Brüssel - trotz letztem Listenplatz, trotz Ibiza. Eine Machtdemonstration. Ein Problem für Hofer.

Der Parteichef ließ sich auf einen Deal ein. Strache verzichtet auf sein Mandat, die Partei gibt seiner Frau Philippa Strache den aussichtsreichen dritten Platz auf der Landesliste der FPÖ in Wien. Seither wirbt Strache für seine Frau. Auf Werbe-Sujets posiert er verschwommen hinter ihr. Die Botschaft ist klar: Strache hat weiterhin das Sagen. Seine Frau ist lediglich Marionette. Strache schwebt als Geist hinter der FPÖ. Die Straches sind Hofer ein Dorn im Auge. Nach langem Ringen entzog die Bundespartei Strache die Hoheit über seine Facebook-Seite. Mit rund 800.000 Fans ist sie das reichweitenstärkste Organ der FPÖ.

"Hofer muss aufpassen, dass er die mächtige Landesgruppe nicht verärgert", sagt Filzmaier. "In Wien hat Strache seine Anhängerschaft." Außerhalb - aber auch innerhalb der Partei. Wie sehr die Landespartei zu ihrem einstigen Chef hält, zeigt die Tatsache, dass Strache noch immer in deren Räumlichkeiten residiert. Bereitwillig gab man dem einstigen Vizekanzler ein Büro.

An seine Kandidatur bei der Wien-Wahl 2020 zweifelt ohnehin kaum noch jemand, spätestens seit Strache Mitte August in der "ZiB 2" lauthals verkündete, "so rasch wie möglich politisch zurückzukommen und vielleicht in Wien ein Comeback zu starten." Hofer muss sich also weiter im Seiltanzen üben. Strache bedeutet für ihn Freud und Leid. Er ist ihm Freund und Feind. Denn ohne Strache und Gudenus (der zweite Herr auf dem Urlaubsvideo aus Ibiza) steht die Wiener FPÖ ohne ernstzunehmenden Spitzenkandidaten da. "Strache ist eine Unguided Missile und gleichzeitig gibt es keine taugliche Personalalternative", sagt Filzmaier. Und den neuen Chef der Wiener FPÖ, Dominik Nepp, kennt kaum jemand.

Einen Vorgeschmack, was den Freiheitlichen in Wien ohne Strache blüht, gab es bei der Europawahl zwei Wochen nach Ibiza. Auch wenn der große Kollaps ausblieb, fuhr die FPÖ hier mit 14,1 Prozentpunkten eines der schwächsten Ergebnisse aller Bundesländer ein. Die Freiheitlichen landeten gar nur auf dem vierten Platz hinter den Grünen. Sogar die blaue Hochburg Simmering fiel. Viele blau-affine Wähler fanden an Ludwigs Law-and-Order-Kurs gefallen oder wechselten zur inhaltlich ohnehin ähnlichen ÖVP.

Ein Ruck geht durch die ÖVP

Die heimste bei der Europawahl einen beachtlichen Wien-Erfolg ein. Mit 21,7 Prozentpunkten lag sie weit vor ihrem Ergebnis von der Wien-Wahl 2015 (9,24 Prozent). Kurz und ÖVP-Wien Chef Gernot Blümels restriktive Ausländerpolitik kam auch in den Flächenbezirken gut an. In Simmering legte die Volkspartei sogar um 7,5 Prozentpunkte zu. Im Vergleich zur Europawahl 2015 verzeichnete die ÖVP in Wien ein Plus von rund fünf Prozent. Klingt nach viel, ist aber weit unter den massiven bundesweiten Zugewinnen. Wien ist und bleibt ein schwieriges Pflaster für die ÖVP. Und die Wiener ÖVP für Kurz.

Mit Blümel hat er zwar einen absoluten Vertrauensmann in Wien sitzen, doch in der Bundeshauptstadt tickt auch die Volkspartei anders. Hier haben nicht Bauern- oder Seniorenbund das sagen - hier regiert der Wiener Wirtschaftsbund. Er ist die mächtigste Teilorganisation der Wiener ÖVP. Er vertritt die Interessen 10.000 zahlender Unternehmer. Er hat die absolute Mehrheit in der Wirtschaftskammer. Er finanziert die Partei. Er zieht im Hintergrund die Strippen. Und er hat Walter Ruck als Obmann.

Ruck gehört zur alten Garde der ÖVP. Er ist kein Türkiser. Er ist ein Schwarzer, mit freundschaftlichen Verbindungen ins rot-grüne Rathaus. Und das lässt er Kurz, Blümel und Co. auch spüren. So sprach er sich für einen verpflichtenden Abbiegeassistenten für Lkw aus - gegen die Linie von Partei und Wirtschaftskammer Österreich. Auch die Abschiebung von Lehrlingen unter der türkis-blauen Regierung bezeichnete Ruck als "schweren Fehler". Und Blümel richtet er über die Medien schon mal aus, sich doch endlich zwischen Ministeramt und Parteivorsitz in Wien zu entscheiden. "Ruck hat sich die türkis-blaue Bundesregierung und seine eigene Mutterpartei zum Gegner erkoren", sagt Filzmaier.

Den ewigen Streit zwischen Blümel und Ludwig im Duell Bund gegen Stadt scheint Ruck nahezu zu konterkarieren. Denn zu Ludwig pflegt Ruck ein ausgezeichnetes Verhältnis. Die alte sozialpartnerschaftliche Männerfreundschaft. Sie lernten sich als Bauunternehmer und Wohnbaustadtrat kennen. Als Wirtschaftsbund-Präsident und Bürgermeister passt kein Blatt mehr zwischen die beiden. Ruck und Ludwig beim Fußball-Benefiz-Tournier. Ruck und Ludwig beim Kaffeetrinken im Schanigarten. Ruck und Ludwig in der Fahrradwerkstatt. Ruck und Ludwig in der Schmiede. Ruck und Ludwig lachend beim Heurigen. Das Netz ist voll von Fotos der beiden. Ein gemeinsames Foto von Ruck und Blümel scheint hingegen nicht zu existieren.

Es ist kein Geheimnis, dass Ruck gerne Christoph Leitl als Präsident der Wirtschaftskammer Österreich beerbt hätte. Doch diesen Posten schnappte ihm Harald Mahrer - ein enger Vertrauter von Kurz - weg. Spitzt er nun auf einen Sessel im Wiener Rathaus? Hat seine Nähe zu Ludwig System? Will die ÖVP in Wien nach der Wien-Wahl im kommenden Jahr mitregieren, schadet es nicht, sich mit der SPÖ gut zu stellen. Denn sollte sich Türkis-Blau nicht ausgehen und die Neos für eine Dreier-Koalition nicht zu haben sein, bleibt nur noch die Option Rot-Türkis. Die ÖVP könnte sich also durchaus als Koalitionspartner für die SPÖ anbieten. Mit Ruck als deren Chef sicher dringlicher als mit Blümel.

Für die Grünen geht es um alles.
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Dagegen stemmen sich selbstverständlich die Wiener Grünen und ihre neue Chefin Birgit Hebein. Sie wollen auch nach 2020 in Wien weiter mitregieren. Doch vor der Wien-Wahl müssen die Grünen noch einen Nationalratswahlkampf schlagen. Dabei geht es um nichts weniger als ihre Existenz als ernstzunehmende politische Kraft. Sie müssen zurück ins Parlament. Sie müssen den Roten die verlorenen Stimmen wieder abluchsen. Jetzt heißt es zusammenhalten. Die Kräfte bündeln. Das ist oft gar nicht so einfach. Ähnlich den Sozialdemokraten, sind die Grünen keine homogene Masse. "Je weiter im Westen, desto bürgerlicher die Grünen", sagt Filzmaier. In Tirol koalieren die Grünen mit der ÖVP. In Wien wäre das undenkbar.

Ideologie statt Pragmatismus

Das dürfte ihrem Chef Werner Kogler Kopfzerbrechen bereiten. Die wichtigste grüne Landespartei hat sich unter Hebein sichtlich gewandelt. Hebein gehört zum Links-außen-Flügel der ohnehin weit Links stehenden Wiener Grünen. Sie will die Landespartei ideologisch neu ausrichten. Regieren um jeden Preis will sie nicht. Der Pragmatismus, mit dem ihre Vorgängerin Maria Vassilakou das umstrittene Bauprojekt am Wiener Heumarkt gegen den Willen der Parteibasis durchpeitschte, ist Hebein fremd.

Sie gilt nicht als Realo, wie Vassilakou, die ihren Büroleiter Peter Kraus als Nachfolger favorisierte. Genau wie Kogler. Der lobte Kraus mehrfach als Zukunftshoffnung der Grünen. Nun muss er mit der linken Hebein sein Auskommen finden. Und die für eine Koalition mit Kurz zu gewinnen ist nahezu ausgeschlossen. Hebein wäre dafür aber notwendig, denn sie müsste die Wiener Grünen überzeugen, intern für Türkis-Grün zu stimmen. Dürfte schwierig werden.

Schließlich stößt ihr schon der Kurs ihres roten Wiener Koalitionspartners mitunter bitter auf. Ludwigs Alkoholverbot am Praterstern kritisierte sie. Eine Ausweitung des "Wien Bonus" ist für Hebein ein rotes Tuch. Dann lieber Opposition. Hebein will den Platz links der - in die Mitte driftenden - SPÖ füllen. Für Wien könnte die Taktik genau der richtige sein. Für Kogler nicht. Schließlich feiern die Grünen in Innsbruck und Deutschland ungeahnte Erfolge - mit Realo-Kurs. Nicht mit Ideologie.

Und dann ist da noch Christoph Chorherr. Der ehemalige Planungssprecher der Wiener Grünen war über Jahrzehnte eine der treibenden Kräfte innerhalb der Partei. Er gilt als Architekt der rot-grünen Koalition. Er war populär, wurde über Parteigrenzen geschätzt. Nun steht er im Zentrum von Ermittlungen. Der Vorwurf lautet ausgerechnet Korruption. Die Staatsanwaltschaft prüft einen Zusammenhang zwischen Flächenwidmungen und Geldspenden an einen von ihm gegründeten Verein. Chorherr dementiert, trat aber aus der Partei aus. Kogler spricht von einem "schweren politischen Fehler". Sein an sich guter, schachpolitscher Wahlkampf leider unter der Causa. Der Torpedo aus Wien ist eingeschlagen - wieder einmal.