Chronisten beschwören verschiedene Facetten der Stadt.
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Wien. Bücher über Wien erinnern an Kochbücher. Vieles kennt man, hat man schon so oder nur wenig anders bereits gelesen, kurz: Man wundert sich, warum das Thema noch immer regelmäßig Bücher hergibt. Der "Schönbrunn"-Bildband findet sich ebenso darunter wie "Wien für Neugierige", jüngst geht es auch um das "Geheimnisvolle Wien". Kann man davon leben? Warum verfasst man solche Bücher? Eine Rundfrage mit Abschweifungen.
Man muss wohl wie Martin Homolka "in der Stadt" aufgewachsen sein oder zumindest innerhalb des Gürtels wohnen. In Essling oder in Stammersdorf ist die Stadt doch (noch immer) ein wenig fern. Zumindest für Homolka, Reisejournalist und Fotograf, ist dieser Teil von Wien weiter entfernt als Italien oder Griechenland, seine bevorzugten Reiseländer. In Wien wohnt er auf der Mariahilfer Straße, aufgewachsen ist er im Schatten der Votivkirche im Alsergrund. Kein Wunder, dass jemand wie der 52-Jährige voll mit Geschichten ist. Sein handliches "Wien für Neugierige" (Metro Verlag) quillt nahezu über von dem, was man "beiläufiges Stadtwissen" nennen könnte. Leben kann er davon nicht.
Wiens Typisierung
Die Lust an der Selbstbeschreibung reicht, wie es eine aktuelle Ausstellung im Wien Museum zeigt ("Wiener Typen", bis 6. 10.), in Wien bereits lange zurück. Zuerst noch bildlich. Damals, in den späten 1770er Jahren, tauchten die ersten Drucke von "Wiener Typen" für den eigenen Salon auf. Ab der zweiten Hälfte des "langen" 19. Jahrhunderts, als Wien sich massiv modernisierte, stieg die Nachfrage nach dem "Alten" rapide an. Nicht nur bei Malern und Kupferstechern. Auch Journalisten und Schriftsteller reagierten auf die Veränderungen der neuen Zeit mit durchkalkulierten nostalgischen Angeboten. Eduard Pötzl oder Ludwig Hirschfeld, beide erfolgreiche Wiener Chronisten mit feuilletonistischer Ader, stehen beispielhaft dafür: Regelmäßig publizierten sie über die "Wiener Stadt", erfanden etwa den jede Mode nachlaufenden "Gigerl" und erinnerten an die "kleinen Leute", vom "Wäschermädchen" über den "Dienstmann" bis zum Evergreen des Wienerischen, dem "Fiaker". Innerhalb der beginnenden Städtekonkurrenz zwischen Berlin und Wien, aber auch Metropolen wie London, setzte Wien ebenso massiv auf die Typisierung seiner Einwohner, wie es die Topografie des Bewahrenswerten erfand.
Ein Trend, der ungebrochen anhält. Erst kürzlich ist am Buchmarkt "Wien Vintage" (Metro Verlag) erschienen, voll mit privaten Erinnerungsbildern aus den 1970er und 1980er Jahren. Auch hier werden lustvoll und spielerisch Verlustrechnungen aufgestellt. Bedient werden aber auch Moden. Etwa der Trend zum Geheimnisvollen und Verschlüsseltem. Gabriele Lukacs, Fremdenführerin in Wien seit den frühen 1970er Jahren, hat vor mehr als zehn Jahren damit begonnen, den Geheimnissen Wiens nachzuspüren. Befeuert von den Erfolgen des Schriftstellers Dan Brown, der mit dem "Da Vinci Code" einen millionenschweren Besteller schrieb, publizierte die 63-Jährige vor vier Jahren, die Wiener Antwort auf die Pariser Lösung: Der "Da Vinci-Code in Wien" (Pichler Verlag). Auch bei Lukacs, die im 3. Bezirk aufwuchs, ist es nicht das Honorar, was sie bisher zu insgesamt sechs Wien-Büchern motivierte. Es ist eher die Umwegrentabilität für ihre Reiseführertätigkeit. Das Okkulte als buchbare Marktnische: Nach dem Da Vinci-Code folgten unter anderem die Templer-Spuren in Wien, kommendes Jahr sind es Kraftorte in Wiener Parkanlagen. Ein "normales" Wien-Buch zu verfassen käme ihr nicht in den Sinn. Davon gebe es bereits genug.
New York als Auslöser
Das Mutterschiff der Wien-Analen liegt im Metro Verlag in der Herrengasse. Seit acht Jahren publizieren hier Sybille und Kurt Hamtil fast ausschließlich Wien-Bücher. Vom jüdischen Wien bis zur Geschichte des Donaukanals, von Wiener Frauengeschichte bis zu Adolf Loos und Geschichten übers Riesenrad. "Als kleiner Verlag liegt es nahe, die Stadt und ihr Umland zu thematisieren", erläutert Kurt Hamtil seine Geschäftsphilosophie. Auslöser für den verlegerischen Wien-Schwerpunkt war eine New-York-Reise vor zehn Jahren, wo die beiden eine Unzahl an Stadtführern für die eigenen Bewohner kennenlernten. Dass dies auch für Wien funktionieren kann, beweist Hamtil seit vielen Jahren. Schleicht sich da nicht irgendwann ein "Kochbuch"-Gefühl ein? Die Hamtils zucken mit den Schultern und meinen: "Nein, denn schlussendlich kennt man Wien eh nicht."