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Mit den Verschärfungen der Covid-Regeln in Wien setzt Ludwig einen Kontrapunkt. Eine Analyse.
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Überraschend wirkte die Ankündigung von Wiens Bürgermeister Michael Ludwig, dass die Covid-19-Regeln in Wien verschärft werden, wo gleichzeitig bundesweit Lockerungen stattfinden. "Am Tag vor gut geplanten bundesweiten Öffnungsschritten einseitig die Regeln zu ändern, ist völlig absurd", ärgerte sich Tourismusministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) am Donnerstag. Und die Wirtschaftskammer (WKO) äußerte die Befürchtung, dass die Wienerinnen und Wiener wegen der Testpflicht von Kindern ab sechs Jahren nun für Restaurant- oder Bäderbesuche nach Niederösterreich oder das Burgenland ausweichen werden. Die Wiener ÖVP-Gesundheitssprecherin Ingrid Korosec empört wiederum, dass die sogenannten Wohnzimmertests in Wien nicht mehr als Eintrittsberechtigung gelten. Dass es in Wien neben den Teststraßen die Möglichkeit gibt, sich mit "Alles gurgelt" regelmäßig PCR-Test-Ergebnisse auf das Handy schicken zu lassen und nun acht statt vier Sets pro Person und Woche ausgegeben werden, lassen die Kritiker allerdings unerwähnt.
Vorbauen auf dritte Welle
Für die ÖVP gehen die Verschärfungen in Wien jedenfalls an der "epidemiologischen Realität" vorbei. Und tatsächlich vermitteln die umfangreichen Lockerungen für viele Menschen auch den Eindruck, dass die Pandemie jetzt endlich vorbei ist. Laut Bundeskanzler Sebastian Kurz ist sie das auch - zumindest für alle Geimpften. Eine Aussage, die vor dem Hintergrund der sich immer weiter ausbreitenden Delta-Variante von vielen Menschen als fahrlässig empfunden wird.
Angesichts der Tatsache, dass sich Ludwig spätestens nach dem sogenannten Ost-Lockdown als bremsendes Element in Sachen Lockerungen präsentiert hat, wirken die Verschärfungen in Wien eigentlich gar nicht mehr so überraschend. Ludwigs Argument: Vergangenen Sommer habe man argumentieren können, dass die Situation damals neu war. Dies sei nun nicht mehr der Fall. Er wolle nicht im Herbst gefragt werden, ob die Politik den Sommer verschlafen habe, erklärte er am Donnerstag. Es ist die Angst vor dem nächsten Lockdown im September, das Vorbauen für eine dritte Welle, die Ludwig diese Gegenposition einnehmen lässt - trotz aktuell sinkender Infektionszahlen. Und das ist nach der normalen politisch-populistischen Logik durchaus ein gewagter Kontrapunkt.
Aber auch wenn es sich bei den Verschärfungen um unpopuläre Maßnahmen handelt, kann sich Ludwig damit doch sehr deutlich als Beschützer der Bevölkerung positionieren. Abgesehen davon macht dieses Vorgehen auch durchaus Sinn, wenn man bedenkt, dass die Impfrate im Vergleich zu den anderen Bundesländern in Wien nach wie vor sehr niedrig ist. Offensichtlich so niedrig, dass die Stadt am Donnerstag sogar eine Sonderaktion mit AstraZeneca unter dem Titel "Stich ohne Termin" ausgerufen hat. Laut Rathaus-Insidern müssen Impfdosen zum Teil wieder zurückgeschickt werden, weil Zweitimpfungen oft nicht mehr abgeholt werden. Und in dieser Situation der Bevölkerung zu vermitteln, dass die Pandemie vorbei ist, wird die Impfbereitschaft nicht unbedingt erhöhen.
Die Rolle der Neos
Politisch interessant ist auch die Rolle der Neos als Regierungspartner, die in Wien die Verschärfungen mittragen (müssen), wo doch die Bundes-Neos in den vergangenen Wochen immer sehr vehement für Lockerungen eingetreten sind. Bereits beim Osterlockdown dürfte es bei den Neos heftige Auseinandersetzungen zwischen Christoph Wiederkehr und Beate Meinl-Reisinger gegeben haben, als es um die Schulschließungen ging. "Man hat das aber anders als in anderen Parteien, wo Konflikte am Balkon zelebriert wurden, bei den Neos bisher erfolgreich im Wohnzimmer halten können", meint etwa der Politikberater Thomas Hofer dazu.
Trotzdem ist die Außenwirkung der Wiener Neos die, dass sie in der Wiener Stadtregierung offensichtlich nicht viel zu sagen haben und sich damit begnügen müssen, wenigstens bei den öffentlichen Ankündigungen mit am Podium stehen zu dürfen. Richtig heikel würde es aber laut Hofer für die Neos erst dann werden, wenn Wien im Herbst aufgrund steigender Infektionszahlen in den Schulen als erstes Bundesland ins Distance-Learning geht - vor allem weil die Neos in Wien mit Christoph Wiederkehr den Bildungsstadtrat stellen.