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Flüchtlinge kündigen weitere Besetzungen an, wenn Verfahren nicht zügig vorangetrieben werden.
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Wien. Ruhig Blut heißt es diesen Vormittag in der Servitengasse 9 im Alsergrund. Es ist eine Übung in Konfliktmanagement für die Mitarbeiter der Pfarrkirche. Wer seien denn diese neuen Bewohner, die sich seit Sonntag in den Gemäuern des jahrhundertealten Servitenklosters, das inmitten von Beisln und Wohnhäusern liegt, einquartiert haben? Wie lange haben sie vor zu bleiben, diese jungen abgemagerten Männer? Geduldig beantworten die Pfarrmitglieder die Fragen besorgter Anrainer. Selbst wenn sie Anrufer mit einem "Schmeißt die Scheißmoslems endlich raus!" anbrüllen, bleiben die Männer und Frauen der Barockkirche gelassen.
Seit Sonntagvormittag beherbergt das Servitenkloster im 9. Bezirk insgesamt 63 neue Bewohner. Es sind jene Flüchtlinge, die seit November vergangenen Jahres 76 Tage in der Votivkirche ausgeharrt haben, um auf die Asylmissstände in Österreich hinzuweisen. Dort galten sie als Besetzer, hier werden sie als Gäste empfangen, betont Klaus Schwertner, Geschäftsführer der Caritas Wien, am Montagvormittag im Kellergewölbe des Klosters. Hier haben sich die Männer auf Feldbetten bereits eingerichtet.
Ein "Ort des Dialogs" für Diskussionsrunden
Es wird viel geschnieft und gehustet. Die Strapazen der vergangenen elf Wochen in der kalten Kirche sind den Männern aus Pakistan und Afghanistan anzusehen. Der Hungerstreik auch. "Das ist nicht das Ende des Protests", sagt Adalat Khan, ein Sprecher der Flüchtlinge, "lediglich eine neue Phase." Ein Ort des Dialogs solle hier entstehen, mit Räumen, in denen Diskussionsrunden, rechtliche Beratungen, Deutschkurse und Kulturveranstaltungen stattfinden sollen. Bald soll eine Arbeitsgruppe zusammenkommen, bestehend aus Flüchtlingen, Erzdiözese, Caritas, Pfarrgemeinde und Unterstützern, um eine Hausordnung zu erarbeiten.
Im zweiten Stock des Gebäudes, das zum Großteil leer steht, sind die Privatzimmer der Flüchtlinge untergebracht. Zwei bis drei Männer werden hier auf Pritschen und Matratzen in einem Zimmer schlafen. Noch müssen die Wasserleitungen verlegt und die Küche und die sanitären Anlagen renoviert werden. Bei den Sanierungsarbeiten werden die Asylwerber selbst Hand anlegen.
Bis zum Sommer dient das Kloster als Übergangslösung
Das Servitenkloster ist mehr als nur ein neues Gebäude für die Flüchtlinge, es ist ein Stück weit Selbstbestimmung in einem System, in dem sie auf die Gnade von Ämtern, Richtern und Bürokraten angewiesen sind. Und es kann als Modell für eine moderne Asylpolitik dienen, die sich fernab von Massenquartieren abspielt.
Bis Sommer dürfen die Flüchtlinge im Kloster bleiben. Mit dem Innenministerium hat man sich vorläufig arrangiert. Vor dem Umzug in ihr neues Quartier haben die Flüchtlinge ein Formular unterschrieben, dass sie im Servitenkloster gemeldet sind und dass sie in Zukunft an ihrem Asylverfahren mitwirken werden. Damit erfüllen sie Melde- und Mitwirkungspflicht und es liege kein Anlass für die Verhängung von Schubhaft vor, so Schwertner.
Er zeigt sich optimistisch hinsichtlich der Freilassung jenes Flüchtlings, Shajahan Kahn, einem Sprecher der Männer, der vergangene Woche von Polizisten vor der Votivkirche festgenommen wurde und sich nun in Schubhaft befindet. Khan ist derzeit im Hungerstreik.
Demnächst soll bei allen 63 Männern eine Einzelfallüberprüfung stattfinden, auch bei jenen Männern, die bereits mehrfach einen negativen Asylbescheid erhalten haben. Man werde sich laut Caritas weiter für Verbesserungen im Asylwesen starkmachen, wie zum Beispiel raschere und faire Verfahren, Zugang zum Arbeitsmarkt und bessere Wohnbedingungen.
Bei den Flüchtlingen ist die Freude verhalten über den derzeitigen Kompromiss. Mohammed ist skeptisch. Der 20-jährige Afghane würde lieber im kalten Kellergewölbe mit den Matratzen und Feldbetten bleiben, als in einem Privatzimmer im zweiten Stock wohnen: "Wir wollen ja hier nicht einziehen, sondern, dass unsere Verfahren schnell über die Bühne gehen", sagt er.
Die Zimmer würden ein falsches Signal setzen, nämlich jenes, dass man dauerhaft in dem Quartier bleiben möchte. Und dass sich dieser Schwebezustand, in dem er sich seit einem Jahr befindet, verlängere. Außerdem würde mit den Zimmern der Eindruck erweckt werden, dass sie im Luxus leben würden. "Die Leute sehen, dass es uns gut geht, dass wir eigene Zimmer haben, was wollen wir denn mehr?", sagt Mohammad.
Zwei bis drei Monate wollen sie hier bleiben, meint Mir Jahangir, ein Sprecher der Flüchtlinge. Länger nicht. So lange hat das Innenministerium Zeit, den Flüchtlingen entgegenzukommen. "Wir haben einen großen Schritt gemacht, hierher umzuziehen, jetzt liegt es an den Behörden, sich zu bewegen", sagt Jahangir.
Gemütlich will er es sich nicht in den Gemäuern im Alsergrund machen. Wenn es in drei Monaten keine Lösung gibt, stehen die Männer wieder auf der Straße und werden protestieren, kündigt Jahangir an. Sie werden wieder demonstrieren und wieder ihre Zelte aufstellen. Und wenn es sein muss, wieder einen Ort besetzen.