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Wiens schönster Aussichtspunkt

Von Gerhard Strejcek

Reflexionen

Vor 100 Jahren wurde das höchstgelegene Bad der Stadt eröffnet. Heute zeigt sich das einst noble Krapfenwaldlbad demokratisiert.


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Als das neue Döblinger Krapfenwaldlbad mit seinem immerhin 33 Meter langen und 12 Meter breiten Schwimmbecken am 17. Juni 1923 seinen Betrieb aufnahm, war es kühl und regnerisch. Kein Promi-Komitee stand auf dem begnadeten Hügel über der Cobenzlgasse mit Blick bis in die Voralpen bereit, keine Ansprache fand den Weg in die Zeitungen. Bürgermeister Jakob Reumann und Präsident Karl Seitz, der auch Reumanns Nachfolger werden sollte, waren verhindert, sie verbrachten den wolkenverhangenen Sonntag im Nachbarbezirk Währing, wo ein Volksjugendheim im ehemaligen Czartoryskischlösschen eröffnet wurde. Das nach Konstantin Adam Czartoryski benannte Palais sollte fortan sozialen Zwecken dienen.

Nach einer wechselvollen Geschichte als Luftwaffenkaserne im Zweiten Weltkrieg und als Autowerkstatt unter kommunistischer Ägide, sodann an die Sozialdemokraten restituiert, verschwand das beschädigte Gebäude und machte in den Fünfzigern einem Schulzentrum für Sonderpädagogik Platz, womit die einstige Bestimmung wieder erreicht war. Als Treppenwitz der Wiener Straßenbenennung führt indessen die weit entfernt an der Hernalser Bezirksgrenze liegende Czartoryskigasse in das weitläufige Schafbergbad, das in der heutigen Form allerdings viel später entstanden ist als das Döblinger "Krawa".

Zweifelhafte Erinnerung

Das Gelände zwischen Cobenzl und Kahlenberg, das nach dem einstigen Jagd- und Lustschlösschen des Baron Krapf im Volksmund "Krapfenwaldl" genannt wurde, hat eine lange Tradition. Nach dem feudalen Zeitalter, in dem Belustigungen aller Art dem Adel vorbehalten blieben, bemühten sich findige Geister frühzeitig, rund um das Krawa, das durch eine markante Häufung von Schwarzkiefern, Eichen und weitere Laubbäume auch botanisch von Interesse ist, Freizeitbetriebe (Wirtshaus, Ringelspiel) zu installieren.

Die Station der Zahnradbahn, deren Trasse in Richtung Kahlenberg via Schönstatt bergan verläuft, lag direkt gegenüber dem Eingang. Die Zahnradbahn war leider keine Erfolgsgeschichte, zuletzt diente sie nur mehr als Wasserzubringer für das Josefsdorf am Kahlenberg, ehe sie noch vor Eröffnung des Städtischen Bades eingestellt wurde. Seither führt kein Massenverkehrsmittel mehr direkt zum Bad, denn die alte Buslinie 21, die auch noch das Bellevue anfuhr, und der nunmehr ab Heiligenstadt verkehrende, an schönen Tagen meist überfüllte Bus 38A nähern sich dem Gelände zwar zweimal, erreichen es aber nie.

Um dieser existenzialistischen Situation auszuweichen, empfiehlt es sich, schon im Tal bei der Wagenwiese auszusteigen und bergan zu schreiten, oder bei der Station "Krapfenwaldl" mit einem lärmenden Pulk von Badegästen den Bus zu verlassen und das rund einen Kilometer entfernt liegende Bad dann sanft bergab via Krapfenwaldgasse anzusteuern. Denn einen Parkplatz wird man an einem heißen Tag nach 10 Uhr nicht mehr ergattern.

"Liegendes Mädchen", Skulptur im Krapfenwaldlbad
© Clemens Mosch, CC BY-SA 3.0 AT via Wikimedia Commons

Der Weg zum Bad ist gepflastert mit zweifelhaften Erinnerungsorten. Direkt bei der Station liegt das ehemalige Dollfußdenkmal, das anlässlich der Eröffnung eines Teilabschnitts der ab 1935 gebauten Höhenstraße errichtet, bald aber von den Nazis demontiert wurde, die sodann im Jahr 1939 den gesamten Straßenzug bis zum Leopoldsberg mit einem Auto- und Motorradrennen einweihen ließen. Noch heute findet hier das eine oder andere Privatrennen mit bayerischen Automobil-Hochzüchtungen statt, das nicht selten in einem der Begrenzungssteine oder in einer Böschung endet.

Somit ist die von italienischen Gastarbeitern errichtete Höhenstraße auch ein Symbol des Scheiterns und des Größenwahns. Heute steht nur mehr der Sockel des Dollfuß-Erinnerungsmals, und eine hartnäckige "Millimetternich"-Fangruppe stellt am 4. Oktober, dem Geburtstag des kleinwüchsigen, ständisch-autoritär gesinnten Texingers, einen oder zwei Blumentöpfe auf den steinernen Sockel. Zu diesem Zeitpunkt schläft das Krawa schon seinen Winterschlaf. Und wenn es wieder heiß ist, schreitet sodann die überwiegende Mehrheit der Badbesucher achtlos am Betonsockel vorbei und bahnt sich den Weg durch die Rauchschwaden und Autokolonnen der Grillplatzbesucher. Dabei soll es schon zur einen oder anderen temporären Mentalitäts-Disparität gekommen sein, aber das "rote" Wien setzte seit jeher auf Assimilation und Durchmischung. So ähnlich ist das auch im Bad selbst, das - dem Internet sei Undank - erst in den letzten Jahren verstärkt von Touristen heimgesucht wird.

Wer den Hochbehälter und die schwarz umwölkte Grillwiese passiert, sich an einem der zwei Hy-dranten gelabt und glücklich eine Eintrittskarte in das Bad online oder an einem der beiden Schalter vor Ort erworben hat, findet dort zwei mittelgroße Schwimmbecken sowie einen (noch) kleineren "Wellness-Pool" und ein Kinderbecken vor.

Naturschöner Reiz

Die Abkühlung heischenden Besucherscharen drängen sich an Hitzetagen dementsprechend. Oft muss an solchen Tagen die weiße Fahne gehisst werden, wogegen einem bei trübem Wetter Zeit bleibt, die Kunstwerke wie ein Jazz-Sgraffito, Mosaiken und den pittoresken Brunnen zu bewundern. Die meisten Umbauten und Erweiterungen auf rund 44.000 Quadratmeter erfolgten 1952 und ab den 1990er Jahren. Obwohl die alten Holzpritschen weniger werden, bringen Strohschirme und Altbaumbestand dennoch jenen Schatten, nach dem Städter bei Hitze lechzen.

Als Rückzugsort dient das Lustwäldchen, als Treffpunkt das wunderbar gelegene Buffet, als Energiepaket das prickelnd frische Wasser und die sauerstoffdurchtränkte Luft, die allerdings bei Nordwestwind einen penetranten Grillfischodeur annimmt. An heißen Tagen reduziert sich dann der individuell verbleibende Lebensraum auf das Maß einer Schuhschachtel oder eines halben Stehplatzes in der Tokioter U-Bahn. Stammgäste fliehen daher an Hitzetagen oft schon am späten Vormittag Richtung Wohnung, Büro oder Garten.

Ein großes Ausflugsrestaurant bestand schon lange vor der Eröffnung des Frei- und Sonnenbads samt einer Lagerwiese, auf der auch Arthur Schnitzler gerne pausierte. Die Gemeinde Wien hat zum Glück den schönen Wappensaal des Ausflugsrestaurants erhalten. Dort, wo sich die rötlich gefirnissten Kabinen im ersten Stock des Verwaltungsgebäudes aneinanderreihen, saßen einst lärmende Gäste unter dem sehenswerten, abgehängten Plafond und der Wappengalerie, die man leicht übersieht.

Im Freien, auf dem heutigen Hauptparkplatz, befand sich ein riesiger Schanigarten. Die Mischung aus dem historischen Bau im Heimatstil und der Naturschönheit des Geländes machen den Reiz von Wiens höchstgelegenem Freibad bis heute aus. Sportausübung ist möglich, wenn auch für die meisten nicht prioritär. Der verwaiste Fußballplatz hätte eigentlich schon lange einem "wirklichen" Sportbecken weichen können, wie Schwimmenthusiasten es sich seit Jahren wünschen, aber wer auf 50 Metern seine Bahnen ziehen will, muss den Schafberg oder das Stadionbad ansteuern.

Das Hauptgebäude des Bades, vom Parkplatz aus betrachtet.
© C. Stadler/Bwag, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

Um das Bad instandzuhalten und die gestrengen Gäste zufriedenzustellen, wird ein großer, oft unbedankter Aufwand von den Mitarbeitern, darunter Badefrauen, Kassendamen, Wiesenwarten, Technikern und Bassinaufsehern, betrieben. Auch drei Bademeisterinnen haben es bereits zu Ansehen und Bewunderung gebracht, meist dominieren aber Männer den Beckenrand. Wer um 9 Uhr, an Wochenenden um 8 Uhr den steilen Weg zum Schwimmbecken bergan geht, findet stets ein "piccobello" aufbereitetes Gelände vor, was dem Betriebsleiter Karl Frischauf und seinem Team zu verdanken ist.

Der "Chef" bleibt, anders als sein legendärer Vor-Vorgänger Günther Sommer (nomen est omen!) im Hintergrund und wird nur von Insidern erkannt. Dezent tönen "volkstümliche Weisen" von Judas Priest oder Black Sabbath aus den Terrassenräumen, die von roten Pelargonien gesäumt sind. Aber das bekommt nur ein sensibel lauschender Gast mit, die anderen bewegen sich eiligen Schrittes zu den zwei Schwimmbecken oder den verborgenen Schönheiten des Bades.

Das Sonnen- und Luftbad verfügte 1923 nur über ein großes Schwimmbecken und ein Kinderplanschbecken, am 29. Mai 1952 wurde es nach der Erweiterung neu eröffnet. Erstaunlicherweise war das Bad im Krieg unbehelligt geblieben, manche Gäste harrten verbotenerweise bei Fliegeralarm aus und beobachteten das Flakfeuer am Leopoldsberg und am Cobenzl sowie den Bombenhagel.

Eigene Krawa-Sprache

Die Sozialstruktur des exponierten Fleckens Erde, auf den die Sonne gnadenlos herabbrennt, zeigt Überraschendes: Vom einstigen "Nobelbad" ist kaum mehr eine Spur geblieben. Demokratisierung, Zuwanderung und Nivellierung der Gesellschaft haben dazu beigetragen, für Ruhe suchende Gäste wurde der Ort zu belebt. In den 1950er Jahren war das anders, es bestand Konkurrenz zum Grinzinger und zum Sieveringer Bad um die jeunesse dorée. Das war allbekannt, und wer sich den weiten Weg auf den Hügel antat, wollte auch etwas erleben.

Statt Kommunikation dominieren heute Smartphones, Tattoos, Implantate und ein nerviger Selfiekult. Hatte einst Hans Hass mit seinen Unterwassertests der selbst entwickelten Kamerahüllen für Aufsehen gesorgt, so sind heute der jung gebliebene Serien-Schauspieler und die dezente Kinderbuchillustratorin zu seltenen Stammgast-Erscheinungen geworden.

Ein Wappen ziert den Eingangsbereich des Krapfenwaldlbades.
© Maclemo, CC BY-SA 3.0 AT <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/at/deed.en>, via Wikimedia Commons

Der vielleicht legendärste tägliche Besucher war der 2004 verstorbene Lebenskünstler Erwin Tuschel, der aus einer berühmten Schausteller- und Komikerfamlie stammte. Er hat in den 1980er Jahren eine eigene Krawa-Sprache entwickelt. Hier war der "Sympathiker", ein gesprächiger Kulturinteressierter, dort aber befand sich das "Taschlvampir", das dem Kavalier heimtückisch an das Portemonnaie will.

Für Tuschel firmierte das Sonnenbad als der "Elefantenfriedhof" und der Platz um das Buffet, wo sich ein Ausblick auf die Großstadt und die schwitzenden Körper der Gäste bietet, schlicht als der "Feldherrnhügel". Dort saß er oft in seiner ganzen Bademantelherrlichkeit und plante den nächsten Abend, wo er als Adabei mit grellblauem Sakko aufzutreten pflegte.

Gerhard Strejcek, geboren 1963, ist Ao. Professor am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien und Autor.