Zum Hauptinhalt springen

Wiens ultimativer Battleground

Von Teresa Reiter

Politik
Eva-Maria Hatzl (oben) von der SPÖ und Paul Stadler von der FPÖ kämpfen am Sonntag um einen geschichtsträchtigen Bezirk.
© Christoph Liebentritt

In keinem Bezirk ist das Match zwischen SPÖ und FPÖ so eng wie in Simmering. Paul Stadler (FPÖ) kämpft um den ersten Platz und SPÖ-Bezirkschefin Eva-Maria Hatzl will das Erbe ihres verstorbenen Mannes, Johann Hatzl, fortführen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 8 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wien. Er hat schon viel gesehen, der Karl-Höger-Hof in Simmering. Gebaut wurde er im Roten Wien der Zwischenkriegszeit, um Wohnraum für die Arbeiter zu schaffen. Am 13. Februar 1934 flogen hier Gewehrkugeln zwischen Schutzbündlern und Regierungstruppen, die zwei Menschen tödlich verwundeten, zehn Jahre später regnete es fünfzehn Bomben auf den Bau hinab - wieder viele Tote. Heute erinnert an die Kämpfe, die hier zwischen Nazis und Sozis stattfanden, nicht mehr viel. Da eine kleine Steintafel zum Gedenken an die vertriebenen "Nichtarier", dort ein Stein für die Bombenopfer. Simmering ist Jahrzehnte später wieder Objekt des Begehrens zweier konkurrierender politischer Gruppen geworden. Wenn am Sonntag die Stimmzettel ausgezählt werden, könnte einer der rotesten Bezirke Österreichs an die Freiheitlichen fallen. Ein Stich ins Herz eines jeden flammenden Sozialdemokraten.

Bei Paul Stadler geben sich deshalb dieser Tage Journalisten die Klinke in die Hand. So mancher geht skeptisch in das Gespräch mit dem FPÖ-Spitzenkandidaten im Bezirk. Doch fast alle kommen sie lachend wieder heraus, denn Stadler versteht es, mit ihnen Schmäh zu führen. Dieser dicke lustige Mann soll der Untergang Simmerings sein? Stadler blinzelt vergnügt. Er habe keine Ahnung, warum er auf einmal so gefragt sei, da wüssten wohl einige mehr als er, sagt er.

Simmering ist als Modell für das gefürchtete "Duell um Wien" geradezu perfekt. Die Frage "Bist du ein Roter oder ein Blauer?" hört man hier häufig. Andere Parteien haben in dieser Schlacht auf wienerisch gesagt "kein Leiberl" mehr. Die beiden Kontrahenten könnten unterschiedlicher nicht sein. Während Stadler sich gekonnt als Mann des Volkes gibt und wie aufgezogen redet, scheint die bisherige Bezirksvorsteherin Eva-Maria Hatzl vom auf ihr lastenden Druck geradezu zermalmt zu werden. Gebückt kommt sie aus dem Amtshaus am Enkplatz, lächelt freundlich, doch ihre Stimme ist kaum lauter als der Wind an diesem Tag. Beinahe hat man das Gefühl, sie wäre froh, wenn es endlich vorbei wäre.

Die Witwe des SPÖ-Kapazunders Johann Hatzl, nach dem in Simmering sogar ein Platz benannt ist, hat viele Jahre hart für ihren Bezirk gearbeitet, schon bevor sie vergangenes Jahr Vorsteherin wurde. Seit den 90ern engagiert sie sich bei Volkshilfe, auch als Vorstandsmitglied. Soziale Gerechtigkeit, Nächstenliebe und eine Grundhaltung von Freundlichkeit und Anstand gegenüber allen sprechen aus ihr. Doch ist sie unzweifelhaft müde, vielleicht zu müde, um ihren Bezirk gegen den blauen Widersacher zu verteidigen. Natürlich will sie davon heute noch nichts hören. "Ich stelle mich der Herausforderung gerne und bin davon überzeugt, dass der Bezirk in roter Hand bleibt und wir weiterhin den Bezirksvorsteher stellen. Die Stimmung ist nicht so schlecht, wie viel gesagt wird", sagt sie, doch es klingt eher nach einem Wunsch als nach wahrer Gewissheit.

Eigentlich sollte sie es leichter haben, denn Simmering florierte während der letzten Jahre. Wäre die Seestadt Aspern nicht gewesen, wäre es der Zuzug-reichste Bezirk. Die Gemeindebauten sind gut verwaltet und sauber, und auch wenn Simmering noch eine Weile auf die Verlängerung der U3 nach Kaiserebersdorf warten muss, so ist die Verkehrsanbindung gut. Überall gibt es kleine Spielplätze, auf denen sich Jungfamilien tummeln - Simmering hat Dorfatmosphäre und ist nicht mehr das Stiefkind, als das es manchmal abgestempelt wird. Wieso also wenden sich die Simmeringer von den Sozialdemokraten ab? Sind es wirklich nur die Ausländer, die den Wind Richtung FPÖ gedreht haben?

Nur noch Kebab, keine Würstel

Am Enkplatz, sitzen ein paar alte Männer zusammen und schimpfen über das Wetter. Rapid habe gegen Ried verloren, die neue Frau des Sohnes sei eine Furie und nebenan wohnen jetzt Türken, fasst der pensionierte Maler und Anstreicher Leopold seinen Freunden die Ereignisse der letzten Woche zusammen. Er wettert, dass er sein Simmering nicht mehr erkenne. Überall gäbe es nur noch Kebab und nirgends mehr Würstel und jetzt seien auch noch die Flüchtlinge da. Seine Freunde nicken zustimmend.

Wer glaubt, auch Paul Stadler würde in dieses Horn stoßen, irrt jedoch. Er will klargestellt wissen: "Das mit den Ausländern liegt nicht in meiner Hand und ich will die Leute auch nicht anlügen oder ihnen falsche Hoffnungen machen, dass ich daran etwas ändern könnte. Unter mir wäre die Situation diesbezüglich nicht anders als unter den Sozialdemokraten", erklärt er seine beschränkten Handlungsmöglichkeiten als Bezirkspolitiker.

Außerdem habe er nichts gegen Flüchtlinge: "Wenn sie wirklich Flüchtlinge sind, sind sie mir jederzeit willkommen. Wir haben die Ungarn da gehabt und die Chilenen. Das ist kein Problem, und wenn es bei uns einmal scheppert, sind wir ja auch froh, wenn wir irgendwohin können", sagt er. Die Bezirksregierung habe jedoch den Fehler gemacht, die Bewohner nicht zu informieren. "Die sind ja nicht nur in ihrem Quartier, die streuen sich ja aus und wandern in einem Bulk von fünfzig oder hundert Leuten herum. Das macht die Leute nervös. Aber es ist die Desinformation, die das Unbehagen schafft", regt er sich auf. Fast hätte er selbst mit dem Auto ein paar von ihnen zusammengeführt, weil sie bei Rot quer über die Kreuzung gegangen sei. Das hätte nicht gut ausgeschaut, scherzt er, wenn die Asylanten in Simmering ankommen und der Bezirksvorsteher-Stellvertreter führt sie am ersten Tag zusammen.

Er spricht sich für koordiniertere Integrationspolitik aus. Man könne bei der Vergabe von Gemeindewohnungen geschickter agieren und die Bewohner ein wenig ordnen, sodass Pensionisten, die um acht schlafen gehen wollen, nicht neben den "abends erst richtig munter werdenden" Migranten wohnen würden. Das würde viele Nachbarschaftsstreitigkeiten vermeiden, sagt Stadler. "Die Leute, die hierher gekommen sind, die arbeiten und hier ihre Steuern zahlen, die sind uns willkommen", sagt Stadler. Er wolle vielmehr sichergehen, dass man diese Leute nicht im Regen stehen lässt und auch ihre Probleme wahrnimmt. Man könne etwa amtliche Formulare einfacher und verständlicher gestalten, damit sei nicht nur den Migranten geholfen, sondern allen. Sicher gäbe es auch Gruppen, die kein Interesse daran hätten, sich zu integrieren, aber das sei "noch die Minderheit".

Nicht der rechte Rand

Herr Stadler, sind Sie sicher nicht versehentlich in die falsche Partei eingetreten? Die Frage höre er öfter, sagt er lachend. Tatsächlich hätte er, als vor über zwanzig Jahren noch ohne politische Ambitionen für die Wirtschaftskammer kandidieren wollte, erst einmal bei ÖVP und SPÖ angeklopft. Doch beide hätten dem Besitzer eines Gefahrenguttransportunternehmens nur sehr weit hinten auf der Liste kandidieren lassen. Schließlich habe ihn die FPÖ angesprochen und die Dinge nahmen ihren Lauf. Ganz nimmt man ihm nicht ab, dass er in all das nur so hineingeraten ist, doch hat man es bei Stadler eindeutig nicht mit dem rechten Rand der FPÖ zu tun. Er spricht viel vom öffentlichen Verkehr statt "Autofahrerschikanen", setzt sich für erneuerbare Energien ein. Die provokanten Sager seiner Parteikollegen sind wohl keine, die ihm selbst auskommen würden, doch sagt er: "Ich finde harte Aussagen okay, wenn sie dazu dienen, die Menschen wachzurütteln und eine Diskussion anzustoßen." Auch mit den anderen Parteien könne er sehr gut, mit den einigen Roten habe er sogar ein freundschaftliches Verhältnis, andere würden ihm nicht einmal die Hand gäben. Grundsätzlich glaube er aber, dass rot-blau als Koalitionspartner am besten zusammenpassen würden, weil man einander sozial viel näher sei, als die Roten das mit irgendeiner anderen Partei sind.

Aufseiten der SPÖ hat man Mühe, das ebenso zu sehen. Zwar habe man ein korrektes Arbeitsverhältnis mit Herrn Stadler und dieser würde auch seine Versprechen immer halten, jedoch gäbe es schon andere, mit denen sie wesentlich lieber arbeiten würde, sagt Hatzl. Grüne und ÖVP, ja im Grunde wäre ihr wohl fast jeder lieber, als die FPÖ Simmering. Man merkt ihrer Sprache an, dass sie es gewohnt ist, den Vorwürfen der Freiheitlichen etwas entgegenhalten zu müssen. Noch bevor sie gefragt wird, sagt sie, man könne 95.000 Bewohner nicht von heute auf morgen darüber informieren, wenn in Simmering Flüchtlinge aufgenommen würden und die Stimmung sei nicht schlecht, die Simmeringer seien sehr hilfsbereit. Es stimme schon, dass Simmering einen massiven Zuzug erfahren hätte. In Rudolfsheim, Ottakring und Favoriten habe das schon früher stattgefunden, aber hier sei es gar ein wenig plötzlich passiert. "Es ist dann vielleicht auch ein bisschen zu massiv gewesen. Ich bin der Meinung, man hätte das gestaffelter verlaufen lassen können, damit die Leute lernen, mit der Situation umzugehen." Ein Thema, das die Migrationsdebatte auch negativ beeinflusse sei Armut. Simmering verfügt über eines der niedrigsten Durchschnittseinkommen unter den Wiener Bezirken. "Klar, wenn einer selbst schon wenig hat, dann hat er kein Verständnis, wenn jemand anderer etwas bekommt", sagt Hatzl.

Gemeindebaukämpfer

Trotzdem: Das hier ist Simmering. Hier wurde sozialdemokratische Geschichte geschrieben. Wo sind all die Ur-Sozis, die Erben jener Gemeindebaukämpfer? Einen Steinwurf vom Karl-Höger-Hof in einem Gasthaus formiert sich am Nachmittag eine Stammtischrunde. Der Raum ist von Rauchschwaden verhangen, man trinkt und redet über die Wahl. "Ich bin 59 Jahre alt und war in meinem Leben noch nie wählen. Aber am Sonntag geh ich, weil die Sozialdemokratie gerettet werden muss", sagt Hilde. Sie und ihr Lebensgefährte Rudi seien überzeugte Rote, ebenso wie ihre Eltern. Nur der Sohn sei ihnen irgendwie abhanden gekommen, sei von anderen beeinflusst worden und wähle jetzt wohl blau.

Verständnislos schüttelt sie den Kopf. Rudi steigt ein: "Unter den Roten haben wir doch alles. Ich hab’ eine Wohnung, meine Pension. Man schau sich nur an, was die Blauen zamdrehen, wenn sie in der Regierung sind. Schau nach Kärnten!" Wie ein Mantra wiederholt er immer wieder: "Ich will nicht, dass der Strache kommt." Es liege ein bisschen an der jungen Generation, sagt er. Die identifiziere sich nicht mehr mit großen Parteien und deren Wertesystemen und würden sich eher auf die anderen Parteien aufteilen.

Nach einer Weile geben sie mit zusammengebissenen Zähnen zu, dass sie Paul Stadler nicht für einen schlechten Menschen halten. "Aber wieso ist er dann in dieser Partei?", empört sich Hilde, die sich abschließend mit einem lauten "Rot bis in den Tod" verabschiedet. Ein bisschen wirkt das alte Paar wie die letzte Festung, deren Tor gerade mit einem Rammbock eingeschlagen wird. Sie sind bekümmert, sehen dem Wahlausgang düster entgegen. "Am Sonntag geht es um alles", seufzt Rudi schließlich schwer und es wird still am Tisch.