Der britische Sicherheitsexperte Edward Lucas kritisiert Österreichs Rolle in der Skripal-Affäre und tritt für Einigkeit gegenüber Russland ein.
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"Wiener Zeitung":Herr Lucas, im Jahr 2008 haben Sie ein vielzitiertes Buch mit dem Titel "Der neue Kalte Krieg" publiziert, in dem Sie davor warnen, dass Russland mittels Geld, Energie und Propaganda den Westen beeinflusst. Befinden wir uns tatsächlich heute in einem neuen Kalten Krieg?
Edward Lucas: Dazu möchte ich erst einmal grundsätzlich sagen, dass sich die Geschichte nicht wiederholt. Es gibt heute Ähnlichkeiten und Unterschiede zur Zeit des Kalten Krieges, der zwischen 1947 und 1989 stattfand. Die Dimensionen waren damals ganz anders. Die Sowjetunion war eine echte Supermacht, das heutige Russland ist keine Supermacht mehr. Es ist jedoch in der Lage, einen sogenannten asymmetrischen Krieg über die Beeinflussung der Wirtschaft und die Verbreitung von Propaganda im Internet zu führen. Das konnte die Sowjetunion nicht, da es diese Möglichkeiten und Vernetzungen noch nicht gab. Auch die Situation des Westens ist heute anders als etwa während der 1980er Jahre. Heute hat der Westen - im Gegensatz zu damals - Selbstbewusstsein verloren und ist geschwächt.
Inwiefern ist der Westen heute schwächer als damals?
Wir haben große Probleme in den transatlantischen Beziehungen durch die Politik des US-Präsidenten Donald Trump. Zusätzlich schwächt der Brexit die Europäische Union. Wir haben einfach zu viele selbstgemachte Probleme, die Tür und Tor für russische Einmischung öffnen. Wir müssen wissen: Russland ist entschlossen, risiko- und gewaltbereit. Der Westen ist dazu nicht bereit.
Gibt es Tendenzen in Russland, diese Schwäche des Westens noch weiter auszunützen?
Russland hat einen vielfältigen Werkzeugkasten, der in diesem neuen politischen Krieg zum Einsatz kommt. Wir haben zum Beispiel russische Versuche gesehen, die Wahlen in den USA oder auch in Frankreich zu beeinflussen.
Wie sollte die Europäische Union darauf reagieren?
Als erstes sollten wir die Dinge beim Namen nennen. Sowohl EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker als auch die hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik Federica Mogherini wenden in ihren Versuchen, Russland Einhalt zu gebieten, nur sehr bescheidene Mittel an. Wir müssen dringend die Zusammenarbeit der EU im Bereich Sicherheitspolitik verstärken, wir müssen Europol aufwerten, und endlich der Korruption und der Geldwäsche Einhalt gebieten.
Österreich betont stets - nicht zuletzt beim Besuch Wladimir Putins in Wien - die Rolle als Vermittler und Brückenbauer zwischen der Europäischen Union und Russland. Wie ist das zu bewerten?
Die weiche Politik Österreichs gegenüber Russland ist nicht hilfreich. Die Tatsache, dass Österreich nach der Skripal-Affäre keine Diplomaten ausgewiesen hat, war wirklich beschämend. Wenn man Schwäche zeigt, animiert das Russland nur, und man bezahlt irgendwann den Preis dafür. Zudem sollte man sich bewusst sein, dass Putin versucht, den Westen zu spalten. Dabei sollte Österreich nicht zum Spielball werden. Als kleines Land, das sich außerhalb des westlichen Sicherheitsbündnisses befindet, hat Österreich dabei viel zu verlieren.
Warum kann Österreich nicht zum Beispiel als Vermittler oder Brückenbauer zwischen Russland und dem Westen agieren? Das wäre doch ein konkreter Beitrag zur europäischen Sicherheit.
Nein, das denke ich nicht. Wenn sich etwa ein Land wie Finnland dafür anbieten würde, dann wäre ich damit einverstanden. Denn Finnland verfolgt eine konsequente Sicherheitspolitik, obwohl das Land kein Nato-Mitglied ist. Finnland ist eng eingebunden in die regionale Sicherheit, trägt sehr viel Verantwortung und ist eine führende Kraft in der Bekämpfung von hybrider Kriegsführung. Österreich hingegen sitzt konsequent am Rande des Spielfelds und ist zugleich im Zielgebiet des Kremls.