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Wiesenthal: "Recht, nicht Rache"

Von Walter Hämmerle

Politik

"Recht, nicht Rache": So lautet das Lebensmotto, das zugleich der Titel seiner 1988 erschienenen Autobiographie ist, von Simon Wiesenthal. Am morgigen Silvestertag feiert der Holocaust-Überlebende und weltberühmte Nazi-Jäger - sein berühmtester Fall war die Festnahme des Holocaust-Organisators Adolf Eichmann 1960 in Südamerika - weitgehend zurückgezogen in aller Stille seinen 95. Geburtstag in Wien.


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Sein Traum war es, einmal schöne Häuser zu bauen, erzählte der am 31. Dezember 1908 in Galizien geborene Wiesenthal einmal in einem Interview. Der Lauf der Geschichte machte allerdings diesen Jugendtraum vom bürgerlichen Leben zunichte.

Buczacz, der Ort seiner Geburt, lag damals noch auf dem Gebiet der Donaumonarchie. Heute gehört er zur Ukraine. Die Volksschule besuchte Wiesenthal in Lemberg und Wien, in Prag studierte er Architektur. Seinem Traum am nächsten kam er in den Jahren nach 1932, als er das Studium abschloss und in der Ukraine als Architekt und Bauingenieur tätig war. Dann begann für Wiesenthal ein völlig anderer Lebensabschnitt, der ihn Zeit seines Lebens nicht mehr loslassen sollte.

Von den nach Osten vorrückenden Deutschen wurde er 1941 verhaftet. Bis er vier Jahre später 1945 von US-Truppen aus dem KZ Mauthausen befreit wurde, hatte er 12 Konzentrationslager erlitten und überlebt.

1945 fand Wiesenthal endlich auch seine Frau Cyla wieder, die er von Jugend an kannte und die er 1936 geheiratet hatte. Noch während der Nazi-Herrschaft gelang es ihm aus dem Untergrund heraus, seiner Frau falsche Dokumente zu besorgen, mit deren Hilfe sie ab 1942 zwei Jahre in Warschau überleben konnte. Dann wurde sie ins Rheinland verschleppt und zur Zwangsarbeit gezwungen.

Schon in den Lagern hatte sich Wiesenthal die Namen jener gemerkt, die sich schuldig gemacht hatten. Ab seiner Befreiung widmete er sich der Suche nach Naziverbrechern, zuerst für das "U.S. War Crime Office" in der US-Zone Österreichs. Von Linz aus leitete er das Jüdische Zentralkomitee der US-Zone für Österreich. 1947 gründete er das Jüdische Dokumentationszentrum.

1954 schloss er die Einrichtung aber wieder. Der "Kalte Krieg" ließ das Interesse und somit auch die Unterstützung für die Aufklärung von Kriegsverbrechen erlahmen. Wiesenthal schickte alle Akten nach Israel ins Holocaust-Forschungszentrum Yad Vashem. Nur einen Fall behielt er: Den von Hitlers "Endlöser" Adolf Eichmann.

1961 eröffnete Simon Wiesenthal "sein" Dokumentationszentrum wieder, das über Spenden aus aller Welt finanziert wird. Unter den spektakulärsten Fällen, die Wiesenthal aufgedeckt hat, befinden sich neben Eichmann jener von Karl Silberbauer, der die seinerzeit 14-jährige Anne Frank in Amsterdam verhaftet hatte und 1963 als Wiener Polizeiinspektor ausfindig gemacht wurde, 1967 die Aufspürung des KZ-Kommandanten von Treblinka, Franz Stangl, in Brasilien und 1987 die Festnahme des ehemaligen Ghetto-Kommandanten von Przemysl, Josef Schwammberger, in Südamerika. Bis heute hat Wiesenthal mitgeholfen, mehr als 1.100 Fälle vor Gericht zu bringen, auch wenn bei weitem nicht alle zu Verurteilungen geführt haben.

1977 wurde an der Jeshiva Universität von Los Angeles das "Simon Wiesenthal Holocaust Center" gegründet. In den 90er Jahren setzte sich Wiesenthal für das Holocaust-Mahnmal am Wiener Judenplatz ein. Das wichtigste für ihn ist dabei die Inschrift: "Mehr als 68.000 unschuldige Menschen wurden durch die Nationalsozialisten ermordet, nur weil sie Juden waren." Als Denkmal für sich sieht er das Denkmal nicht: "Nein, es ist ein Denkmal der Geschichte."

Heute ist es still geworden um Wiesenthal. Sukzessive hat er sich in den vergangenen Jahren aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Selbst als im November seine Frau Cyla 95-jährig starb, verließ Wiesenthal seine Wiener Wohnung nicht, um dem Begräbnis beizuwohnen. Am morgigen Silvestertag wird Wiesenthal 95 Jahre alt.