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Wieso Geschmäcker verschieden sind

Von Frank Ufen

Wissen

Besonders gut ist der Geschmackssinn von Pflanzenfressern. | Mensch verliert großen Teil seiner Geschmacksknospen. | Marne. Katzen sind arm dran - zumindest wenn es um das Schmecken geht. Mit bloß 400 Geschmacksknospen, die ihnen zur Verfügung stehen, schmecken sie erbärmlich wenig, und Süßes nehmen sie gar nicht wahr.


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Das können Katzen freilich verschmerzen. Weil sie Raubtiere mit einer Vorliebe für Frischfleisch sind, ist die Gefahr von vornherein gering, dass sie verdorbenes oder vergiftetes Fleisch zu sich nehmen.

Pflanzenfresser hingegen haben den differenziertesten Geschmackssinn überhaupt, manche unter ihnen sind wahre Gourmets. Pferde sind zum Beispiel mit 35.000 Geschmacksknospen ausgerüstet, wodurch sie imstande sind, Hunderte von Grasarten voneinander zu unterscheiden.

Die Allesfresser stehen, was das Geschmacksvermögen betrifft, irgendwo zwischen den Pflanzen- und den Fleischfressern. Der Mensch ist ein typischer Repräsentant dieser Gruppe. Er kommt mit immerhin 10.000 Geschmacksknospen auf die Welt, hat aber das Pech, davon im Lauf der Zeit einen beträchtlichen Teil wieder einzubüßen.

Bis vor kurzem galt der menschliche Geschmackssinn als primitiv, grobschlächtig und nur für wenig zu gebrauchen. Doch die Forschung der letzten Jahre hat zutage gefördert, dass sein Leistungsvermögen in Wahrheit erstaunlich groß ist. Warum er das leistet, was er leistet, erklärt die Evolutionstheorie.

Warum Menschen Süßes, Saures und Salziges schmecken können, ist nicht schwer zu verstehen. Was süß schmeckt, ist in aller Regel reich an Kohlenhydraten und liefert somit eine erhebliche Menge Energie. Außerdem ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es frei ist von Stoffen, die für den menschlichen Organismus giftig sind. Übrigens kann sogar der Dünndarm Süßes schmecken. Wie die Zunge ist auch er mit dem dafür erforderlichen Rezeptor T1R3 ausgerüstet.

Viel empfindlicher gegen Bitteres als gegen Süßes

Dass Menschen imstande sind, Saures zu schmecken, hat den Sinn, sie vor unreifem Obst und verdorbener Nahrung zu warnen. Unlängst hat der US-amerikanische Biologe Charles Zuker (Universität von Kalifornien in La Jolla) herausgefunden, dass ein einziges Protein namens PKD2L1 für die Wahrnehmung von Saurem sorgt. Auf dieses Protein ist Zuker später auch in bestimmten Nervenzellen des Rückenmarks gestoßen. Möglicherweise soll es dort den Säurehaushalt des Körpers überwachen.

Für den menschlichen Stoffwechsel ist die ständige Versorgung mit Kochsalz unbedingt notwendig. Nahrung, die salzig schmeckt, verspricht, Salz oder andere Mineralstoffe zu enthalten.

Um zu verhindern, dass sie von Tieren verspeist werden, stellen etliche Pflanzen Gifte her, darunter auch zyanogene Glukopyranoside. Doch Menschen können diese Substanzen, die im Magen-Darm-Trakt Blausäure freisetzen, leicht identifizieren, denn sie schmecken bitter. Die für Bitterstoffe zuständigen Rezeptoren reagieren 10.000 Mal empfindlicher als die auf Süßes spezialisierten.

Diese extreme Empfindlichkeit ist unter anderem das Ergebnis einer genetischen Mutation, die irgendwann in der Altsteinzeit stattgefunden hat. Zu diesem Befund sind Wolfgang Meyerhof und Bernd Bufe vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke sowie andere Wissenschafter gelangt.

13,8 Prozent der Afrikaner fehlt allerdings diese Genvariante, so dass sie zyanogene Glukopyranoside erst in höheren Konzentrationen schmecken. Doch vermutlich ist das für sie ein Vorteil. Wenn sie nämlich häufiger zyanogenhaltige Nahrung essen, leiden sie zwar häufiger an Sichelzellenanämie. Aber dafür sind sie einigermaßen dagegen gefeit, sich mit Malaria zu infizieren.

"Forscher vermuten, dass Bitterstoffe vor einen ganzen Reihe von Krankheiten schützen, gleichzeitig weisen epidemiologische Studien darauf hin, dass ein hoher Gemüseverzehr das Risiko für bestimmte Krebs- oder Kreislauferkrankungen senken kann. Viele Menschen lehnen jedoch bestimmte Gemüse ab, weil sie bitter schmecken", sagt Meyerhof. "Um vermeintlich geschmackvollere Produkte anbieten zu können, ist die Agrar- und Lebensmittelindustrie bemüht, den Bitterstoffanteil in der Nahrung zu reduzieren. Ob dies dazu beitragen kann, den Gemüsekonsum zu erhöhen, bleibt abzuwarten."

Seit 1908: "Umami" als fünfter Geschmack

1908 entdeckte der japanische Chemiker Kikunae Ikeda einen fünften Grundgeschmack, den er "Umami" (japanisch für "wohlschmeckend" oder "köstlich") nannte. Die evolutionäre Bedeutung des Umami-Geschmacks ist noch nicht völlig geklärt. Doch offenbar dient er in erster Linie dazu, eiweißreiche Nahrung anzuzeigen. Jedenfalls ist er für Milch, Käse oder Sojaprodukte nicht weniger typisch als für hochreife Früchte oder Fisch und Fleisch überhaupt. Umami ist nichts anderes als der Geschmack des Glutamats, der in Lebensmitteln am häufigsten vorkommenden Aminosäure. Das Glutamat verstärkt den jeweiligen Eigengeschmack der Nahrung.

Lange schien es, als ob die Evolution vergessen hätte, den Menschen mit der nützlichen Fähigkeit auszurüsten, mit der Zunge Fettsäuren in der Nahrung aufzuspüren. Doch vor kurzem ist es dem französischen Physiologen Philippe Besnard (Université de Bourgogne in Dijon) gelungen, einen Rezeptor ausfindig zu machen, der auf die Wahrnehmung von Fetten im Mundraum spezialisiert ist. Hierbei handelt es sich um das Glycoprotein CD36. Sobald man bei Säugetieren diesen Rezeptor lahmlegt, vergeht ihnen der Appetit auf fettreiche Nahrung.

Nicht nur die primären Geschmacksqualitäten der Nahrung, sondern auch ihre Konsistenz, ihr Geruch und ihre Temperatur tragen einiges zum endgültigen Geschmackserlebnis bei. Die für die Temperaturmessung und für Schmerzempfindungen zuständigen Sensoren haben eine merkwürdige Eigenschaft: Sie werden auch aktiv, wenn sie mit scharf gewürzter Kost in Berührung kommen. So genügt schon etwas Senf oder Meerrettich, um den Kälterezeptor auf den Plan zu rufen. Der Hitzerezeptor hingegen reagiert auf das Capsaicin, das in Chilifrüchten enthalten ist. Der Mensch ist das einzige Säugetier, das den Geschmack von Chilifrüchten nicht als scheußlich empfindet. Man hat gerätselt, wie sich die Capsaicin produzierenden Pflanzen fortpflanzen. Nun hat sich herausgestellt, dass sich darum allein die Vögel kümmern. Doch das ist eine andere Geschichte.