Der Planet verträgt zwar zehn Milliarden, doch die dürfen nicht so leben wie wir. | Bildung ist das zentrale Rezept gegen Überbevölkerung.
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Wien. Der Erste war Thomas Robert Malthus nicht gewesen. Aristoteles und der chinesische Philosoph Han Fei hatten sich schon Jahrhunderte zuvor ähnliche Gedanken gemacht. Der anglikanische Pfarrer, der ab 1806 als Professor für politische Ökonomie am Haileybury College lehrte, war aber der Erste, der richtiggehend besorgt war. Die Agrarproduktion, so prophezeit er in seinem viel beachteten "Essay on the principle of population", werde mit der im beginnenden Industriezeitalter rasch anwachsenden Bevölkerung nicht mithalten können. Und Malthus formuliert erstmals auch die Grenzen des Wachstums: Für mehr als eine Milliarde Menschen - das entspricht ungefähr der Bevölkerung zu Lebzeiten des britischen Ökonomen - wird die Erde keinen Platz bieten. An "der Tafel der Natur" steht nicht für jeden ein "gebreitetes Gedeck", heißt es in dem Essay, dessen deutsche Übersetzung den Titel "Das Bevölkerungsgesetz" trägt.
Seit Malthus seinen wirkmächtigen Aufsatz geschrieben hat, ziehen sich apokalyptische Überbevölkerungsszenarien wie ein roter Faden durch die Demografiegeschichte. 1865, als die Weltbevölkerung auf knapp 1,5 Milliarden angewachsen war, befürchtete William Stanley Jevons die baldige und verheerende Erschöpfung der globalen Kohlevorräte, 1968, als es bereits 3,5 Milliarden Menschen auf der Erde gab, schrieb Paul R. Ehrlich sein pessimistisches Buch "Die Bevölkerungsbombe". Eine kurz zuvor absolvierte Indien-Reise und die dabei erlebten Menschenmassen hatten den amerikanischen Biologen vollkommen geschockt zurückgelassen.
Vier Jahre nach Ehrlich veröffentlichte der Club of Rome schließlich die bis dato bekannteste Bevölkerungsstudie. In "Die Grenzen des Wachstums" gehen die Autoren davon aus, dass die Erde ohne überaus umfangreiche Gegenmaßnahmen am Ende des 21. Jahrhunderts durch Überbevölkerung, Umweltverschmutzung und den Aufbrauch der natürlichen Ressourcen den totalen Kollaps erleidet.
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Ein Wachstum mit Ende
Die Debatte, die vor allem in den 70er und 80er Jahren an Fahrt gewann, ist bis heute nicht beendet. Eher im Gegenteil. Nach einem kurzfristigen Einbruch, als der Klimawandel die Rolle der akutesten Bedrohung der Menschheit übernahm, dürfte das Thema in nächster Zeit sogar eine neue Hochkonjunktur erleben. Denn irgendwann in den nächsten Tagen oder Wochen wird jener Mensch zur Welt kommen, mit dem die Erde die symbolbeladene Marke von sieben Milliarden Bewohnern überspringen wird.
Innerhalb von vierzig Jahren - dies entspricht fast genau jener Zeit, die seit der Veröffentlichung der Bevölkerungsstudie des Club of Rome vergangenen ist - hat sich die Weltbevölkerung damit verdoppelt. Nimmt man die Vergangenheit als Maßstab, ist diese Verdoppelung auch unglaublich schnell erfolgt. Zu Lebzeiten von Malthus, also am Ende des 18. Jahrhunderts, hatte es dafür noch 130 Jahre gebraucht.
Doch wann ist nun tatsächlich Schluss? Kann die Erde, die schon manch früheres Horrorszenario relativ unbeeindruckt hinter sich gelassen hat, die Grenzen des Wachstums dauerhaft vor sich herschieben? Oder werden wir schon bald in großen Mengen von der "Tafel der Natur" gestoßen?
Die Antworten, die die heutige Generation von Demografen auf solche Fragen gibt, sind vorsichtiger und weniger alarmistisch geworden. Und nach dem - nachträglich als übertrieben angesehenen - Dauerstakkato der Kassandra-Rufer in den 70er Jahren greift man nun lieber zu Bandbreiten, wenn es um die Tragfähigkeit der Erde geht. Die eine Grenze markieren dabei Wissenschafter, die bereits eine Weltbevölkerung von sechs Milliarden für gerade noch angemessen halten. Am anderen Ende der Skala stehen fast schon ironisch überzeichnete 100 Milliarden. "Die häufigsten Schätzungen liegen aber zwischen zehn und dreizehn Milliarden", sagt Karl Husa, der als Professor am Wiener Institut für Geografie lehrt.
Gerne wird heute auf die Frage nach der maximalen Größe der Weltbevölkerung auch mit einer Gegenfrage geantwortet. Nämlich zu welchen Bedingungen? Denn dass die Erde keine zehn Milliarden Menschen verträgt, die ein Leben nach nordamerikanischem oder europäischem Vorbild führen, ist in der Demografie unbestritten. So würde die derzeitige Welternte von rund zwei Milliarden Tonnen Getreide laut der deutschen "Zeit" durchaus reichen, um zehn Milliarden Menschen zu ernähren. Allerdings dürften diese pro Kopf und Jahr nur 200 Kilo verzehren - dies nimmt derzeit etwa ein Inder für sich in Anspruch, der durch seine vorwiegend vegetarische Lebensweise auch verhindert, dass das Getreide als Tierfutter eingesetzt wird. Bei italienischer Kost würde die Welternte nur für fünf Milliarden Menschen reichen. Und bei der von Burgern, Steaks und Eiern geprägten Ernährungsweise der US-Bürger wäre schon bei 2,5 Milliarden Schluss.
Ganz ähnlich verhält es sich bei allen anderen Errungenschaften des westlichen Lebensstils. Wenn auch achtzig Prozent der Inder und Chinesen Autofahren, Konsumgüter kaufen und ferne Länder per Flugzeug erkunden, sind die globalen Vorräte eher früher als später erschöpft. Anschaulich verdeutlicht das auch das Konzept des "Ökologischen Fußabdrucks", das den Ressourcenverbrauch in den unterschiedlichsten Weltregionen gegenüberstellt. Würden alle so leben wie die Amerikaner oder Europäer, bräuchte man schon jetzt vier beziehungsweise zweieinhalb zusätzliche Planeten, um den Bedarf zu decken. Und ein Ende dieser sich nach wie vor beschleunigenden Entwicklung ist alles andere als absehbar.
Auch in der Demografie sieht man diesen kapitalen Mangel an Nachhaltigkeit als das eigentliche Zukunftsproblem an, zumal hinsichtlich der reinen Bevölkerungsentwicklung langfristig Entwarnung gegeben werden kann. Die Menschheit wird zwar im kommenden Jahrhundert weiter wachsen und 2024 die Acht-Milliarden-Marke beziehungsweise 2045 die Neun-Milliarden-Marke erreichen. "Gegen Ende des 21. Jahrhunderts wird die Bevölkerung aller Voraussicht nach aber nicht weiter wachsen", sagt Demografie-Professor Husa. Für wahrscheinlich wird sogar gehalten, dass die Bevölkerung nach einer gewissen Plateau-Phase von 10 Milliarden leicht zurückgeht.
Der Trend zu weniger Kindern ist bereits jetzt offensichtlich. Zwischen 1970 und 1975 hatten Frauen im globalen Durchschnitt 4,7 Kinder. Heute sind es nur noch 2,6. Verantwortlich dafür ist vor allem, dass die Menschen immer klüger und gebildeter werden. Denn nichts korreliert stärker mit den Fertilitätsraten als das Bildungsniveau. Ablesen lässt sich das sehr deutlich am indischen Bundesstaat Kerala. Während Frauen am gesamten Subkontinent durchschnittlich 2,8 Kinder bekommen und im nördlichen Bundesstaat Punjab nach wie vor vier bis fünf Kinder üblich sind, ist die Fertilitätsrate in Kerala fast ähnlich niedrig wie in Westeuropa. Was Kerala vom Rest Indiens unterscheidet, ist eine Alphabetisierungsrate von nahezu 90 Prozent.
Welche Rolle Bildung spielt, sieht man auch in Afrika. In Malawi bekommt eine Frau ohne Schulbildung durchschnittlich sieben Kinder, eine mit höhere Schulbildung hingegen nur vier. "Statistisch gesehen bekommt eine Frau mit jedem Jahr Bildung 0,2 Kinder weniger", sagt Ute Stallmeister von der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung, die sich neben der Stärkung von Frauen vor allem für die Verhinderung von ungewollten Schwangerschaften in den Entwicklungsländern einsetzt.
Armut und Konflikte
Neben den sinkenden Fertilitätsraten gibt es noch anderes Tröstliches. Laut einer OECD-Prognose wird die Agrarerzeugung im Jahr 2030 etwa 50 Prozent über dem Wert von 2005 liegen, die Weltbevölkerung wird im gleichen Zeitraum aber nur um rund 30 Prozent wachsen. Auch schon Malthus’ Prognosen waren gescheitert, weil er neben vielen anderen Dingen die ungeheuren Fortschritte der Agrarindustrie nicht vorhersehen konnte.
Doch die langfristigen Hoffnungen, die uns die Demografie macht, haben für die meisten Menschen, die derzeit in den Entwicklungsländern leben, kaum Bedeutung. Denn das globale Bevölkerungswachstum findet nicht in den stagnierenden Industrieländern statt, sondern ausschließlich hier und es führt zu schweren Verwerfungen. Außer den Ölstaaten gibt es kaum eine Region auf der Welt, in der das starke Bevölkerungswachstum der letzten Jahrzehnte nicht mit einer Zunahme der Armut einhergegangen wäre. Die Zahl der Slum-Bewohner ist weltweit explodiert, die Zahl der Hungernden liegt trotz eines leichten Rückgangs noch immer bei 925 Millionen. Immer mehr Böden sind versalzt, die Umweltprobleme kaum noch in den Griff zu bekommen. Gleichzeitig stehen Konflikte um die knapper werdenden Ressourcen im Raum. Dass es schon bald irgendwo zum ersten Wasserkrieg kommen könnte, will derzeit wohl niemand ausschließen.
Auflösen lassen sich diese Disparitäten zwischen fortschrittsinduziertem Überfluss und wachstumsbedingter Armut aber wohl nur schwerlich. "Alle diese globalen Fragen enden letztlich bei Umverteilungsdebatten", sagt Demografieprofessor Husa. "Und das wird dann auf politisch-regionaler Ebene sehr schnell unpopulär." Wer schon drei oder vier Plätze an der "Tafel der Natur" besetzt hat, gibt also nur ungern einen davon her.