Appell von Neo-Chef Gabriel Felbermayr. Heuer und 2022 sieht er Österreichs Wirtschaft um 4,4 und 4,8 Prozent wachsen.
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Noch vor wenigen Tagen erst paktiert, bringt die aktuelle Regierungskrise die Steuerreform auch schon wieder ins Wackeln. Deshalb hat der neue Chef des Wifo, Gabriel Felbermayr, am Freitag den "dringenden Appell" an die Politik gerichtet, wenigstens die zentralen Teile rund um die CO2-Steuer und den Klimaschutz über die Krise hinwegzuretten. "Wie immer das jetzt auch gehen mag: Da sollte es parlamentarische Mehrheiten geben", sagte er bei der gemeinsam mit dem IHS abgehaltenen Präsentation der neuen Konjunkturprognose für Österreich. Schließlich gehe es um Klimaziele. Werden diese verfehlt, drohen laut dem Rechnungshof bis zu 9,2 Milliarden Euro an Kompensationszahlungen.
Mit der Regierungskrise ist Felbermayr alles andere als glücklich. Gerade jetzt gebe es einen hohen Bedarf, große Herausforderungen anzugehen - die Folgen der Alterung beispielsweise, vor allem aber den Umbau der Energieversorgung vor dem Hintergrund der Dekarbonisierung. So sei etwa der Ausbau der erneuerbaren Energien voranzutreiben, hier brauche es ein starkes Signal. "Ein Stillstand - auch nur für ein halbes Jahr - würde die Standortqualität beeinträchtigen", betonte der Ökonom, der Christoph Badelt an der Wifo-Spitze abgelöst hat. "Die zentralen Zukunftsthemen sollten nicht der Regierungskrise zum Opfer fallen."
Zur jüngst vereinbarten Steuerrefom selbst sagte Felbermayr, dass sie "in wesentlichen Zügen zu begrüßen" sei. "Das ist der Beginn einer Strukturreform." Die CO2-Bepreisung sei allerdings schwächer ausgefallen als erhofft, kurzfristig sei da nur von einer geringen Lenkungswirkung auszugehen, ein "deutlich ambitionierterer Anstieg des Preispfades" wäre wünschenswert gewesen, so Felbermayr. Zur regionalen Klimabonus-Differenzierung meinte er, diese solle nur vorübergehend sein und nach fünf Jahren wieder auslaufen, wenn der Übergang auf den europäischen Emissionshandel erfolge.
Aus Sicht von Michael Reiter, dem Leiter der Ökonomie im Institut für Höhere Studien (IHS), sollte der regionale Klimabonus keine falschen Anreize setzen, also nicht etwa Gemeinden, die Öffi-Verbindungen ausbauen, bestrafen, indem der Bonus dort womöglich dann abgesenkt wird. Laut Felbermayr müsste das oberste Ziel sein, den öffentlichen Verkehr prioritär in den derzeit wenig oder überhaupt nicht erschlossenen Gebieten zu verbessern.
Zeitpunkt für Ausstieg aus Hilfsprogrammen gekommen
Nach dem pandemiebedingten Absturz im Vorjahr sehen Wifo und IHS Österreichs Wirtschaft heuer und auch im kommenden Jahr kräftig zulegen. "Die Corona-Krise liegt hinter uns", erklärte Felbermayr. Es sei der Zeitpunkt gekommen, dass aus den staatlichen Hilfsprogrammen ausgestiegen werde. Auch wenn die Erholung durch eine vierte Covid-Welle jetzt im Herbst gebremst werde: Für 2021 geht das Wifo mit Blick auf ein deutlich über den Erwartungen liegendes zweites Quartal von einem von 4,0 auf 4,4 Prozent nach oben revidierten Wirtschaftswachstum aus, für 2022 rechnet es mit einem leicht nach unten gesetzten Plus von 4,8 Prozent. Das IHS prognostiziert jeweils ein Wachstum von 4,5 Prozent.
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Die bevorstehende vierte Corona-Welle dürfte vor allem Gastronomie und Hotellerie treffen. "Das könnte ein schwieriges Winterhalbjahr werden, es könnte eine Konjunkturabschwächung geben", so Felbermayrs Einschätzung. Das IHS rechnet indes mit keinem Lockdown mehr für den heimischen Wintertourismus.
Erholung am Arbeitsmarkt "überraschend gut"
Als "überraschend gut" bezeichnete der neue Wifo-Leiter die Erholung am Arbeitsmarkt, auch wenn das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit nach wie vor akut sei. Die Arbeitslosenzahlen seien jedenfalls um nahezu 200.000 Personen gesunken, gleichzeitig habe es noch nie so viele offene Stellen gegeben wie jetzt. Für den Winter sieht Felbermayr jedoch gewisse Risiken für den Arbeitsmarkt, "weil sich die konjunkturelle Lage wieder etwas eintrübt".
Von einer dauerhaft erhöhten Inflation, wie da und dort bereits befürchtet wird, geht der aus Oberösterreich stammende Konjunkturexperte nicht aus. Dennoch: Für 2021 sieht er die Teuerungsrate bei 2,8 Prozent, womit er pessimistischer ist als andere Wirtschaftsforscher. Und für 2022 rechnet er sogar mit einem Anstieg auf 3,0 Prozent, da die Lieferkettenprobleme nicht so schnell abebben würden wie noch zuletzt gehofft. Das IHS geht hingegen für heuer von 2,6 Prozent aus und sieht für 2022 eine Abschwächung auf 2,3 Prozent.
Chats offenbaren politischen Druck auf IHS
Unterdessen sind aus den Korruptionsermittlungen rund um Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und sein enges Umfeld weitere Details an die Öffentlichkeit gedrungen. Medien veröffentlichten neuerlich Chats des einstigen Generalsekretärs im Finanzministerium, Thomas Schmid. Darin spricht dieser etwa davon, Druck auf das von öffentlichen Geldern abhängige IHS ausgeübt zu haben, um es auf Kurz’ Linie zu bringen. Über den entsprechenden Bericht im "Falter" zeigte sich IHS-Ökonom Reiter am Freitag erfreut: Der Bericht zeige, dass das IHS als Forschungsinstitut seine Unabhängigkeit bewahrt habe. (kle)