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Wikileaks zeigt, wie fließend Spionage und Diplomatie ineinander übergehen

Von Alexander U. Mathé

Analysen

Wo endet die Diplomatie und wo beginnt die Spionage? Auf Botschaftsempfängen sieht man sich meist mit zwei Arten von Fragen konfrontiert: harmlosen, die nur für den Fragenden interessant zu sein scheinen, und gefährlichen, die harmlos formuliert werden. | Zur ersten Gattung gehören Fragen wie: "Glauben Sie, dass Pröll zu Hause eine Ameisenfarm betreibt?", wobei, egal wie die Antwort ausfällt, ein bedeutungsschwerer Blick des Fragenden folgt. In diesen Momenten hat man das Gefühl, gerade das letzte Mosaiksteinchen für ein Bild gelegt zu haben, das der Fragende längst gezeichnet hat. Man kann sich sicher sein, mit seiner These in der einen oder anderen Art in den Bericht des Botschafters einzufließen. Doch dies ist nun einmal das Brot eines Diplomaten: politische Analysen und Einschätzungen, basierend auf Informationen, die man im Gastland sammelt.


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Doch dann sind da noch die anderen Fragen. Eine Zeit lang konnte man in Wien fast sicher sein, auf Botschaftsempfängen ganz beiläufig nach dem Wohnort des Sohnes eines prominenten ausländischen Politikers gefragt zu werden. Dass Fragen dieser Art nicht wirklich in den Bereich politischer Analyse fallen, ist offensichtlich. Viel wahrscheinlicher ist, dass damit Nachrichtendienste gefüttert werden sollen.

Wikileaks hat diese Verzahnung von Diplomatie und Spionage einmal mehr verdeutlicht. Nehmen wir das Beispiel einer Anfrage von Außenministerin Hillary Clinton an die US-Botschaft in Buenos Aires vom 31. Dezember 2009. Die Außenministerin fordert ihre Diplomaten darin auf, Informationen über Staatschefin Cristina Fernandez de Kirchner zu übermitteln. Speziell will sie wissen, wie die Präsidentin mit Stress zurechtkommt. Das klingt durchaus nach einer Aufgabe, die in den Aufgabenbereich eines Botschafters fallen könnte. Des weiteren soll Auskunft darüber erteilt werden, inwieweit Emotionen Kirchners ihre Entscheidungsfindung beeinflussen. Auch das macht wohl ein Diplomat.

Doch Clinton will mehr wissen. Sie will wissen, wie Kirchner (und/oder ihr Berater) ihren Stress bewältigt, ob Kirchner Medikamente nimmt. Das klingt irgendwie weniger nach einer Aufgabe für einen Botschafter oder einen Diplomaten im Allgemeinen, zumal wenn man sich überlegt, wozu diese Information dienlich sein soll.

Unmittelbar stammt diese Anfrage vom "Bureau of Intelligence and Research", dem Nachrichtendienst des US-Außenministeriums. Der untersteht der Außenministerin direkt, die die Anfrage auch abgezeichnet hat.

Ähnlich dürfte die Vorgangsweise gewesen sein, bevor das Department of State erfuhr, dass Nordkoreas Diktator Kim Jong-Il Kettenraucher ist und Whiskey zuspricht. Politische Analysen, Vermittlungen und Gutwettermiene sind wohl nicht mehr alleinige Aufgaben von Diplomaten, und wie man weltweit hören konnte: Die anderen machen das auch.