)
Allianz übt heftige Kritik am österreichischen Jugendhaftsystem.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. Die Diskussion nach der schweren Misshandlung eines 14-jährigen U-Häftlings in der Justizanstalt Josefstadt reißt nicht ab. Am Montag forderten Rechtsexperten die Wiedererrichtung eines eigenen Jugendgerichtshofs. Dieser war vor zehn Jahren mit dem Landesgericht für Strafsachen Wien zusammengelegt worden. Der seinerzeitige Justizminister Dieter Böhmdorfer verteidigt im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" den damaligen Schritt.
Mit 1. Juli 2001 wurde die Altersgrenze zur Anwendung des Erwachsenenstrafrechts von 19 auf 18 herabgesetzt. Gleichzeitig wurden allerdings gewisse Privilegien des Jugendstrafrechts (etwa geringere Höchststrafen) auf junge Erwachsene bis 21 Jahre ausgeweitet. So sind auch für 18- bis 21-Jährige die Jugendgerichte zuständig. "Dadurch kam es zu einer schlagartigen Zunahme der Häftlingszahlen", sagt Böhmdorfer. Aufgrund der Überbelegung - "statt 60 bis 80 waren es plötzlich 150, 160 Häftlinge" - und baulicher Mängel sei die Situation im damaligen Standort in der Rüdengasse im dritten Wiener Gemeindebezirk "unerträglich" gewesen und hätte sogar der Anti-Folter-Konvention widersprochen.
Regelrecht emotional wird Böhmdorfer, wenn von der Abschaffung des Jugendgerichtshofs die Rede ist: "Kein Mensch hat etwas abgeschafft", so der frühere freiheitliche Justizminister. Das Jugendgericht sei lediglich ins Landesgericht übersiedelt - wo es weiterhin eigene Jugendrichter gibt. Im neuen Standort sei organisatorisch alles wesentlich besser geworden. Wenn die Anstalt richtig geführt werde - "davon gehe ich aus" -, hätten die Jugendlichen keinen Kontakt mit erwachsenen Gefangenen. (Die Übergriffe geschahen tatsächlich unter Jugendlichen.)
"Richter verhängen U-Haft zu schnell und zu lange"
Den Standort Josefstadt verteidigt Böhmdorfer, auch wenn die Größe problematisch sei. Bei Untersuchungshäftlingen sei eine Nähe zum Gericht sinnvoll, weil die Gefangenen ja für Vernehmungen zur Verfügung stehen müssten. Allerdings stelle sich die Frage, wieso ein 14-Jähriger drei Wochen in U-Haft genommen werde, so Böhmdorfer. Der Anwalt verlangt diesbezüglich eine eingehende politische Diskussion über die Verhältnismäßigkeit von U-Haft, "das ist schließlich ein gravierender Eingriff in die Grundrechte". Aus Böhmdorfers Sicht verhängen Österreichs Richter U-Haft "zu schnell und zu lange".
Diese Diskussion gehöre allerdings in eine objektive Kommission, sagt Böhmdorfer. Derzeit werde nur versucht, mit einer Vergewaltigung politisches Kleingeld zu wechseln. Heftige Kritik übt Böhmdorfer diesbezüglich an der SPÖ und deren Justizsprecher Hannes Jarolim: "Diesen Herrschaften geht es nicht um die Jugendlichen, sondern nur um sozialdemokratische Symbolik", schließlich sei der Jugendgerichtshof stets als rote Errungenschaft gefeiert worden.
Jarolim ist ein Befürworter eines eigenen Jugendgerichtshofs. Dieser Forderung schlossen sich am Montag auch namhafte Rechtsexperten an. Als "Allianz gegen die Gleichgültigkeit im Strafvollzug" übten sie heftige Kritik am heimischen Haftwesen. Den Fall des 14-Jährigen, der Anfang Mai in der Untersuchungshaft von Mitgefangenen mit einem Besenstiel vergewaltigt worden war, bezeichnete Alexia Stuefer, Generalsekretärin der Vereinigung österreichischer Strafverteidiger, als "Pleite des Rechtsstaates". Die österreichische Gesellschaft sei so beschaffen, dass sie "Kinder - und ein Jugendlicher mit verzögerter Reife ist ein Kind - wegsperrt und sich selbst überlässt", so die Juristin.
Die Allianz fordert mehr Personal für die Justizanstalten (Wachen, Pädagogen, Therapeuten, Psychologen und Sozialarbeiter), andererseits Alternativen zur Untersuchungshaft für Jugendliche.
Justizministerin Beatrix Karl hat angekündigt, diesbezüglich eine eigene Taskforce einzusetzen. Es gehe auch darum, Richter zu sensibilisieren, bei Jugendlichen nicht gleich U-Haft zu verhängen. Derzeit sind österreichweit 128 Jugendliche in Haft.
Jugendstrafvollzug in Europa
(pan) In Österreich sitzen derzeit 128 Jugendliche in Untersuchungs- oder Strafhaft. 28 davon in der Justizanstalt Josefstadt, darunter 20 in U-Haft.
Strafmündig ist man hierzulande ab 14 Jahren, wobei Minderjährige bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres als "junge Straftäter" juristisch erfasst werden. Von 18 bis 21 spricht man von "jungen Erwachsenen" - man fällt zwar unters Erwachsenenstrafrecht, genießt allerdings gewisse Vorzüge des Jugendstrafrechts. Ähnlich die Situation in Deutschland, wo Straftäter zwischen 18 und 21 als "Heranwachsende" aufgrund ihres Alters mildernde Umstände erlangen. In Frankreich und der Schweiz tritt die Strafmündigkeit bereits mit 10 Jahren in Kraft, wobei Jugendliche bis 18 nicht die volle Gesetzeshärte zu spüren bekommen. Was in der Schweiz eine Gesetzeslockerung bedeutet (bis 2007 wurde man ab dem 8. Lebensjahr zur Verantwortung gezogen), hat in Frankreich schon lange Tradition. Verschärfungen im Umgang mit jugendlichen Straftätern gab es dort vor allem verstärkt unter Nicolas Sarkozy, sowohl als Innenminister als auch als Präsident. Ein Beispiel dafür ist die Abschaffung der mildernden Umstände für minderjährige Wiederholungstäter zwischen 16 und 18 Jahren. Im oft als Vorzeigeland genannten Schweden, beginnt die Strafmündigkeit ab 15 Jahren. Das Jugendstrafrecht wird dort bis 18 angewendet, wobei es je nach richterlichem Ermessen bis zum 21. Geburtstag angewandt werden kann. Die maximale Haftdauer beträgt für diese Altersgruppe vier Jahre.
Strafalternativen zum klassischen Freiheitsentzug findet man vor allem in Schweden und der Schweiz, etwa in Form von Verweisen, persönlichen Leistungen (Pendant zur gemeinnützigen Arbeit bei Erwachsenen) oder Bußen. Das schweizerische Gesetz sieht bei Jugendlichen zudem die Möglichkeit von "Schutzmaßnahmen" wie persönlicher Betreuung und Unterbringung bei Privaten vor.