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Wildtierforschung hilft der Medizin

Von Petra Tempfer

Wissen

Außergewöhnliche Versuchstiere liefern neue Erkenntnisse. | Wien. In engen Käfigen rotierende Mäuse oder mit Sonden bestückte Ratten: Das Wort "Versuchstiere" wird häufig mit sterilen Labors in Verbindung gebracht. "Einer Hand voll Labortierarten stehen aber unzählige Wildtiere gegenüber, deren Erforschung ebenfalls für die Medizin genutzt werden kann", sagt Walter Arnold, Leiter des Forschungsinstituts für Wildtierkunde und Ökologie der Veterinärmedizinischen Universität Wien.


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Vom Wurm bis zum Elefanten - jedes Tier kann zum Versuchstier werden, wobei die Vorteile der Wildtiere laut Arnold darin liegen, dass sie nicht domestiziert sind. "Sie sind nicht an die Haltung durch den Menschen gewöhnt", erklärte der Wiener Wissenschafter auf der 47. Tagung der deutsch-österreichi-schen Gesellschaft für Versuchstiere (GV-Solas), die zu Wochenbeginn in Wien stattfand. "Die Versuchsergebnisse sind deshalb auch nicht davon beeinflusst und womöglich nicht mehr interpretierbar."

Die Erkenntnisse aus der Wildtierforschung liefern laut Arnold vor allem Basiswissen über die Evolution sowie das Verhalten der jeweiligen Tierart und dienen somit dem Artenschutz, werden aber auch im Laboralltag umgesetzt. So führten etwa Studien am Wildkaninchen zu höheren und längeren Käfigen. "Die Forscher beobachteten nämlich, dass sich die Wildtiere oft und gerne aufrichten, und dass sie den Hoppelsprung lieben", präzisierte Gero Hilken, stellvertretender Präsident der GV-Solas.

Sender verschluckt

Neben der klassischen Beobachtung mit dem Fernglas kommt zunehmend die Telemetrie zum Einsatz, bei der über weite Entfernungen via Satellit Informationen über den Aufenthaltsort, den Herzschlag oder die Körpertemperatur des Tieres erlangt werden. Zu diesem Zweck wurden früher Sender unter die Haut implantiert. "Dazu ist ein chirurgischer Eingriff nötig", sagte Arnold, "weshalb sich die neue Methode, bei der der Transponder innerhalb weniger Minuten abgeschluckt wird, großer Beliebtheit erfreut." Diese ist allerdings nur bei Wiederkäuern möglich, wo der Sender im Netzmagen liegen bleibt. Bei Nichtwiederkäuer ist der Fremdkörper nach zwei Tagen verdaut.

Aus der Wildtierforschung kann nicht ausschließlich Basiswissen, das nur indirekt der Medizin zugute kommt, geschöpft werden. "Besonders interessant ist die Anpassung wild lebender Tiere an die Jahreszeiten für Humanmediziner", meinte Arnold: Bei Winterschläfern wurden nämlich Veränderungen der Zellmembranen festgestellt, die das "Funktionieren" der Tiere selbst bei niedrigen Temperaturen ermöglichen. Dabei spielen unter anderem mehrfach ungesättigte Fettsäuren eine Rolle.

"Und auch beim Menschen sind solche saisonalen Veränderungen mit den Jahreszeiten vorhanden", fuhr Arnold fort, wodurch sich der Bogen zur menschlichen Forschung spannen lässt. Der Jahreszeitenwechsel beim Menschen mache sich durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Depressionen bemerkbar.

Keine Kosmetik-Tests

Für die menschliche Bauchspeicheldrüsen-Forschung werden wiederum laut Hilken seit einigen Jahren Opossums herangezogen, amerikanische Murmeltiere helfen bei den Untersuchungen rund um das Hepatitis-B-Virus. "Dabei dienen die Wildtiere ausschließlich der Sammlung ideologischer Erkenntnisse", betonte Arnold, "weiterführende Versuche werden an Labortieren durchgeführt."

Deren Zahl konnte in den Vorjahren stetig reduziert werden, "zur Kosmetik-Testung werden sie in Österreich und bis 2012 EU-weit überhaupt nicht mehr herangezogen", erklärte Thomas Rülicke, Leiter des Instituts für Labortierkunde an der VetMedUni Wien.

Einen wesentlichen Beitrag zur Reduktion der Labortiere lieferten vor 50 Jahren die Briten William Russell und Rex Burch: Sie präsentierten damals die "3R-Formel", die für "replace" (ersetze), "reduce" (verringere) und "refine" (verfeinere) steht. Mit der Verfeinerung der Versuche gehe aufgrund der geringeren Sterblichkeit eine Reduktion der Labortiere einher, wobei diese wenn möglich durch andere Verfahren ersetzt werden sollen. Vor jedem Start einer Versuchsreihe an Lebewesen stehen laut Rülicke ohnedies zahlreiche Testungen an Zellkulturen - von etwa 1000 Produkten gelange schließlich nur eines in die Labortier-Forschung.