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Er war Vizekanzler und Finanzminister und gilt als Favorit für den Posten des nächsten EU-Kommissars: Wilhelm Molterer über Fehler in der Krise und die Krise der Politik. | "Wiener Zeitung": * Herr Molterer: drehen wir das Rad der Zeit um ein Jahr zurück: Damals lag Österreich im Wahlkampffieber.
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Die Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise waren zwar längst absehbar, doch die Parteien überboten sich in einem absurden Ideen-Wettstreit für den Kampf gegen die Teuerung. Die Inflation war drei Monate nach der Wahl kein Thema mehr, die Folgen der Krise werden uns noch Jahre beschäftigen. Ist es nicht demokratisch bedenklich, wenn es in einem Wahlkampf nicht um die wirklich wichtigen Zukunftsfragen geht? *
Wilhelm Molterer: Diese Kritik stimmt, wenn auch nur teilweise. Am Tag meines "Es reicht" habe ich zu Journalisten gesagt, in diesem Herbst werde es ausschließlich um Wirtschafts- und Arbeitsmarktfragen gehen. Die Reaktion Ihrer Kollegen war: "Jetzt ist er endgültig völlig daneben!" Tatsächlich ging es im Sommer ausschließlich um das Thema Inflation, davon war schließlich auch der gesamte Wahlkampf geprägt, obwohl ich davor gewarnt habe - offensichtlich nicht laut genug. Ab diesem Zeitpunkt sind im Wahlkampf auch enorme Fehlentscheidungen getroffen worden: Vier Tage vor der Wahl, am 27. September, zu einem Zeitpunkt, als Lehman Brothers bereits gefallen waren, wurde im Nationalrat über eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel abgestimmt und die Hacklerpension ausgeweitet. Die gesamte Gesellschaft wird dafür einen hohen Preis bezahlen müssen, weil grundlegend falsche Entwicklungen eingeleitet wurden. So gesehen trifft Ihre Kritik zu.
Wer trägt dafür die Verantwortung, wie konnte es überhaupt zu einer so an den Realitäten vorbeizielenden politischen Agenda kommen?
Das ist tatsächlich die wesentliche Frage: Wie gelingt es in der Politik, eine Mehrheit für die Wahrheit zu bilden? Diese Frage ist für das Überleben von Demokratie essenziell, zumal sich in den kommenden Jahren die Rahmenbedingungen diesbezüglich noch weiter verschärfen werden: Wir werden mit einer demographischen Entwicklung konfrontiert sein, in der die Transferbezieher eine Mehrheit der Wähler stellen und strukturelle Reformen unausweichlich sind. Dafür müssen wir aber zuerst eine demokratische Mehrheit finden, die entsprechende Überzeugungsarbeit wird der Politik nicht erspart bleiben. Möglicherweise wäre es klüger gewesen - im Nachhinein fällt einem diese Einsicht ja immer leichter -, den letzten Wahlkampf völlig gegen die damalige öffentliche Stimmung zu gestalten. Aber diese Geschichte ist vorbei. Was dagegen bleibt, ist die Herausforderung, aus Wahrheiten Mehrheiten zu machen.
Ist das in Österreich in den letzten Jahren je gelungen?
Zum Teil zumindest, ich denke hier etwa an die Pensionsreform 2002. Damals konnten wir eine Mehrheit überzeugen, dass das bisherige System einfach nicht länger funktionieren kann. Ein weiteres Beispiel ist der Beitritt Österreichs zur Europäischen Union 1995. Dahinter stand eine enorme Überzeugungsarbeit, nicht nur der Politik allein, sondern vieler gesellschaftlicher Gruppen.
Zwei Weichenstellungen in fünfzehn Jahren: Das ist kein berauschender Qualitätsnachweis für Österreichs Politik. Noch dazu, wo doch die Reform bei den Pensionen im Nachhinein wieder aufgeweicht wurde. Oder braucht es solche Reformen gar nicht mehr, da ohnehin die großen Leitlinien für die nationale Politik mittlerweile aus Brüssel kommen?
Tatsächlich muss die europäische Integration noch weiter voranschreiten. Immer mehr Themen können nur noch auf supranationaler Ebene gelöst werden, dazu gehören etwa Finanzmärkte, Klimapolitik oder Migration, um nur ein paar Beispiele zu nennen. In all diesen Bereichen braucht es mehr und eine stärkere europäische Politik. Die EU wäre aber auch gut beraten zu überlegen, welche Bereiche im Sinne des Subsidiaritätsgedanken zu den Nationalstaaten zurückwandern können. Insgesamt aber, davon bin ich überzeugt, wird die demographische Frage gemeinsam mit der Klimapolitik in den kommenden Jahrzehnten im Zentrum der Politik stehen. Die sozialen Sicherungssysteme des europäischen Wohlfahrtsstaatsmodells wurden unter völlig anderen Rahmenbedingungen errichtet, als wir sie in Zukunft haben werden: Damals war der Altersdurchschnitt niedrig und die Bevölkerung wuchs, jetzt kippt dieser Zustand und wir realisieren noch gar nicht, welche Bereiche davon alle massiv betroffen sein werden.
Warum redet die Politik dann nicht über diese Fragen? Stattdessen hört man von allen Parteien nur Ideen und Forderungen, die das System noch teurer und noch unfinanzierbarer machen.
Das ist eine berechtigte Kritik, und diese Frage berührt den Kern der Demokratie. Wir haben in Österreich keine Strukturen, die es ermöglichen, in einer scharfen Analyse ein Problem ohne Weichzeichner so darzustellen, wie es tatsächlich ist. Im anglo-amerikanischen Raum gibt es hierfür diverse Stiftungen. Wir haben dagegen eine Versozialpartnerung bis in die Wissenschaft hinein. Dadurch wird manche Entwicklung zugedeckt, die auf uns zukommt oder in der wir schon mitten drin sind. Das macht es für die Politik nicht gerade leichter: Wir müssen zuerst das Problem aufzeigen, dann die Menschen überzeugen, dass es sich überhaupt um ein Problem handelt, wir müssen Lösungen erarbeiten und schließlich auch noch die dafür nötigen politischen Mehrheiten organisieren. Das ist, alles zusammengenommen, eine komplexe Aufgabe.
Allerdings hat es sich die Politik selbst zuzuschreiben, dass Wirtschaftskammer, ÖGB und AK sogar in Forschungseinrichtungen wie Wifo oder IHS ein gewichtiges Wort mitzureden haben.
Probleme wie der Klimawandel oder die demographische Entwicklung haben keine parteipolitische Farbe, sie sind Faktum. Aber die Tendenz, hierin haben Sie Recht, die Dinge nicht klar genug aufzuzeigen, existiert in Österreich - und das ist ein großes Problem. Man darf aber auch nicht übersehen, dass es uns in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren gelungen ist, die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs um einen Quantensprung nach vorn zu bringen .. .
.. . der Anstoß dazu kam aber fast ausschließlich von außen, das heißt von Seiten der Europäischen Union.
Das ist richtig. Entscheidend war aber auch, dass wir gezwungen waren, unsere Binnenmarktorientierung aufzugeben. Die hätte niemals ausgereicht, das Wachstum und den Wohlstandszugewinn zu erwirtschaften. In den letzten 25 Jahren hat sich die Exportquote von 30 auf 60 Prozent verdoppelt, das ist enorm. Jetzt droht uns allerdings der Verlust unserer Wettbewerbsvorteile, die wir nicht zuletzt dem Umstand verdanken, dass wir mitten an der Wachstumskante liegen, die sich quer durch das Herz Europas zieht und von der wir ungemein profitiert haben.
Doch der Politik gelang es nicht einmal, diese Tatsache in den Köpfen der Bürger zu verankern.
Das hat sich aber geändert. Ich bin überzeugt, dass die Menschen heute wissen, dass jeder zweite Job nur durch den Export gesichert ist. Gehen Sie in die Betriebe und fragen Sie die Menschen dort - die wissen darüber sehr gut Bescheid. Hier hat sich etwas geändert. Die Leute wissen auch, was die Finanzkrise für uns bedeuten würde, wenn wir nicht den Euro hätten. Die Krise ist so schon schwer genug, aber ohne den Euro wäre sie eine Katastrophe. Um das zu sehen, muss man nur nach Ungarn schauen.
Und dennoch wurde auch im jüngsten EU-Wahlkampf die Chance vertan, über die Zukunft Europas zu reden: Stattdessen beschäftigte man sich mit Personalia und dem Kreuzzug gegen einen angeblichen Neoliberalismus .. .
Diese Debatte finde ich nur noch lächerlich. Wer in Österreich oder im übrigen Europa je liberale Wirtschaftspolitik vorgefunden hat, der möge sich melden. Per definitionem kann es daher auch keinen Neoliberalismus geben. Was aber sehr wohl zum Kern der Politik gehört, ist die Aufgabe, die Gesellschaft in einer ökonomischen, ökologischen und sozialen Balance zu halten. Die EU hat das Gros ihrer Kompetenzen im Wirtschaftsbereich, sie zieht auch immer mehr die Umweltpolitik an sich, was ich für richtig erachte. Der soziale Ausgleich ist demgegenüber weitgehend Sache der Nationalstaaten, Europa hat hier keine Kompetenz. Daraus entsteht die Diskussion über die soziale Ausgewogenheit der EU, die teilweise auch legitim ist. Nur muss man dabei auch dies bedenken: Wer EU-Mindeststandards in Sozialfragen fordert, muss sagen auf welchem Niveau: Da kommt man als Österreicher sehr schnell zu dem Schluss, dass das für uns nicht wünschenswert ist, weil das unsere eigenen Standards untergraben würde. Politik, in diesem Fall die nationale, muss sich auch hier ihrer Verantwortung stellen.
Die Kompetenz von Politik, die Weichen langfristig richtig zu stellen, wird immer öfter grundsätzlich in Zweifel gezogen. Ist es legitim, wie dies manche Beobachter tun, von einer Krise des Staates zu sprechen?
So weit würde ich nicht gehen, man muss sich aber sehr wohl fragen, welche Aufgaben der Staat überhaupt übernehmen soll - das halte ich für den eigentlich entscheidenden Punkt. Wir müssen eine neue Balance zwischen den Aufgaben von Staat und Wirtschaft auf der einen, und von Staat und Individuum auf der anderen Seite finden. Deshalb brauchen wir eine gewisse Repolitisierung, indem die nationalen ordnungspolitischen Maßnahmen auf supranationaler Ebene umgesetzt werden müssen. Die Wirtschaft, insbesondere die Finanzwirtschaft, agiert längst im globalen Maßstab, nur hat es Politik verabsäumt, die Ordnungsregeln im Sinne einer ökosozialen Marktwirtschaft auf globaler Ebene durchzusetzen.
Derzeit gewinnt man allerdings den Eindruck, dass sich allenfalls Details ändern werden.
Wenn das tatsächlich so sein sollte, dann würden wir jetzt bereits den Keim für die nächste Krise legen. Ja, der Markt soll im Finanzbereich funktionieren, aber dafür braucht es klare Regeln und Transparenz. Auch ein Kühlschrank muss bestimmten Standards entsprechen - Energieverbrauch, Sicherheit etc., und zwar immer strengeren. Das Gleiche muss auch für Finanzprodukte gelten. Mittelfristig ist zudem eine europäische Bankenaufsicht unerlässlich. Dazu gehören Transparenzkriterien für Staaten, und wenn sich ein Land nicht daran hält, muss es Sanktionen geben. Bei der Welthandelsorganisation WTO gibt es ja auch Strafen bei Verstößen.
Die Staaten haben sich aber auch mit ihrem Drang, für alles zuständig sein zu wollen, selbst überfordert. Künftig ist eine Neuaufteilung der Verantwortung unerlässlich, die Staat, Wirtschaft und den Einzelnen miteinbezieht. Ich weiß, das ist leicht gesagt, aber schwer umzusetzen. Aber wenn wir heute rund dreißig Prozent unseres Budgets für Soziales ausgeben - mit steigender Tendenz wohlgemerkt -, und wenn gleichzeitig die strukturelle Entwicklung aufgrund der Demographie die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben immer weiter auseinanderreißt, dann blicken wir auf Zukunftsszenarien, die nicht zu verantworten sind. Der Generationenvertrag ist in einer gefährlichen Schieflage - und zwar zu Lasten der Jungen.
Die Debatte bei uns und im übrigen Europa läuft darauf hinaus, dass das Hauptproblem nicht die steigenden Ausgaben, sondern die zu geringen Einnahmen des Staates sind. Die Lösung wird in neuen beziehungsweise höheren Steuern gesehen, etwa auf Vermögen.
Alle, die an dieser Diskussion teilnehmen, sollten sich einmal hinsetzen und anschauen, wo Österreich bei einem Steuervergleich denn tatsächlich steht: Wir haben ein ausgesprochen hohes Steuerniveau und einen Spitzenplatz bei sozialen Transferleistungen. Wenn ich jetzt nur über neue Einnahmen rede, dann passiert auf der Ausgabenseite gar nichts. Damit erreichen wir nur, dass sich die internationale Wettbewerbssituation Österreichs verschlechtert. Die Debatte über neue Steuern führt uns ökonomisch und gesellschaftspolitisch ins Abseits. Ehrlich gesagt befürchte ich, dass uns irgendwann die Leute, die die Steuern bezahlen, die Freundschaft kündigen.
Sie sind seit 1989 in politischen Spitzenfunktionen. In Ihrer Person spiegeln sich auch die Besonderheiten und Probleme österreichischer Politik: Als Bauernbündler kennen Sie die Sozialpartnerschaft, als Oberösterreicher die Untiefen des Föderalismus, denen Sie als Finanzminister und Vizekanzler Herr zu werden versuchten. Warum sollte ausgerechnet jetzt eine umfassende Verwaltungsreform mit den Ländern gelingen?
Aus einem ganz einfachen pragmatischen Grund: Weil alle derzeit dasselbe Problem haben. Sie werden keine Gebietskörperschaft finden, die im heurigen Herbst nicht ein massives Problem hat, ein Budget zu erstellen. Der Bund hat das Problem, wie er langfristig die Pensionen finanzieren kann, die Länder müssen die rapide steigenden Gesundheitskosten tragen. Deshalb wird der Druck der leeren Kassen in den nächsten Jahren so groß werden, dass es zur Verwaltungsreform gar keine Alternative geben wird.
Die Regierungen versuchen derzeit, alles in ihrer Macht stehende zu tun, um die zerstörerischen Kräfte der Krise im Zaum zu halten. Dabei werden allerdings auch Wirtschaftsstrukturen am Leben erhalten, die am Markt vorbeiproduziert haben. Die Geschichte lehrt, dass radikale Lösungen die Chancen im darauffolgenden Aufschwung oft erhöhen - im Sinne von Schumpeters Diktum von der schöpferischen Kraft der Zerstörung.
Das ist eine Kernfrage, und sie betrifft nicht nur Europa, sondern die ganze Welt. Dabei ist interessant, dass etwa die neuen EU-Mitgliedsländer aufgrund ihrer Erfahrungen nach der Wende 1989 mit der Krise sehr viel rationaler umgehen als die alten EU-Staaten. Ich bin überzeugt, dass deshalb die Neuen nach der Krise relativ stärker aufgestellt sein werden als etwa Österreich, Deutschland oder Frankreich .. .
Weil die Neuen weniger zur Abfederung der Krise tun?
Weil sie die Krise zu strukturellen Reformen nutzen und weil sie eine weit niedrigere Schuldenquote haben. Letztere wird zwar auch in den Reformstaaten steigen, aber bei weitem nicht in so lichte Höhen wie in Westeuropa. So gesehen ist die Kritik an den möglicherweise schädlichen Folgen der Krisenpolitik berechtigt. In der Frage der Bankenrettung halte ich es jedoch für legitim und notwendig, dass wir massiv eingegriffen haben: Hier zeigt die Erfahrung der 30er Jahre, dass ansonsten sehr viel mehr ins Rutschen gekommen wäre. Ebenso wichtig ist der Umstand, dass die Staatengemeinschaft erstmals in einer globalen Krise nicht gegeneinander gearbeitet hat. Das ist eine enorme Leistung. Allein schon die bloße Existenz der G20-Struktur ist ein unwahrscheinlicher Fortschritt: Hier sitzen Brasilianer, Türken, Inder, Ägypter mit dem Westen und China an einem Tisch; das zeigt, wie sehr sich die Welt verändert.
Daneben gibt es in der Tat heikle Entscheidungen. Interventionen in die Autoindustrie sind eine gewisse Gefahr, weil sie die strukturelle Erneuerung der Märkte verzögern, das Problem der Überkapazitäten nicht lösen und der Technologiesprung in Richtung neuer Antriebstechnologien versäumt wird. Auf der anderen Seite ist die große Zahl gefährdeter Arbeitsplätze zu bedenken: Zeigen Sie mir den Politiker, der in diesem Moment die Unternehmen krachen lässt.
Dennoch: Im Prinzip gebe ich Ihnen Recht. Wir müssen aufpassen, nicht in philosophische Diskussionen wie "too big to fail" hineinzugeraten. Meiner Überzeugung nach gibt es das nicht und darf es das auch nicht geben. Vielmehr müssen wir uns die Frage stellen, ob es richtig war und ist, überhaupt so große Konglomerate entstehen zu lassen. Und wenn schon solche Megastrukturen existieren, muss man fragen, ob die Auflagen dem entsprechen: Stimmen die Eigenkapitalquote und die Liquiditätsanforderungen, funktioniert die Risikovorsorge? Das sind die Fragen, auf die wir Antworten finden müssen. Und über all dem schwebt als Damoklesschwert die Suche nach einer Exitstrategie für das staatliche Engagement in der Privatwirtschaft: Wann gehen die Staaten aus den Banken heraus? Wie gehen sie heraus? Wie bleibt trotzdem die Eigenkapitalbasis der Unternehmen gesichert? Wie erfolgt der Rückzug der Staaten aus der Industrie? Wie reduzieren wir wieder die Geldmenge, wie gehen die Notenbanken mit dem Inflationsrisiko um? Wo wir doch gleichzeitig Liquidität brauchen, um investieren zu können! Wie reduzieren die Staaten wieder ihre gigantisch angewachsenen Schuldenberge, ohne gleichzeitig den Aufschwung zu gefährden? Und vor allem: Wie rasch können sich die Staaten wieder aus der Wirtschaft zurückziehen? Dort haben sie ja eigentlich nichts verloren. Aber wie können die Unternehmen dann ihre Eigenkapitaldecke bewahren? Hier werden wir über die Rolle der Börsen nachdenken müssen. All diese Fragen machen in Summe die spannendste Situation aus, die ich wirtschaftspolitisch je erlebt habe.
Allerdings kann ich noch keine zusammenhängende und international koordinierte Exitstrategie der Regierungen erkennen. Was in den letzten zwölf Monaten geschehen ist, war ja nur das, was Staaten in der Regel seit jeher ausgezeichnet beherrschen: Geld ausgeben und Konjunkturpakete schnüren.
Formulieren wir es persönlich: Nicht Staaten, es sind vor allem die Politiker aller Couleur, die Geldausgeben zu ihrem liebsten Hobby erklärt haben.
Das sind längst nicht mehr nur die Politiker. In der Krise ist so mancher Wirtschaftsführer aufgetaucht, der plötzlich sehr froh über die Maßnahmen des Staates ist, doch zuvor noch ganz anders geredet hat. So einfach darf man es sich nicht machen. Faktum aber bleibt: Die größten Probleme haben wir noch vor uns.
Wenn man Ihnen so zuhört, gewinnt man den Eindruck, Sie würden gerne an der Lösung all dieser Fragen mitwirken - etwa als Österreichs nächster EU-Kommissar?
Sorry, no comment.
Zur Person
Wilhelm Molterer hat in seinem politischen Leben schon viele Höhen und Tiefen erlebt. Der Bauernbündler fungierte lange als politischer Allrounder in der ÖVP, war er doch Generalsekretär, Minister, Klubobmann und, als die Partei nach der Wahlniederlage 2006 einen Nachfolger für Wolfgang Schüssel an der Spitze suchte, Parteiobmann, Vizekanzler und Finanzminister. Dem raschen Aufstieg 2006 folgte 2008 der steile Absturz. Molterer behielt nur sein Nationalratsmandat.
Geboren am 14. Mai 1955 in Sierning, wurde Molterer die Politik fast in die Wiege gelegt. Sein Onkel, der ihn - bei Bauernfamilien nicht unüblich - adoptierte, saß für die ÖVP im Nationalrat. Nach dem Studium der Sozialwissenschaften begann der Aufstieg Molterers. 1990 kam er in den Nationalrat, wurde bald Generalsekretär und 1994 Landwirtschaftsminister. 2003 mutierte der verheiratete Vater von zwei Kindern zum Klubchef, Anfang 2007 zum Finanzminister und Vizekanzler, wenig später zum ÖVP-Obmann.